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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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zu ermuntern. Der Eisenbahnbau wird gegenwärtig auf das Eifrigste in Angriff
genommen, und es ist anch ans andre Weise, durch die Kanalisation des Ebro, durch
Erweiterung der Dampfschifffahrtverbindung zwischen den Küstenprovinzen und mit
den Kolonien für die Besserung der Communicationsmittel und die Hebung des
Verkehrs gesorgt. Die Lethargie, welche zur Zeit Ferdinand's VII. auf der
Verwaltung lag, ist gebrochen. In dieser Beziehung verdient Bravo Murillo
Anerkennung, wenn man ihm' jetzt gleich Vieles zum Verdienst anrechnet, was
bereits unter Narvaez vorbereitet wurde. Die treffliche Neorganisirung der Armee,.
die besser ist, als seit undenklicher Zeit, und die wiederauflebende Marine sind
hauptsächlich den Anstrengungen des Letztern zu danken. Die Schuldenreguliruug,
die Bravo Murillo durchgesetzt hat, ist ein großes Glück für Spanien -- falls
der Staat sich im Stande weiß, seinen neuen Verpflichtungen nachzukommen.
Im andern Fall wäre der daraus erwachsende Schaden für den zukünftigen Ctedit
des Landes unberechenbar. Und sicher ist das günstige Resultat noch keineswegs;
nach den neuesten officiellen Veröffentlichungen ist die sehr bedeutende schwebende
Schuld (über 350,000,000 Realen) noch in Besorgniß erregendem. Steigen, und
die Einkünfte des laufenden Jahres scheinen bedeutend hinter den Voranschlägen
zurückzubleiben.

Die Fürsprecher des Absolutismus weisen auch in Spanien stets darauf hin,
wie sehr durch die parlamentarische Maschine der Gang der Lcgislation und Ver¬
waltung gehemmt werde. Dies mag bis zu einem gewissen Grade seine Richtig¬
keit haben. Was aber im einzelnen Falle durch Verschleppung verloren geht, wird
mehr als ersetzt durch die Garantie einer öffentlichen Controle, durch den steten
Anschein einer rastlosen Opposition, die es nicht gestattet, in jene Erschlaffung
zurückzufallen, die in Spanien Jahrhunderte lang an der Tagesordnung war.
Die periodische, noch so erfolgreiche Thätigkeit der Verwaltung ist von geringem
Nutzen, wo die öffentlichen Zustände nicht in sich die Sicherung vor dem Rückfall
in die ärgste Mißregieruug tragen. Die Früchte der glänzenden Epoche Aranda's
gingen in dem Elend und der Versumpfung der Godoy'schen Herrschaft gänzlich
verloren. Ein gesicherter, bürgerlicher Rechtszustand ferner, den Spanien niemals
unter dem Absolutismus erwarten kann, ist, außer daß er ein wesentliches Ele¬
ment materiellen Gedeihens ist, an für sich bin moralisches Gut von dem höchsten
Werthe, und auf seine Erlangung würde die Nation der trügerischen Hoffnung
wegen, damit eine energischere Verwaltung sich zu erkaufen, noch nicht verzichten.

Die Erhebung oder der Sturz des Constitutionalismus in Spanien ist eine
Frage von europäischer Wichtigkeit. Wird die reactiouaire Strömung, welche dem
Jahr 1848 gefolgt ist und die politische Freiheit des Kontinents zu verschlingen
droht, endlich einen Damm finden? Wird Spanien, das der Ansteckung der Februar¬
revolution widerstand, die gefährlichere Ansteckung des Decemberstaatsstreiches von
sich abhalten? Die Entscheidung darüber kann nicht mehr lange sich verzögern.


zu ermuntern. Der Eisenbahnbau wird gegenwärtig auf das Eifrigste in Angriff
genommen, und es ist anch ans andre Weise, durch die Kanalisation des Ebro, durch
Erweiterung der Dampfschifffahrtverbindung zwischen den Küstenprovinzen und mit
den Kolonien für die Besserung der Communicationsmittel und die Hebung des
Verkehrs gesorgt. Die Lethargie, welche zur Zeit Ferdinand's VII. auf der
Verwaltung lag, ist gebrochen. In dieser Beziehung verdient Bravo Murillo
Anerkennung, wenn man ihm' jetzt gleich Vieles zum Verdienst anrechnet, was
bereits unter Narvaez vorbereitet wurde. Die treffliche Neorganisirung der Armee,.
die besser ist, als seit undenklicher Zeit, und die wiederauflebende Marine sind
hauptsächlich den Anstrengungen des Letztern zu danken. Die Schuldenreguliruug,
die Bravo Murillo durchgesetzt hat, ist ein großes Glück für Spanien — falls
der Staat sich im Stande weiß, seinen neuen Verpflichtungen nachzukommen.
Im andern Fall wäre der daraus erwachsende Schaden für den zukünftigen Ctedit
des Landes unberechenbar. Und sicher ist das günstige Resultat noch keineswegs;
nach den neuesten officiellen Veröffentlichungen ist die sehr bedeutende schwebende
Schuld (über 350,000,000 Realen) noch in Besorgniß erregendem. Steigen, und
die Einkünfte des laufenden Jahres scheinen bedeutend hinter den Voranschlägen
zurückzubleiben.

Die Fürsprecher des Absolutismus weisen auch in Spanien stets darauf hin,
wie sehr durch die parlamentarische Maschine der Gang der Lcgislation und Ver¬
waltung gehemmt werde. Dies mag bis zu einem gewissen Grade seine Richtig¬
keit haben. Was aber im einzelnen Falle durch Verschleppung verloren geht, wird
mehr als ersetzt durch die Garantie einer öffentlichen Controle, durch den steten
Anschein einer rastlosen Opposition, die es nicht gestattet, in jene Erschlaffung
zurückzufallen, die in Spanien Jahrhunderte lang an der Tagesordnung war.
Die periodische, noch so erfolgreiche Thätigkeit der Verwaltung ist von geringem
Nutzen, wo die öffentlichen Zustände nicht in sich die Sicherung vor dem Rückfall
in die ärgste Mißregieruug tragen. Die Früchte der glänzenden Epoche Aranda's
gingen in dem Elend und der Versumpfung der Godoy'schen Herrschaft gänzlich
verloren. Ein gesicherter, bürgerlicher Rechtszustand ferner, den Spanien niemals
unter dem Absolutismus erwarten kann, ist, außer daß er ein wesentliches Ele¬
ment materiellen Gedeihens ist, an für sich bin moralisches Gut von dem höchsten
Werthe, und auf seine Erlangung würde die Nation der trügerischen Hoffnung
wegen, damit eine energischere Verwaltung sich zu erkaufen, noch nicht verzichten.

Die Erhebung oder der Sturz des Constitutionalismus in Spanien ist eine
Frage von europäischer Wichtigkeit. Wird die reactiouaire Strömung, welche dem
Jahr 1848 gefolgt ist und die politische Freiheit des Kontinents zu verschlingen
droht, endlich einen Damm finden? Wird Spanien, das der Ansteckung der Februar¬
revolution widerstand, die gefährlichere Ansteckung des Decemberstaatsstreiches von
sich abhalten? Die Entscheidung darüber kann nicht mehr lange sich verzögern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/387>, abgerufen am 22.12.2024.