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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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gewonnen habe, wird Jedem einleuchten, der die Karte der Ostküste des adriati-
schen Meeres studirt; wie es aber diese Position ohne alle diplomatischen Ränke
und Unterhandlungen gewonnen habe, ist ein providentieller Fingerzeig für alle,
welche die natürlichen Factoren der griechisch-slawischen Geschichte mißkennend auf
den Trümmern des sinkenden Türkenreiches ideologische Kartenhäuser zu bauen
wünschen. Es genügt die Bemerkung, daß sich Rußland in dem neuen Fürsten-
thume Zruagora aus einem stammverwandten Schützlinge einen stets sichern
und kaum besiegbaren Bundesgenossen geschaffen habe, der von der Natur seines
Landes und Volkes in der Geschichte der Südslawen eine höchst bedeutende Rolle
zu spielen berufen ist.

Nächstdem sind die Verhältnisse der (serbischen) Raja Bosniens ein Gegenstand
von großem diplomatischem Interesse geworden, seit Oestreich sich derselben an¬
genommen und auf diplomatischem Wege gegen die maßlose Tyrannei der türkischen
Machthaber gegenüber der Raja Verwahrung eingelegt hat. Soviel mußte
Oestreich in seinem eigenen Interesse thun, da es, von der Auswanderung über¬
schwemmt, über Nacht gegen 6009 Proletarierfamilien einziehen lassen mußte,
weil es ein Gebot der Menschlichkeit war, dieselben nicht zurückzuweisen; womit
das zweite zusammenfällt, dieselben aus Staatsmitteln zu erhalten, da sie sämmtlich
ohne jegliche Subsistenzmittes fortziehen mußten, glücklich noch, wenn sie den Kopf
aus der Schlinge ziehen konnten.

Die östreichische Journalistik begnügt sich, ohne Parteiunterschied, die Schuld
an den Gräueln gegen die Raja Omer-Pascha zuzuschreiben. Diese Ansicht ist
so extravagant, daß es kaum der Mühe werth ist, ihrer zu erwähnen; da sie
aber allgemein verbreitet ist, so möge hier bemerkt werden, wie sie entstände".
Omer-Pascha war seiner Zeit der Liebling der konservativen Journalistik Oestreichs;
als aber zwischen ihm und dem östreichischen General-Consulate plötzlich Diffe¬
renzen entstanden waren, die im Grunde so geringfügig waren, daß sie in höheren
Sphären gar nicht beachtet wurden, machte sich persönlicher Groll in gewissen
Korrespondenzen Luft, und Omer-Pascha wurde flugs zum Tyrannen gestempelt.
Bald darauf geschah es, daß Omer-Pascha wegen der diplomatischen Wirren in
Constantinopel sich genöthigt sah, die Zügel gegen die alttürkische Partei in
Bosnien schießen zu lassen, und daß die vielbesprochene Verschwörung der Raja
entdeckt oder, besser gesagt, erfunden wurde. Unter solchen Umständen war
Omer-Pascha nicht mehr in der Lage, mit seinem Ansehen die Raja zu schützen
-- er mußte sie aufgeben, und die Alttürken, welche der Raja außer allem Andern
auch noch wegen ihrer Nichtbetheiligung an dem Aufstande grollten, ergriffen mit
Hast die Gelegenheit, an derselben Rache zu nehmen und thun dies in einer
Weise, welche kaum geglaubt werden könnte, wenn sie nicht leider nnr zu sicher
verbürgt wäre. Für alles das aber macht die östreichische Journalistik Omer-
Pascha verantwortlich, als ob es in seiner Macht gelegen wäre, das türkische


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gewonnen habe, wird Jedem einleuchten, der die Karte der Ostküste des adriati-
schen Meeres studirt; wie es aber diese Position ohne alle diplomatischen Ränke
und Unterhandlungen gewonnen habe, ist ein providentieller Fingerzeig für alle,
welche die natürlichen Factoren der griechisch-slawischen Geschichte mißkennend auf
den Trümmern des sinkenden Türkenreiches ideologische Kartenhäuser zu bauen
wünschen. Es genügt die Bemerkung, daß sich Rußland in dem neuen Fürsten-
thume Zruagora aus einem stammverwandten Schützlinge einen stets sichern
und kaum besiegbaren Bundesgenossen geschaffen habe, der von der Natur seines
Landes und Volkes in der Geschichte der Südslawen eine höchst bedeutende Rolle
zu spielen berufen ist.

Nächstdem sind die Verhältnisse der (serbischen) Raja Bosniens ein Gegenstand
von großem diplomatischem Interesse geworden, seit Oestreich sich derselben an¬
genommen und auf diplomatischem Wege gegen die maßlose Tyrannei der türkischen
Machthaber gegenüber der Raja Verwahrung eingelegt hat. Soviel mußte
Oestreich in seinem eigenen Interesse thun, da es, von der Auswanderung über¬
schwemmt, über Nacht gegen 6009 Proletarierfamilien einziehen lassen mußte,
weil es ein Gebot der Menschlichkeit war, dieselben nicht zurückzuweisen; womit
das zweite zusammenfällt, dieselben aus Staatsmitteln zu erhalten, da sie sämmtlich
ohne jegliche Subsistenzmittes fortziehen mußten, glücklich noch, wenn sie den Kopf
aus der Schlinge ziehen konnten.

Die östreichische Journalistik begnügt sich, ohne Parteiunterschied, die Schuld
an den Gräueln gegen die Raja Omer-Pascha zuzuschreiben. Diese Ansicht ist
so extravagant, daß es kaum der Mühe werth ist, ihrer zu erwähnen; da sie
aber allgemein verbreitet ist, so möge hier bemerkt werden, wie sie entstände».
Omer-Pascha war seiner Zeit der Liebling der konservativen Journalistik Oestreichs;
als aber zwischen ihm und dem östreichischen General-Consulate plötzlich Diffe¬
renzen entstanden waren, die im Grunde so geringfügig waren, daß sie in höheren
Sphären gar nicht beachtet wurden, machte sich persönlicher Groll in gewissen
Korrespondenzen Luft, und Omer-Pascha wurde flugs zum Tyrannen gestempelt.
Bald darauf geschah es, daß Omer-Pascha wegen der diplomatischen Wirren in
Constantinopel sich genöthigt sah, die Zügel gegen die alttürkische Partei in
Bosnien schießen zu lassen, und daß die vielbesprochene Verschwörung der Raja
entdeckt oder, besser gesagt, erfunden wurde. Unter solchen Umständen war
Omer-Pascha nicht mehr in der Lage, mit seinem Ansehen die Raja zu schützen
— er mußte sie aufgeben, und die Alttürken, welche der Raja außer allem Andern
auch noch wegen ihrer Nichtbetheiligung an dem Aufstande grollten, ergriffen mit
Hast die Gelegenheit, an derselben Rache zu nehmen und thun dies in einer
Weise, welche kaum geglaubt werden könnte, wenn sie nicht leider nnr zu sicher
verbürgt wäre. Für alles das aber macht die östreichische Journalistik Omer-
Pascha verantwortlich, als ob es in seiner Macht gelegen wäre, das türkische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/463>, abgerufen am 22.12.2024.