Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.find gereizt bei Ermahnungen, Beleidigungen' Anderer; dazu kommt Rücksichtslosigkeit Die Widersprüche, Steigerung oder Herabstimmung des Denkens und Fühlens, Viele zeigen bei kleinen Anlässen eine große Erregung und verhalten sich bei find gereizt bei Ermahnungen, Beleidigungen' Anderer; dazu kommt Rücksichtslosigkeit Die Widersprüche, Steigerung oder Herabstimmung des Denkens und Fühlens, Viele zeigen bei kleinen Anlässen eine große Erregung und verhalten sich bei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0411" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94852"/> <p xml:id="ID_1254" prev="#ID_1253"> find gereizt bei Ermahnungen, Beleidigungen' Anderer; dazu kommt Rücksichtslosigkeit<lb/> gegen Vorgesetzte, größere Heftigkeit bei Widersprüchen, die sie weder von College» noch<lb/> Vorgesetzten ertragen, obwol sie selbst bei jeder Gelegenheit leidenschaftlich opponiren.<lb/> Weil sie von minder begabten Mensche» nicht begriffen zu sein wähnen, ziehen sie sich<lb/> in die Einsamkeit zurück und meiden den Umgang mit College», Sie halten jeden<lb/> Tadel sür u»bcgrü»det und ungerecht, und setzen allen Maßregeln gegen sich die größte<lb/> Leidenschaft entgegen, bis eine anscheinend geringe Veranlassung eine tiefe Zerrüttung der<lb/> geistigen Thätigkeit zum Vorschein bringt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1255"> Die Widersprüche, Steigerung oder Herabstimmung des Denkens und Fühlens,<lb/> beziehen sich nicht nur aus die Vergangenheit sondern auch auf die Gegenwart, und<lb/> zeigen innerhalb derselben schon eine gewisse Periodicität. Der Leidende überläßt sich<lb/> alle» Vorstellungen »»geachtet einer stetig zunehmenden indolenten Trägheit und Un-<lb/> thätigkeit, die wieder durch öfteres plan- und resultatloses Umherlaufen unterbrochen<lb/> wird. Bald will er essen, bald verweigert er es; das eine Mal setzt er sich in eine<lb/> Ecke und spricht kein Wort, das andere Mal ist er mürrisch, zänkisch, mißhandelt<lb/> Andere oder ist geschwätzig, putzsüchtig, affectirt. Bald lacht, bald weint er; das früher<lb/> rauhe und zurückschreckende Benehmen wird sanft und leutselig; bei anscheinender Ge¬<lb/> sundheit hält er sich für krank, frägt einen Arzt nach dem andern, und Keiner kann<lb/> seiner Meinung nach seine Krankheit erkennen. Obgleich bei gutem Appetit erklärt er<lb/> nach jedem Essen ärgerlich, daß er nicht hätte essen sollen; obgleich man sah, daß es<lb/> ihm gut schmeckte, meinte er doch, weshalb man ihm so schlechtes Essen gebe; beim Aus¬<lb/> gehen erklärt er, daß er den von ihm selbst gewählten Weg oder Ort nicht hätte gehen<lb/> und wählen sollen. Während er die Leute mißtrauisch beobachtet, behauptet er, daß<lb/> die Leute ihn fortwährend ansehen; wenn sie ausspucken, es vor ihm thun. Während<lb/> zu Zeiten die Vergangenheit vor die Seele tritt, er über Zeit- und Ortsverhältniß<lb/> nicht mehr die frühere Auskunft zu geben vermag, erklärt er zu anderen Zeiten selbst,<lb/> daß es ihm zuweilen wie verwirrt im Kopfe sei. Bald zieht er sich in die Einsamkeit<lb/> zurück, ist traurig, bald macht er gewaltsame Freudensprünge, über die er kurz darauf<lb/> Wieder bittere Thränen vergießt; bald unternimmt er Alles mit kühnem Muthe, auch wenn<lb/> es seine Kräfte übersteigen sollte, bald ist er muthlos, wo er die Fähigkeit hätte, das<lb/> Gewünschte zu erreiche». Unruhe und Unstätigkeit ohne Ziel und Zweck, häufige und<lb/> verschiedenartige Wünsche, auf deren Erfüllung er lebhaft drängt und die er ebenso<lb/> schnell wieder Vergißt, selbst abläugnet, vielfache Beschwerden, die er vorbringt, aber<lb/> gleich wieder aufgiebt, Anordnungen, die er zu treffen wünscht, von deren Unzuläfiigkeit<lb/> und Unangemessenheit er sich zu andere^ Zeiten sofort überzeugt, Unordnung, Sonder¬<lb/> barkeiten in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen versetzen die Umgebung nicht selten in<lb/> bange Besorgniß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1256" next="#ID_1257"> Viele zeigen bei kleinen Anlässen eine große Erregung und verhalten sich bei<lb/> wichtigeren Dingen gleichgiltig. Manche zeigen eine große Sentimentalität, haben<lb/> große Bekümmerniß um das Fortkommen in der Welt, haben unverständige Pläne sür<lb/> die Zukunft, sind kleinmüthig, fürchten Krieg und Pestilenz, wo gar keine Ursache dazu<lb/> vorhanden ist, haben ihre steten Gedanken nur auf Sparsamkeit und Thätigkeit gerichtet,<lb/> holen mit Glacehandschuhen Dünger von der Landstraße, um ihre Gärten fruchtbarer<lb/> zu machen, raufen als Gutsbesitzer Futter aus, tragen es unter dem Arme nach Hause<lb/> und halten dies für vortreffliche Oekonomie, obgleich sie früher fern davon waren, es</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0411]
find gereizt bei Ermahnungen, Beleidigungen' Anderer; dazu kommt Rücksichtslosigkeit
gegen Vorgesetzte, größere Heftigkeit bei Widersprüchen, die sie weder von College» noch
Vorgesetzten ertragen, obwol sie selbst bei jeder Gelegenheit leidenschaftlich opponiren.
