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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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morist aus dem vergangenen Jahrhundert, der Verfasser des viable irmoursux
und mehrerer größerer Gedichte, so wie anch > mehrerer komischer Opern, (der
Kauf von Bagdad verdankt ihm das Sujet) sagt von Rameau dem Jüngern:
"Das ist von Natur der komischeste Mensch, den ich je gekannt habe. Er hieß
Namean, ist ein Neffe des berühmten Musikers, war mein Schulkamerad und
hatte eine Freundschaft für mich, die sich nie verläugnete. Dieses Individuum,
der außerordentlichste Mensch unsrer Zeit,- war mit den verschiedensten Talenten
geboren worden, welche er aber aus Mangel an der nöthigen Geistesstimmuug
nicht recht pflegen konnte. Ich kann seine Art zu scherzen nur mit der Weise
vergleichen, welche Doctor Sterne in seiner sentimentalen Reise anwendet. Die
Witzausfalle Nameau's waren Ausfälle von Jnstinct und so eigenthümlicher Natur,
daß man sie malen muß, um sie wiederzugeben: Pfeile, die aus der tiefsten Kennt¬
niß des menschlichen Herzens zu kommen schienen. Seine bnrleske Physiognomie
machte seine Ausfälle außerordentlich pikant, und diese waren um so unerwarteter,
als er gewöhnlich unverständiges Zeug sprach. Dieses Individuum, ein geborner
Musiker, mehr noch als sein Onkel, vermochte niemals in die Tiefen der Kunst
zu dringen, aber er hatte die merkwürdige Leichtigkeit, Gesang zu improvisiren,
angenehmen sowol als ausdrucksvollen, gleichviel zu welchen Worten. Doch hätte
es bedurft, daß ein wahrer Künstler seine Phrasen arrangirt und verbessert, und
seine Partituren zugerichtet hätte. Er war von Person ehen so fürchterlich- als
komisch-häßlich, sehr oft langweilig, weil ihn sein Genie nur selten begeisterte,
aber wenn ihm seine Stimmung zu Gebote stand, baun machte er bis zu Thrä¬
nen lachen. Er lebte in Armuth, da er keinem Beruft folgen konnte, und seine
absolute Armuth gereicht ihm in meinen Augen zur Ehre. Er war nicht
gerade ohne Vermögen, aber er hatte seinen Vater des Gutes seiner Mutter be¬
rauben müssen, und er > weigerte sich, dei^ Urheber seiner Tage, der sich wieder
verheirathet und Kinder hatte, dem Elende Preis zu geben. Er hat bei verschiedenen
anderen Gelegenheiten Beweise seines guten Herzens gegeben. Dieser merkwürdige
Mensch lebte begeistert für den Ruhm, den er in keiner Art erreichen konnte. . . .
Er ist in einem Kloster gestorben, wohin ihn seine Familie nach einer freiwillige"
Zurückgezogenheit von vier Jahren bringen ließ. Er wußte das Herz Aller zu
gewinnen, welche anfänglich nur seine Kerkerwärter gewesen." Mit welcher Leich¬
tigkeit Nameau's Neffe geschrieben, dies mag folgender Fall beweisen. Einer der
Schwäger Cazotte's, der diesen auf seinem Landgute von Pierry besuchte, warf ihm
vor, daß er sich nicht auf dem Theater versuche. Cazotte antwortete: Gebt mit
irgend ein Wort, und ihr habt morgen eine komische Oper fertig. Eben trat ein
Bauer mit Holzschuhen herein und Cazotte's Schwager rief ans: Nun gut,
die Holzschuhe, mache ein Stück auf dieses Wort. Cazotte schickte Alles sort, u>u
allein zu sein. Aber einer der Anwesenden verlangte zu bleiben und machte M
anheischig, die Musik so schnell zu schreiben, als Cazotte den Text. Es war der


morist aus dem vergangenen Jahrhundert, der Verfasser des viable irmoursux
und mehrerer größerer Gedichte, so wie anch > mehrerer komischer Opern, (der
Kauf von Bagdad verdankt ihm das Sujet) sagt von Rameau dem Jüngern:
„Das ist von Natur der komischeste Mensch, den ich je gekannt habe. Er hieß
Namean, ist ein Neffe des berühmten Musikers, war mein Schulkamerad und
hatte eine Freundschaft für mich, die sich nie verläugnete. Dieses Individuum,
der außerordentlichste Mensch unsrer Zeit,- war mit den verschiedensten Talenten
geboren worden, welche er aber aus Mangel an der nöthigen Geistesstimmuug
nicht recht pflegen konnte. Ich kann seine Art zu scherzen nur mit der Weise
vergleichen, welche Doctor Sterne in seiner sentimentalen Reise anwendet. Die
Witzausfalle Nameau's waren Ausfälle von Jnstinct und so eigenthümlicher Natur,
daß man sie malen muß, um sie wiederzugeben: Pfeile, die aus der tiefsten Kennt¬
niß des menschlichen Herzens zu kommen schienen. Seine bnrleske Physiognomie
machte seine Ausfälle außerordentlich pikant, und diese waren um so unerwarteter,
als er gewöhnlich unverständiges Zeug sprach. Dieses Individuum, ein geborner
Musiker, mehr noch als sein Onkel, vermochte niemals in die Tiefen der Kunst
zu dringen, aber er hatte die merkwürdige Leichtigkeit, Gesang zu improvisiren,
angenehmen sowol als ausdrucksvollen, gleichviel zu welchen Worten. Doch hätte
es bedurft, daß ein wahrer Künstler seine Phrasen arrangirt und verbessert, und
seine Partituren zugerichtet hätte. Er war von Person ehen so fürchterlich- als
komisch-häßlich, sehr oft langweilig, weil ihn sein Genie nur selten begeisterte,
aber wenn ihm seine Stimmung zu Gebote stand, baun machte er bis zu Thrä¬
nen lachen. Er lebte in Armuth, da er keinem Beruft folgen konnte, und seine
absolute Armuth gereicht ihm in meinen Augen zur Ehre. Er war nicht
gerade ohne Vermögen, aber er hatte seinen Vater des Gutes seiner Mutter be¬
rauben müssen, und er > weigerte sich, dei^ Urheber seiner Tage, der sich wieder
verheirathet und Kinder hatte, dem Elende Preis zu geben. Er hat bei verschiedenen
anderen Gelegenheiten Beweise seines guten Herzens gegeben. Dieser merkwürdige
Mensch lebte begeistert für den Ruhm, den er in keiner Art erreichen konnte. . . .
