Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.und Weise, wie die Benthamisten ihre Idee der Nützlichkeit im Einzelnen^ aus¬ Carlyle war 1796 in Middlebie geboren, sein Vater, ein unbemittelter Päch¬ und Weise, wie die Benthamisten ihre Idee der Nützlichkeit im Einzelnen^ aus¬ Carlyle war 1796 in Middlebie geboren, sein Vater, ein unbemittelter Päch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94674"/> <p xml:id="ID_749" prev="#ID_748"> und Weise, wie die Benthamisten ihre Idee der Nützlichkeit im Einzelnen^ aus¬<lb/> führten, war allerdings ebenso eine Beleidigung gegen den gesunden Menschen¬<lb/> verstand als gegen das natürliche Gefühl. Sie machten es gerade so wie die<lb/> Casuisten der katholischen Kirche; sie betrachteten jedes einzelne Factum lediglich<lb/> nach seinen endlichen Beziehungen, untersuchten den Werth dieser Beziehungen<lb/> und bestimmten danach den Werth der Sache selbst, so z. B. den Mord, das<lb/> Ehrgefühl u. s. w. Namentlich wurde die Religion nur von der Seite gewür¬<lb/> digt, welchen unmittelbaren Einfluß sie auf das gewöhnliche praktische Leben aus¬<lb/> übe. Wenn dergleichen nicht auf ein flaches Spiel des Witzes oder des Scharf¬<lb/> sinns hinausläuft, so endet es geradezu in Ruchlosigkeit, und die Irrthümer des<lb/> Verstandes greifen dann ins sittliche Leben ein. Es ist daher von Carlyle ein<lb/> großes Verdienst, gegen diesen Atomismus der Gedanken mit kühner Entschlossen¬<lb/> heit die.Fahne des Idealismus aufgepflanzt, und das Wesen des Guten, Rechten<lb/> und Schonen seinen zufälligen endlichen Beziehungen entrückt zu haben. Es war<lb/> natürlich, daß er dadurch mit den geläufigen Ansichten über Politik, Religion<lb/> und Sittlichkeit in Conflict kam und häufig den Verdacht erregte, zu den ge¬<lb/> wöhnlichen Gegnern dieser herrschenden Ansichten, d. h. zu den Orthodoxen und<lb/> Aristokraten zu gehören. Allein er war diesen ebenso entgegengesetzt, als den ge¬<lb/> wöhnlichen Aufklärern, und mußte sich dann wieder gefallen lassen, von dieser<lb/> Seite aus revolutionairer und socialistischer Gesinnung beschuldigt zu werden.<lb/> .Zwar wird durch diese doppelte Stellung die Freiheit und Originalität seines<lb/> Denkens erwiesen, aber zugleich die Klarheit und Bestimmtheit seiner Gedanken<lb/> in ein bedenkliches Licht gestellt; denn von allen Seiten mißverstanden zu wer¬<lb/> den, ist zwar zuweilen das Loos des Genies, aber immer nur des Genies von<lb/> einer unvollkommenen Bildung.</p><lb/> <p xml:id="ID_750" next="#ID_751"> Carlyle war 1796 in Middlebie geboren, sein Vater, ein unbemittelter Päch¬<lb/> ter, war ein streng religiöser Mann. In der Schule zeigte er keine große<lb/> Neigung für die classischen Studien, und vielleicht ist' das ein Mangel gewesen,<lb/> der auch auf seine spätere schriftstellerische Laufbahn einen nachtheiligen Einfluß<lb/> ausgeübt hat. 18-13 kam er auf die Universität Edinburg, von seinen Aeltern<lb/> zum geistlichen Beruf bestimmt, trieb aber Mit besonderer Vorliebe das Studium<lb/> der Mathematik, und wurde auch bald nach Ablauf seiner Studienzeit als Lehrer<lb/> der Mathematik angestellt. Es war im Jahre 1823, als er sich ausschließlich<lb/> dem literarischen Beruf widmete. In dieser Zeit erschienen von ihm in der Edin-<lb/> burger Encyclopädie die Artikel Montesquieu, Montaigne, Nelson, Norfolk,<lb/> die beiden Pitt und eine Kritik der Gedichte von Joauna Baillie. In demselben<lb/> Jahre erschien von ihm eine Uebersetzung von Legendre's Geometrie, und eine<lb/> Uebersetzung von Goethe's Wilhelm Meister. Den Schluß dieser Periode macht<lb/> die Lebensbeschreibung Schiller's, die brnchstücksweise im London Magazine<lb/> erschien, und zu einer sehr lebhaften und unausgesetzten Korrespondenz mit Goethe</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0233]
