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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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davon, daß überhaupt der Augenblick für em solches Experiment unglücklich ge¬
wählt war. In den Zeiten stürmischer Krisen bedarf es eines mächtigen, politi¬
schen Banners, um den Volksgeist zu erfassen und für eine Sache zu gewinnen.
Ein solches Banner konnte eine octroyirte Verfassung nie werden. So weit
liberale Sympathien in die Massen gedrungen waren, gehörten dieselben der
Konstitution von 1812 an.

Das Estatuto Real gab aber auch nicht einmal so viel, als von gemäßigten,
aber ernstlich gemeinten liberalen Einrichtungen verlangt werden muß. Es stand
noch weit hinter der französischen Charte von 1830 zurück. Wie diese stellte
es ein sehr beschränktes Wahlrecht ans, ließ aber nicht, wie diese, den Kammern
die Initiative der Gesetzgebung. Mit der ersten Kammer hatte man den Ver¬
such einer Pairie gemacht, die ähnlich, wie die kürzlich in Preußen gescheiterte,
aus von der Krone ernannten, erblichen und lebenslänglichen Mitgliedern
bestand, ein Versuch, der sich wenigstens in Spanien nicht bewährt hat. Das
Estatuto Real ermangelte endlich des Lebensnervs jeder freien Verfassung, der
freien Presse. ES hielt die Censur aufrecht.

Ein solches Zugeständnis) wurde von dem größten Theil der Liberalen, die
damals über die aufgeregten Massen der städtischen Bevölkerungen disponirten,
nur als eine Waffe zur Opposition, als die'Bürgschaft weiterer Concessionen, weil
als ein Zeichen der Hilfsbedürftigkeit der Regierung, betrachtet. Von jenem
Zeitpunkt her stammt die tiefe und nachhaltige Spaltung der großen liberalen
Partei Spaniens in Modcrados und Progressisteu, die schon in den Cortes der
zwanziger Jahre sichtbar, mit der Katastrophe von 1823 und den Leiden eines
zehnjährigen Exil's wiederum verschwunden war.

Nach zwei Jahren eines precairen Bestehens inmitten des tobenden'Bürger¬
kriegs und unaufhörlicher Aufstände der exaltirten Fraction der Liberalen, fiel das
Estatuto Real durch die Militairrevolte von La Granja, welche das Ansehn der
Krone tief compromittirte (1836). Die Königin-Regentin sah sich genöthigt, ein
progressistisches Ministerium zu ernennen, und in die Proclamation der Konstitu¬
tion von 1812 zu willigen, nach deren Bestimmungen eine constituirende Cortes-
versammlung berathen wurde, um die nöthigen Aenderungen jener Verfassung zu
beschließen.

In den Berathungen derselben drangen gemäßigtere Ansichten durch, denen
sich selbst die besonneneren Häupter der Progressisteu zuneigten. Die Allmacht
Einer demokratisch erwählten Versammlung, wie sie die Verfassung von 1812
einsetzte, ward durch die Errichtung eines Senats beseitigt. Für die zweite Kam¬
mer (den Kongreß) ward ein mäßiger Census und eine Wahlperiode von drei
Jahren festgesetzt. Der Senat wurde nach höheren Census- und Altersbedingnngcn
auf 9 Jahre in der Weise gewählt, daß von je drei Kandidaten, welche jedes


davon, daß überhaupt der Augenblick für em solches Experiment unglücklich ge¬
wählt war. In den Zeiten stürmischer Krisen bedarf es eines mächtigen, politi¬
schen Banners, um den Volksgeist zu erfassen und für eine Sache zu gewinnen.
Ein solches Banner konnte eine octroyirte Verfassung nie werden. So weit
liberale Sympathien in die Massen gedrungen waren, gehörten dieselben der
Konstitution von 1812 an.

Das Estatuto Real gab aber auch nicht einmal so viel, als von gemäßigten,
aber ernstlich gemeinten liberalen Einrichtungen verlangt werden muß. Es stand
noch weit hinter der französischen Charte von 1830 zurück. Wie diese stellte
es ein sehr beschränktes Wahlrecht ans, ließ aber nicht, wie diese, den Kammern
die Initiative der Gesetzgebung. Mit der ersten Kammer hatte man den Ver¬
such einer Pairie gemacht, die ähnlich, wie die kürzlich in Preußen gescheiterte,
aus von der Krone ernannten, erblichen und lebenslänglichen Mitgliedern
bestand, ein Versuch, der sich wenigstens in Spanien nicht bewährt hat. Das
Estatuto Real ermangelte endlich des Lebensnervs jeder freien Verfassung, der
freien Presse. ES hielt die Censur aufrecht.

Ein solches Zugeständnis) wurde von dem größten Theil der Liberalen, die
damals über die aufgeregten Massen der städtischen Bevölkerungen disponirten,
nur als eine Waffe zur Opposition, als die'Bürgschaft weiterer Concessionen, weil
als ein Zeichen der Hilfsbedürftigkeit der Regierung, betrachtet. Von jenem
Zeitpunkt her stammt die tiefe und nachhaltige Spaltung der großen liberalen
Partei Spaniens in Modcrados und Progressisteu, die schon in den Cortes der
zwanziger Jahre sichtbar, mit der Katastrophe von 1823 und den Leiden eines
zehnjährigen Exil's wiederum verschwunden war.

Nach zwei Jahren eines precairen Bestehens inmitten des tobenden'Bürger¬
kriegs und unaufhörlicher Aufstände der exaltirten Fraction der Liberalen, fiel das
Estatuto Real durch die Militairrevolte von La Granja, welche das Ansehn der
Krone tief compromittirte (1836). Die Königin-Regentin sah sich genöthigt, ein
progressistisches Ministerium zu ernennen, und in die Proclamation der Konstitu¬
tion von 1812 zu willigen, nach deren Bestimmungen eine constituirende Cortes-
versammlung berathen wurde, um die nöthigen Aenderungen jener Verfassung zu
beschließen.

In den Berathungen derselben drangen gemäßigtere Ansichten durch, denen
sich selbst die besonneneren Häupter der Progressisteu zuneigten. Die Allmacht
Einer demokratisch erwählten Versammlung, wie sie die Verfassung von 1812
einsetzte, ward durch die Errichtung eines Senats beseitigt. Für die zweite Kam¬
mer (den Kongreß) ward ein mäßiger Census und eine Wahlperiode von drei
Jahren festgesetzt. Der Senat wurde nach höheren Census- und Altersbedingnngcn
auf 9 Jahre in der Weise gewählt, daß von je drei Kandidaten, welche jedes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/185>, abgerufen am 22.12.2024.