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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Sammlung, deren sich der Mensch erfreut, nnr im Contrast seiner gewohnten
Lebensweise aufgefaßt werden muß. Das ist bei Eichendorff nicht der Fall. In
seinen Liedern quillt eine Fülle üppiger Natur, aber es fehlt aller Schatten, aller
Gegensatz, und darum eigentlich auch alle bestimmte Gestalt; selbst musikalisch
sind sie nicht abgerundet, denn auch dazu gehört jene sinnige, andachtsvolle Stim¬
mung, die immer noch etwas zurück hält,'in der .man auch in den heitersten
Bildern einen dunkeln Grund der Trauer hcrausempfinden kann.

Eichendorff hat sich einige Male anch an das geschichtlich bewegte Leben
gewagt. Wir haben von ihm drei Trauerspiele: "Meicrbeth's Glück und Ende,"
1828, "Ezzelin da Romano," 1828, und "der letzte Held von Marienburg"
(Heinrich von Plane"), 1830. Im Vergleich mit den Uhland'schen Dramen
verdienen sie unbedingt den Vorzug, denn es sind in ihnen doch wenigstens die
Empfindungen mit einer gewissen Lebhaftigkeit ausgeführt, während bei- Uhland
Alles im trockensten Schematismus bleibt. Aber über die Lyrik gehen sie nicht
hinaus. Wo es darauf ankommt, den Charakteren eine freie, durch ihr eigenes
Wesen bedingte Bewegung zu geben, erlahmt die Kraft des Dichters. Er ist
nnr im Stande, über sie zu reflectiren, freilich mit viel Verstand, Gefühl und
Phantasie. -- Etwas Aehnliches'gilt von seinem Lustspiel: "die Freier," 1833.

Noch eine kleine Novelle müssen wir nachholen, die gleichzeitig mit dem
"Taugenichts" erschien: "Das Marmorbild". Sie behandelt die Sage vom Ve¬
nusberg mit einer für den Stoff sehr wesentlichen Modification, indem sie den
Tempel der heidnischen Göttin aus dem höchst unzweckmäßig gelegenen Hörselbcrge
nach Rom verlegt, wo für die Phantasie des Künstlers die kalten Marmorbilder
plötzlich Farbe und Leben annehmen, und er sich lüstern in die schöne Welt des
Heidenthums vertieft, bis ihn heimische Reminiscenzen erwecken. Man kann dieses
kleine, sehr sauber ausgeführte Phantasiestück als ein Symbol von. der Bedeutung
der antiken Kunst, Religion und Sitte für unsre Zeit betrachten, in welche wir
uns in unsrer classischen Periode gleichfalls vollständig verloren hatten, bis uns
langvergcssene und eben darum im Anfang fremdartig und unheimlich klingende
Glocken- und Orgeltöne diesem Zauber entrissen. Mischte sich auch in diese
christlich-gothischen Stimmen viel Gehässiges und Fanatisches, so waren sie doch
nothwendig, um uns einem Traumleben zu entreißen, in dem wir es ganz ver¬
gessen hatten, daß wir uns eigentlich in einer Schattenwelt bewegten.

Diese freie poetische Thätigkeit müssen wir nun dnrch seine neuesten Schriften
ergänzen, die einen bedenklichem Charakter haben. Vorher geben wir noch
einige Notizen über sein Leben. In Breslau zur akademischen Carriere vor¬
gebildet, studirte er seit 1803 in Halle und Heidelberg Jurisprudenz und hielt
sich nach Beendigung seiner Studien längere Zeit in Paris und Wien auf.
Als der Krieg ausbrach, trat er 1813 als freiwilliger Jäger in die preußische
Armee, wurde bald Osftcier und trat nach Beendigung des Krieges in die ge-


Sammlung, deren sich der Mensch erfreut, nnr im Contrast seiner gewohnten
Lebensweise aufgefaßt werden muß. Das ist bei Eichendorff nicht der Fall. In
seinen Liedern quillt eine Fülle üppiger Natur, aber es fehlt aller Schatten, aller
Gegensatz, und darum eigentlich auch alle bestimmte Gestalt; selbst musikalisch
sind sie nicht abgerundet, denn auch dazu gehört jene sinnige, andachtsvolle Stim¬
mung, die immer noch etwas zurück hält,'in der .man auch in den heitersten
Bildern einen dunkeln Grund der Trauer hcrausempfinden kann.

Eichendorff hat sich einige Male anch an das geschichtlich bewegte Leben
gewagt. Wir haben von ihm drei Trauerspiele: „Meicrbeth's Glück und Ende,"
1828, „Ezzelin da Romano," 1828, und „der letzte Held von Marienburg"
(Heinrich von Plane»), 1830. Im Vergleich mit den Uhland'schen Dramen
verdienen sie unbedingt den Vorzug, denn es sind in ihnen doch wenigstens die
Empfindungen mit einer gewissen Lebhaftigkeit ausgeführt, während bei- Uhland
Alles im trockensten Schematismus bleibt. Aber über die Lyrik gehen sie nicht
hinaus. Wo es darauf ankommt, den Charakteren eine freie, durch ihr eigenes
Wesen bedingte Bewegung zu geben, erlahmt die Kraft des Dichters. Er ist
nnr im Stande, über sie zu reflectiren, freilich mit viel Verstand, Gefühl und
Phantasie. — Etwas Aehnliches'gilt von seinem Lustspiel: „die Freier," 1833.