und Weise, wie die Benthamisten ihre Idee der Nützlichkeit im Einzelnen^ aus¬
führten, war allerdings ebenso eine Beleidigung gegen den gesunden Menschen¬
verstand als gegen das natürliche Gefühl. Sie machten es gerade so wie die
Casuisten der katholischen Kirche; sie betrachteten jedes einzelne Factum lediglich
nach seinen endlichen Beziehungen, untersuchten den Werth dieser Beziehungen
und bestimmten danach den Werth der Sache selbst, so z. B. den Mord, das
Ehrgefühl u. s. w. Namentlich wurde die Religion nur von der Seite gewür¬
digt, welchen unmittelbaren Einfluß sie auf das gewöhnliche praktische Leben aus¬
übe. Wenn dergleichen nicht auf ein flaches Spiel des Witzes oder des Scharf¬
sinns hinausläuft, so endet es geradezu in Ruchlosigkeit, und die Irrthümer des
Verstandes greifen dann ins sittliche Leben ein. Es ist daher von Carlyle ein
großes Verdienst, gegen diesen Atomismus der Gedanken mit kühner Entschlossen¬
heit die.Fahne des Idealismus aufgepflanzt, und das Wesen des Guten, Rechten
und Schonen seinen zufälligen endlichen Beziehungen entrückt zu haben. Es war
natürlich, daß er dadurch mit den geläufigen Ansichten über Politik, Religion
und Sittlichkeit in Conflict kam und häufig den Verdacht erregte, zu den ge¬
wöhnlichen Gegnern dieser herrschenden Ansichten, d. h. zu den Orthodoxen und
Aristokraten zu gehören. Allein er war diesen ebenso entgegengesetzt, als den ge¬
wöhnlichen Aufklärern, und mußte sich dann wieder gefallen lassen, von dieser
Seite aus revolutionairer und socialistischer Gesinnung beschuldigt zu werden.
.Zwar wird durch diese doppelte Stellung die Freiheit und Originalität seines
Denkens erwiesen, aber zugleich die Klarheit und Bestimmtheit seiner Gedanken
in ein bedenkliches Licht gestellt; denn von allen Seiten mißverstanden zu wer¬
den, ist zwar zuweilen das Loos des Genies, aber immer nur des Genies von
einer unvollkommenen Bildung.
Carlyle war 1796 in Middlebie geboren, sein Vater, ein unbemittelter Päch¬
ter, war ein streng religiöser Mann. In der Schule zeigte er keine große
Neigung für die classischen Studien, und vielleicht ist' das ein Mangel gewesen,
der auch auf seine spätere schriftstellerische Laufbahn einen nachtheiligen Einfluß
ausgeübt hat. 18-13 kam er auf die Universität Edinburg, von seinen Aeltern
zum geistlichen Beruf bestimmt, trieb aber Mit besonderer Vorliebe das Studium
der Mathematik, und wurde auch bald nach Ablauf seiner Studienzeit als Lehrer
der Mathematik angestellt. Es war im Jahre 1823, als er sich ausschließlich
dem literarischen Beruf widmete. In dieser Zeit erschienen von ihm in der Edin-
burger Encyclopädie die Artikel Montesquieu, Montaigne, Nelson, Norfolk,
die beiden Pitt und eine Kritik der Gedichte von Joauna Baillie. In demselben
Jahre erschien von ihm eine Uebersetzung von Legendre's Geometrie, und eine
Uebersetzung von Goethe's Wilhelm Meister. Den Schluß dieser Periode macht
die Lebensbeschreibung Schiller's, die brnchstücksweise im London Magazine
erschien, und zu einer sehr lebhaften und unausgesetzten Korrespondenz mit Goethe
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |