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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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unbedeutendes Talent im Whistspiel zu entwickeln und seinen Gegner der Verle¬
genheit zu überheben, verlieren und bezahlen zu müssen. Dieser löblichen Eigen¬
schaften wegen war er bald überall ein gern gesehener Gast, der, wenn er auch
nie, weder von seinem Stande noch von seinem Vermögen sprach, doch jedenfalls
ein Kronbeamter sein, und über hübsche Capitalien zu verfügen haben mußte. Der
Adel in der Umgegend blieb hinter der Artigkeit des Städters nicht zurück und
suchte die Bekanntschaft Tschitschikows, um ihn einzuladen und dadurch nähern
Umgang anzubahnen. Es folgen nun eine Reihe von Gelagen und Festen, die, gleich
dem warmen Regen auf dürrem Boden, neues Leben in das Einerlei der Klein¬
städter bringen; man will zeigen, daß man der großen Welt nicht fremd ist, und
läßt Etwas drauf gehen; knalleich fliegen die Champagnerstöpsel gegen die Decke,
in den schlanken Kelchen perlt der schäumende Wein, die Herzen thun sich auf,
die Zunge wird beredter und' die Betheuerungen ewiger Freundschaft, strömen
von den Lippen. Da, mitten im Jubel, richtet der Gast mit bescheidener, fast
zaghafter Stimme die Frage an den Wirth und dessen Freunde: Ist hier in letz¬
ter Zeit irgend eine Seuche gewesen? Habt Ihr viel Seelen verloren?

"Leider, leider", ertönt es dann da von verschiedenen Seiten; "ich habe,
deren so und so viel verloren und muß nun jetzt für sie zahlen."

"Nun, da könntet Ihr mir ja die verstorbenen Seelen verkaufen," erwi¬
derte Tschitschikow noch leiser.

Man kann sich das Erstaunen denken, welches dieser sonderbare Antrag her¬
vorrufen mußte; man sah sich einander an, schüttelte den Kopf, überlegte und --
ging endlich ans den Handel ein. Der Prahler verschenkt seine Todten, der Gei¬
zige will sie nach Möglichkeit hoch an den Mann bringen, und der Spieler setzt sie
auf eine Karte. Die Art und Weise, wie diese Geschäfte geschlossen werden, und
die dabei handelnden Personen malt der Autor mit meisterhaften Zügen.

Nachdem Tschitschikow die Runde gemacht, und überall fetirt worden ist, sieht
er sich im Besitz von tausend Seelen, d. h. ohne lebende Körper, bezahlt von
ihnen die Steuer, und macht bei dem Gubernium die Anzeige, er beabsichtige,
in weiter Entfernung eine Niederlassung zu gründen. Diese Aeußerung bringt
alle seine Freunde und Bekannte in Bewegung, und wird Ursache zu tausenderlei
Muthmaßungen und Rathschlägen. Die Einen fürchten, das Bauernvolk könne
ihm davonlaufen oder sich unterwegs auflehnen, die Anderen streiten sich über die
nachtheiligen Folgen, welche ein Orts- und Klimawechsel in Betreff der zu stiftenden
Kolonie nach sich ziehen können; hier, ruft man: "Der Russe akklimatistrt sich
leicht", dort bestreitet man es.

Von Tag zu Tag stieg Tschitschikow in der Gunst des Publicums. Wer im
Verlauf einer Woche tausend Seelen kaufen konnte, war eine wohl zu beachtende
Persönlichkeit; dies wußte der weibliche Theil der Bevölkerung ganz besonders
genau, und sowol die heirathsfähigen Mädchen als auch deren Mütter richteten


unbedeutendes Talent im Whistspiel zu entwickeln und seinen Gegner der Verle¬
genheit zu überheben, verlieren und bezahlen zu müssen. Dieser löblichen Eigen¬
schaften wegen war er bald überall ein gern gesehener Gast, der, wenn er auch
nie, weder von seinem Stande noch von seinem Vermögen sprach, doch jedenfalls
ein Kronbeamter sein, und über hübsche Capitalien zu verfügen haben mußte. Der
Adel in der Umgegend blieb hinter der Artigkeit des Städters nicht zurück und
suchte die Bekanntschaft Tschitschikows, um ihn einzuladen und dadurch nähern
Umgang anzubahnen. Es folgen nun eine Reihe von Gelagen und Festen, die, gleich
dem warmen Regen auf dürrem Boden, neues Leben in das Einerlei der Klein¬
städter bringen; man will zeigen, daß man der großen Welt nicht fremd ist, und
läßt Etwas drauf gehen; knalleich fliegen die Champagnerstöpsel gegen die Decke,
in den schlanken Kelchen perlt der schäumende Wein, die Herzen thun sich auf,
die Zunge wird beredter und' die Betheuerungen ewiger Freundschaft, strömen
von den Lippen. Da, mitten im Jubel, richtet der Gast mit bescheidener, fast
zaghafter Stimme die Frage an den Wirth und dessen Freunde: Ist hier in letz¬
ter Zeit irgend eine Seuche gewesen? Habt Ihr viel Seelen verloren?

„Leider, leider", ertönt es dann da von verschiedenen Seiten; „ich habe,
deren so und so viel verloren und muß nun jetzt für sie zahlen."

„Nun, da könntet Ihr mir ja die verstorbenen Seelen verkaufen," erwi¬
derte Tschitschikow noch leiser.

