Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.deren isolirten und wildem Leben sich noch immer mehr Traditionen von der Vorzeit Man wird wol begreisen, daß in dieser Intention nicht viel Berechtigung lag, Wenn Wir also die Intention verwerfen, so können wir der Ansflihrung der dunk¬ Da das Gedicht im Ganzen wenig bekannt ist, geben wir von dieser mytholo¬ deren isolirten und wildem Leben sich noch immer mehr Traditionen von der Vorzeit Man wird wol begreisen, daß in dieser Intention nicht viel Berechtigung lag, Wenn Wir also die Intention verwerfen, so können wir der Ansflihrung der dunk¬ Da das Gedicht im Ganzen wenig bekannt ist, geben wir von dieser mytholo¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94482"/> <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> deren isolirten und wildem Leben sich noch immer mehr Traditionen von der Vorzeit<lb/> erhalten hatten. Alle einzelnen Notizen aus diesem weitläufigen Gebiet wurden com-<lb/> binirt, durch die lebendigeren Vorstellungen, die wir von dem Wesen des Aberglaubens,<lb/> z. B. aus unseren eigenen Hexenproeesscn entnehmen, gefärbt, und durch naturphiloso-<lb/> phische Vorstellungen vergeistigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_85"> Man wird wol begreisen, daß in dieser Intention nicht viel Berechtigung lag,<lb/> denn ein historisches Gemälde wird durch eine solche Methode nicht zu Stande gebracht<lb/> und von einem Kunstwerth kann auch nicht die Rede sein, da sich die Kunst mit bar¬<lb/> barischen Zuständen nur in sofern zu thun machen darf, als sie dieselben in einem<lb/> höhern Cultnrmomeut untergehen läßt. Das Letztere schwebte zwar dem Dichter vor,<lb/> er läßt in einigen höher begabten Geistern des böhmischen Volks den dunkeln Instinkt<lb/> einer bessern Religion aufgehen, und er kommt diesem Drange durch die Darstellung<lb/> einer christlichen Figur entgegen. Allein einmal sind diese widerstrebenden Momente<lb/> in keinen dramatischen Rapport 'gebracht; das Christenthum ist nicht der Gipfel der<lb/> Handlung, nicht die siegreiche Cultur, welche die überwundene Barbarei zu Boden<lb/> schlägt, wie in den ähnlichen Gemälden von Calderon, es spielt nur wie ein fremd¬<lb/> artiger, geisterhafter Schein auf der chaotischen Woge der Leidenschaften, die in diesem<lb/> Drama durch einander wüthen, und trägt also Nichts dazu bei, den poetischen Sinn<lb/> des Gedichts deutlicher zu machen. Außerdem, und das ist die Hauptsache, ist der<lb/> weiße Gott dem Dichter eine unnahbarere Erscheinung gewesen, als der schwarze;, er<lb/> hat keine sinnliche Vermittelung.gefunden, keine Traditionen und Anschauungen, die ihn<lb/> belebt hätten, und darum ist ihm der Geist des Christenthums ein bloßer Schemen<lb/> geblieben, während er für die finsteren Gestalten der Nacht Farben und Linien gefun¬<lb/> den hat, die eines Callot würdig wären.</p><lb/> <p xml:id="ID_86"> Wenn Wir also die Intention verwerfen, so können wir der Ansflihrung der dunk¬<lb/> leren Partien unsre Bewunderung nicht versagen, namentlich wenn wir sie mit den<lb/> ähnlichen Gestalten von Werner, Fouquv und den übrigen Romantikern vergleichen.<lb/> Was uns Brentano vom Christenthum giebt, hätten Fouqnö und Werner ebenso gut<lb/> machen können. Es ist derselbe mystische, gestaltlose Schwulst', der aller Kunst Hohn<lb/> spricht. Aber die bösen Geister zur Erscheinung zu bringen, hat Brentano sehr wohl<lb/> verstanden, freilich mehr für diejenige Seite der Phantasie, die mit dem Verstände<lb/> oder wenigstens mit der Reflexion verwandt ist, als für diejenige, die sich auf das<lb/> Gefühl bezieht. Den Schauder, den z. B. Hoffmann unter günstigen Umständen her¬<lb/> vorruft, erregt Brentano nicht; dagegen hält er sich auch von eigentlicher Abgeschmackt¬<lb/> heit und Trivialität frei. Die wüsten Zustände, die er uns darstellt, find mit so<lb/> bestimmten, scharfen Strichen gezeichnet, und unter sich so zusammenhängend, daß wir<lb/> mit einem ähnlichen Interesse daran gehen, wie an die Besichtigung eines vorsündfluth-<lb/> lichen Ungeheuers, freilich mit dem Unterschied, daß wir es bei dem letztern mit einer<lb/> Realität zu thun haben, während uns bei den mythologischen Visionen des Dichters<lb/> doch eigentlich nur die Natur seiner eigenen Phantasie der Gegenstand ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_87" next="#ID_88"> Da das Gedicht im Ganzen wenig bekannt ist, geben wir von dieser mytholo¬<lb/> gischen Produktivität eine Probe. > Es ist der Monolog einer Hexe, Zwratka, der<lb/> Mutter der Amazone Wlafta, der eigentlichen Hauptperson des Stücks.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
deren isolirten und wildem Leben sich noch immer mehr Traditionen von der Vorzeit
erhalten hatten. Alle einzelnen Notizen aus diesem weitläufigen Gebiet wurden com-
binirt, durch die lebendigeren Vorstellungen, die wir von dem Wesen des Aberglaubens,
z. B. aus unseren eigenen Hexenproeesscn entnehmen, gefärbt, und durch naturphiloso-
phische Vorstellungen vergeistigt.