Er ist in einem Kloster gestorben, wohin ihn seine Familie nach einer freiwillige»
Zurückgezogenheit von vier Jahren bringen ließ. Er wußte das Herz Aller zu
gewinnen, welche anfänglich nur seine Kerkerwärter gewesen." Mit welcher Leich¬
tigkeit Nameau's Neffe geschrieben, dies mag folgender Fall beweisen. Einer der
Schwäger Cazotte's, der diesen auf seinem Landgute von Pierry besuchte, warf ihm
vor, daß er sich nicht auf dem Theater versuche. Cazotte antwortete: Gebt mit
irgend ein Wort, und ihr habt morgen eine komische Oper fertig. Eben trat ein
Bauer mit Holzschuhen herein und Cazotte's Schwager rief ans: Nun gut,
die Holzschuhe, mache ein Stück auf dieses Wort. Cazotte schickte Alles sort, u>u
allein zu sein. Aber einer der Anwesenden verlangte zu bleiben und machte M
anheischig, die Musik so schnell zu schreiben, als Cazotte den Text. Es war der


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[0438] morist aus dem vergangenen Jahrhundert, der Verfasser des viable irmoursux und mehrerer größerer Gedichte, so wie anch > mehrerer komischer Opern, (der Kauf von Bagdad verdankt ihm das Sujet) sagt von Rameau dem Jüngern: „Das ist von Natur der komischeste Mensch, den ich je gekannt habe. Er hieß Namean, ist ein Neffe des berühmten Musikers, war mein Schulkamerad und hatte eine Freundschaft für mich, die sich nie verläugnete. Dieses Individuum, der außerordentlichste Mensch unsrer Zeit,- war mit den verschiedensten Talenten geboren worden, welche er aber aus Mangel an der nöthigen Geistesstimmuug nicht recht pflegen konnte. Ich kann seine Art zu scherzen nur mit der Weise vergleichen, welche Doctor Sterne in seiner sentimentalen Reise anwendet. Die Witzausfalle Nameau's waren Ausfälle von Jnstinct und so eigenthümlicher Natur, daß man sie malen muß, um sie wiederzugeben: Pfeile, die aus der tiefsten Kennt¬ niß des menschlichen Herzens zu kommen schienen. Seine bnrleske Physiognomie machte seine Ausfälle außerordentlich pikant, und diese waren um so unerwarteter, als er gewöhnlich unverständiges Zeug sprach. Dieses Individuum, ein geborner Musiker, mehr noch als sein Onkel, vermochte niemals in die Tiefen der Kunst zu dringen, aber er hatte die merkwürdige Leichtigkeit, Gesang zu improvisiren, angenehmen sowol als ausdrucksvollen, gleichviel zu welchen Worten. Doch hätte es bedurft, daß ein wahrer Künstler seine Phrasen arrangirt und verbessert, und seine Partituren zugerichtet hätte. Er war von Person ehen so fürchterlich- als komisch-häßlich, sehr oft langweilig, weil ihn sein Genie nur selten begeisterte, aber wenn ihm seine Stimmung zu Gebote stand, baun machte er bis zu Thrä¬ nen lachen. Er lebte in Armuth, da er keinem Beruft folgen konnte, und seine absolute Armuth gereicht ihm in meinen Augen zur Ehre. Er war nicht gerade ohne Vermögen, aber er hatte seinen Vater des Gutes seiner Mutter be¬ rauben müssen, und er > weigerte sich, dei^ Urheber seiner Tage, der sich wieder verheirathet und Kinder hatte, dem Elende Preis zu geben. Er hat bei verschiedenen anderen Gelegenheiten Beweise seines guten Herzens gegeben. Dieser merkwürdige Mensch lebte begeistert für den Ruhm, den er in keiner Art erreichen konnte. . . . Er ist in einem Kloster gestorben, wohin ihn seine Familie nach einer freiwillige» Zurückgezogenheit von vier Jahren bringen ließ. Er wußte das Herz Aller zu gewinnen, welche anfänglich nur seine Kerkerwärter gewesen." Mit welcher Leich¬ tigkeit Nameau's Neffe geschrieben, dies mag folgender Fall beweisen. Einer der Schwäger Cazotte's, der diesen auf seinem Landgute von Pierry besuchte, warf ihm vor, daß er sich nicht auf dem Theater versuche. Cazotte antwortete: Gebt mit irgend ein Wort, und ihr habt morgen eine komische Oper fertig. Eben trat ein Bauer mit Holzschuhen herein und Cazotte's Schwager rief ans: Nun gut, die Holzschuhe, mache ein Stück auf dieses Wort. Cazotte schickte Alles sort, u>u allein zu sein. Aber einer der Anwesenden verlangte zu bleiben und machte M anheischig, die Musik so schnell zu schreiben, als Cazotte den Text. Es war der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/438>, abgerufen am 22.12.2024.