Weil sie von minder begabten Mensche» nicht begriffen zu sein wähnen, ziehen sie sich
in die Einsamkeit zurück und meiden den Umgang mit College», Sie halten jeden
Tadel sür u»bcgrü»det und ungerecht, und setzen allen Maßregeln gegen sich die größte
Leidenschaft entgegen, bis eine anscheinend geringe Veranlassung eine tiefe Zerrüttung der
geistigen Thätigkeit zum Vorschein bringt.
Die Widersprüche, Steigerung oder Herabstimmung des Denkens und Fühlens,
beziehen sich nicht nur aus die Vergangenheit sondern auch auf die Gegenwart, und
zeigen innerhalb derselben schon eine gewisse Periodicität. Der Leidende überläßt sich
alle» Vorstellungen »»geachtet einer stetig zunehmenden indolenten Trägheit und Un-
thätigkeit, die wieder durch öfteres plan- und resultatloses Umherlaufen unterbrochen
wird. Bald will er essen, bald verweigert er es; das eine Mal setzt er sich in eine
Ecke und spricht kein Wort, das andere Mal ist er mürrisch, zänkisch, mißhandelt
Andere oder ist geschwätzig, putzsüchtig, affectirt. Bald lacht, bald weint er; das früher
rauhe und zurückschreckende Benehmen wird sanft und leutselig; bei anscheinender Ge¬
sundheit hält er sich für krank, frägt einen Arzt nach dem andern, und Keiner kann
seiner Meinung nach seine Krankheit erkennen. Obgleich bei gutem Appetit erklärt er
nach jedem Essen ärgerlich, daß er nicht hätte essen sollen; obgleich man sah, daß es
ihm gut schmeckte, meinte er doch, weshalb man ihm so schlechtes Essen gebe; beim Aus¬
gehen erklärt er, daß er den von ihm selbst gewählten Weg oder Ort nicht hätte gehen
und wählen sollen. Während er die Leute mißtrauisch beobachtet, behauptet er, daß
die Leute ihn fortwährend ansehen; wenn sie ausspucken, es vor ihm thun. Während
zu Zeiten die Vergangenheit vor die Seele tritt, er über Zeit- und Ortsverhältniß
nicht mehr die frühere Auskunft zu geben vermag, erklärt er zu anderen Zeiten selbst,
daß es ihm zuweilen wie verwirrt im Kopfe sei. Bald zieht er sich in die Einsamkeit
zurück, ist traurig, bald macht er gewaltsame Freudensprünge, über die er kurz darauf
Wieder bittere Thränen vergießt; bald unternimmt er Alles mit kühnem Muthe, auch wenn
es seine Kräfte übersteigen sollte, bald ist er muthlos, wo er die Fähigkeit hätte, das
Gewünschte zu erreiche». Unruhe und Unstätigkeit ohne Ziel und Zweck, häufige und
verschiedenartige Wünsche, auf deren Erfüllung er lebhaft drängt und die er ebenso
schnell wieder Vergißt, selbst abläugnet, vielfache Beschwerden, die er vorbringt, aber
gleich wieder aufgiebt, Anordnungen, die er zu treffen wünscht, von deren Unzuläfiigkeit
und Unangemessenheit er sich zu andere^ Zeiten sofort überzeugt, Unordnung, Sonder¬
barkeiten in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen versetzen die Umgebung nicht selten in
bange Besorgniß.
Viele zeigen bei kleinen Anlässen eine große Erregung und verhalten sich bei
wichtigeren Dingen gleichgiltig. Manche zeigen eine große Sentimentalität, haben
große Bekümmerniß um das Fortkommen in der Welt, haben unverständige Pläne sür
die Zukunft, sind kleinmüthig, fürchten Krieg und Pestilenz, wo gar keine Ursache dazu
vorhanden ist, haben ihre steten Gedanken nur auf Sparsamkeit und Thätigkeit gerichtet,
holen mit Glacehandschuhen Dünger von der Landstraße, um ihre Gärten fruchtbarer
zu machen, raufen als Gutsbesitzer Futter aus, tragen es unter dem Arme nach Hause
und halten dies für vortreffliche Oekonomie, obgleich sie früher fern davon waren, es
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