Man wird wol begreisen, daß in dieser Intention nicht viel Berechtigung lag,
denn ein historisches Gemälde wird durch eine solche Methode nicht zu Stande gebracht
und von einem Kunstwerth kann auch nicht die Rede sein, da sich die Kunst mit bar¬
barischen Zuständen nur in sofern zu thun machen darf, als sie dieselben in einem
höhern Cultnrmomeut untergehen läßt. Das Letztere schwebte zwar dem Dichter vor,
er läßt in einigen höher begabten Geistern des böhmischen Volks den dunkeln Instinkt
einer bessern Religion aufgehen, und er kommt diesem Drange durch die Darstellung
einer christlichen Figur entgegen. Allein einmal sind diese widerstrebenden Momente
in keinen dramatischen Rapport 'gebracht; das Christenthum ist nicht der Gipfel der
Handlung, nicht die siegreiche Cultur, welche die überwundene Barbarei zu Boden
schlägt, wie in den ähnlichen Gemälden von Calderon, es spielt nur wie ein fremd¬
artiger, geisterhafter Schein auf der chaotischen Woge der Leidenschaften, die in diesem
Drama durch einander wüthen, und trägt also Nichts dazu bei, den poetischen Sinn
des Gedichts deutlicher zu machen. Außerdem, und das ist die Hauptsache, ist der
weiße Gott dem Dichter eine unnahbarere Erscheinung gewesen, als der schwarze;, er
hat keine sinnliche Vermittelung.gefunden, keine Traditionen und Anschauungen, die ihn
belebt hätten, und darum ist ihm der Geist des Christenthums ein bloßer Schemen
geblieben, während er für die finsteren Gestalten der Nacht Farben und Linien gefun¬
den hat, die eines Callot würdig wären.
Wenn Wir also die Intention verwerfen, so können wir der Ansflihrung der dunk¬
leren Partien unsre Bewunderung nicht versagen, namentlich wenn wir sie mit den
ähnlichen Gestalten von Werner, Fouquv und den übrigen Romantikern vergleichen.
Was uns Brentano vom Christenthum giebt, hätten Fouqnö und Werner ebenso gut
machen können. Es ist derselbe mystische, gestaltlose Schwulst', der aller Kunst Hohn
spricht. Aber die bösen Geister zur Erscheinung zu bringen, hat Brentano sehr wohl
verstanden, freilich mehr für diejenige Seite der Phantasie, die mit dem Verstände
oder wenigstens mit der Reflexion verwandt ist, als für diejenige, die sich auf das
Gefühl bezieht. Den Schauder, den z. B. Hoffmann unter günstigen Umständen her¬
vorruft, erregt Brentano nicht; dagegen hält er sich auch von eigentlicher Abgeschmackt¬
heit und Trivialität frei. Die wüsten Zustände, die er uns darstellt, find mit so
bestimmten, scharfen Strichen gezeichnet, und unter sich so zusammenhängend, daß wir
mit einem ähnlichen Interesse daran gehen, wie an die Besichtigung eines vorsündfluth-
lichen Ungeheuers, freilich mit dem Unterschied, daß wir es bei dem letztern mit einer
Realität zu thun haben, während uns bei den mythologischen Visionen des Dichters
doch eigentlich nur die Natur seiner eigenen Phantasie der Gegenstand ist.
Da das Gedicht im Ganzen wenig bekannt ist, geben wir von dieser mytholo¬
gischen Produktivität eine Probe. > Es ist der Monolog einer Hexe, Zwratka, der
Mutter der Amazone Wlafta, der eigentlichen Hauptperson des Stücks.
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