Man kann sich das Erstaunen denken, welches dieser sonderbare Antrag her¬
vorrufen mußte; man sah sich einander an, schüttelte den Kopf, überlegte und —
ging endlich ans den Handel ein. Der Prahler verschenkt seine Todten, der Gei¬
zige will sie nach Möglichkeit hoch an den Mann bringen, und der Spieler setzt sie
auf eine Karte. Die Art und Weise, wie diese Geschäfte geschlossen werden, und
die dabei handelnden Personen malt der Autor mit meisterhaften Zügen.

Nachdem Tschitschikow die Runde gemacht, und überall fetirt worden ist, sieht
er sich im Besitz von tausend Seelen, d. h. ohne lebende Körper, bezahlt von
ihnen die Steuer, und macht bei dem Gubernium die Anzeige, er beabsichtige,
in weiter Entfernung eine Niederlassung zu gründen. Diese Aeußerung bringt
alle seine Freunde und Bekannte in Bewegung, und wird Ursache zu tausenderlei
Muthmaßungen und Rathschlägen. Die Einen fürchten, das Bauernvolk könne
ihm davonlaufen oder sich unterwegs auflehnen, die Anderen streiten sich über die
nachtheiligen Folgen, welche ein Orts- und Klimawechsel in Betreff der zu stiftenden
Kolonie nach sich ziehen können; hier, ruft man: „Der Russe akklimatistrt sich
leicht", dort bestreitet man es.

Von Tag zu Tag stieg Tschitschikow in der Gunst des Publicums. Wer im
Verlauf einer Woche tausend Seelen kaufen konnte, war eine wohl zu beachtende
Persönlichkeit; dies wußte der weibliche Theil der Bevölkerung ganz besonders
genau, und sowol die heirathsfähigen Mädchen als auch deren Mütter richteten


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[0033] unbedeutendes Talent im Whistspiel zu entwickeln und seinen Gegner der Verle¬ genheit zu überheben, verlieren und bezahlen zu müssen. Dieser löblichen Eigen¬ schaften wegen war er bald überall ein gern gesehener Gast, der, wenn er auch nie, weder von seinem Stande noch von seinem Vermögen sprach, doch jedenfalls ein Kronbeamter sein, und über hübsche Capitalien zu verfügen haben mußte. Der Adel in der Umgegend blieb hinter der Artigkeit des Städters nicht zurück und suchte die Bekanntschaft Tschitschikows, um ihn einzuladen und dadurch nähern Umgang anzubahnen. Es folgen nun eine Reihe von Gelagen und Festen, die, gleich dem warmen Regen auf dürrem Boden, neues Leben in das Einerlei der Klein¬ städter bringen; man will zeigen, daß man der großen Welt nicht fremd ist, und läßt Etwas drauf gehen; knalleich fliegen die Champagnerstöpsel gegen die Decke, in den schlanken Kelchen perlt der schäumende Wein, die Herzen thun sich auf, die Zunge wird beredter und' die Betheuerungen ewiger Freundschaft, strömen von den Lippen. Da, mitten im Jubel, richtet der Gast mit bescheidener, fast zaghafter Stimme die Frage an den Wirth und dessen Freunde: Ist hier in letz¬ ter Zeit irgend eine Seuche gewesen? Habt Ihr viel Seelen verloren? „Leider, leider", ertönt es dann da von verschiedenen Seiten; „ich habe, deren so und so viel verloren und muß nun jetzt für sie zahlen." „Nun, da könntet Ihr mir ja die verstorbenen Seelen verkaufen," erwi¬ derte Tschitschikow noch leiser. Man kann sich das Erstaunen denken, welches dieser sonderbare Antrag her¬ vorrufen mußte; man sah sich einander an, schüttelte den Kopf, überlegte und — ging endlich ans den Handel ein. Der Prahler verschenkt seine Todten, der Gei¬ zige will sie nach Möglichkeit hoch an den Mann bringen, und der Spieler setzt sie auf eine Karte. Die Art und Weise, wie diese Geschäfte geschlossen werden, und die dabei handelnden Personen malt der Autor mit meisterhaften Zügen. Nachdem Tschitschikow die Runde gemacht, und überall fetirt worden ist, sieht er sich im Besitz von tausend Seelen, d. h. ohne lebende Körper, bezahlt von ihnen die Steuer, und macht bei dem Gubernium die Anzeige, er beabsichtige, in weiter Entfernung eine Niederlassung zu gründen. Diese Aeußerung bringt alle seine Freunde und Bekannte in Bewegung, und wird Ursache zu tausenderlei Muthmaßungen und Rathschlägen. Die Einen fürchten, das Bauernvolk könne ihm davonlaufen oder sich unterwegs auflehnen, die Anderen streiten sich über die nachtheiligen Folgen, welche ein Orts- und Klimawechsel in Betreff der zu stiftenden Kolonie nach sich ziehen können; hier, ruft man: „Der Russe akklimatistrt sich leicht", dort bestreitet man es. Von Tag zu Tag stieg Tschitschikow in der Gunst des Publicums. Wer im Verlauf einer Woche tausend Seelen kaufen konnte, war eine wohl zu beachtende Persönlichkeit; dies wußte der weibliche Theil der Bevölkerung ganz besonders genau, und sowol die heirathsfähigen Mädchen als auch deren Mütter richteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/33>, abgerufen am 22.12.2024.