Noch eine kleine Novelle müssen wir nachholen, die gleichzeitig mit dem
„Taugenichts" erschien: „Das Marmorbild". Sie behandelt die Sage vom Ve¬
nusberg mit einer für den Stoff sehr wesentlichen Modification, indem sie den
Tempel der heidnischen Göttin aus dem höchst unzweckmäßig gelegenen Hörselbcrge
nach Rom verlegt, wo für die Phantasie des Künstlers die kalten Marmorbilder
plötzlich Farbe und Leben annehmen, und er sich lüstern in die schöne Welt des
Heidenthums vertieft, bis ihn heimische Reminiscenzen erwecken. Man kann dieses
kleine, sehr sauber ausgeführte Phantasiestück als ein Symbol von. der Bedeutung
der antiken Kunst, Religion und Sitte für unsre Zeit betrachten, in welche wir
uns in unsrer classischen Periode gleichfalls vollständig verloren hatten, bis uns
langvergcssene und eben darum im Anfang fremdartig und unheimlich klingende
Glocken- und Orgeltöne diesem Zauber entrissen. Mischte sich auch in diese
christlich-gothischen Stimmen viel Gehässiges und Fanatisches, so waren sie doch
nothwendig, um uns einem Traumleben zu entreißen, in dem wir es ganz ver¬
gessen hatten, daß wir uns eigentlich in einer Schattenwelt bewegten.

Diese freie poetische Thätigkeit müssen wir nun dnrch seine neuesten Schriften
ergänzen, die einen bedenklichem Charakter haben. Vorher geben wir noch
einige Notizen über sein Leben. In Breslau zur akademischen Carriere vor¬
gebildet, studirte er seit 1803 in Halle und Heidelberg Jurisprudenz und hielt
sich nach Beendigung seiner Studien längere Zeit in Paris und Wien auf.
Als der Krieg ausbrach, trat er 1813 als freiwilliger Jäger in die preußische
Armee, wurde bald Osftcier und trat nach Beendigung des Krieges in die ge-


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[0176] Sammlung, deren sich der Mensch erfreut, nnr im Contrast seiner gewohnten Lebensweise aufgefaßt werden muß. Das ist bei Eichendorff nicht der Fall. In seinen Liedern quillt eine Fülle üppiger Natur, aber es fehlt aller Schatten, aller Gegensatz, und darum eigentlich auch alle bestimmte Gestalt; selbst musikalisch sind sie nicht abgerundet, denn auch dazu gehört jene sinnige, andachtsvolle Stim¬ mung, die immer noch etwas zurück hält,'in der .man auch in den heitersten Bildern einen dunkeln Grund der Trauer hcrausempfinden kann. Eichendorff hat sich einige Male anch an das geschichtlich bewegte Leben gewagt. Wir haben von ihm drei Trauerspiele: „Meicrbeth's Glück und Ende," 1828, „Ezzelin da Romano," 1828, und „der letzte Held von Marienburg" (Heinrich von Plane»), 1830. Im Vergleich mit den Uhland'schen Dramen verdienen sie unbedingt den Vorzug, denn es sind in ihnen doch wenigstens die Empfindungen mit einer gewissen Lebhaftigkeit ausgeführt, während bei- Uhland Alles im trockensten Schematismus bleibt. Aber über die Lyrik gehen sie nicht hinaus. Wo es darauf ankommt, den Charakteren eine freie, durch ihr eigenes Wesen bedingte Bewegung zu geben, erlahmt die Kraft des Dichters. Er ist nnr im Stande, über sie zu reflectiren, freilich mit viel Verstand, Gefühl und Phantasie. — Etwas Aehnliches'gilt von seinem Lustspiel: „die Freier," 1833. Noch eine kleine Novelle müssen wir nachholen, die gleichzeitig mit dem „Taugenichts" erschien: „Das Marmorbild". Sie behandelt die Sage vom Ve¬ nusberg mit einer für den Stoff sehr wesentlichen Modification, indem sie den Tempel der heidnischen Göttin aus dem höchst unzweckmäßig gelegenen Hörselbcrge nach Rom verlegt, wo für die Phantasie des Künstlers die kalten Marmorbilder plötzlich Farbe und Leben annehmen, und er sich lüstern in die schöne Welt des Heidenthums vertieft, bis ihn heimische Reminiscenzen erwecken. Man kann dieses kleine, sehr sauber ausgeführte Phantasiestück als ein Symbol von. der Bedeutung der antiken Kunst, Religion und Sitte für unsre Zeit betrachten, in welche wir uns in unsrer classischen Periode gleichfalls vollständig verloren hatten, bis uns langvergcssene und eben darum im Anfang fremdartig und unheimlich klingende Glocken- und Orgeltöne diesem Zauber entrissen. Mischte sich auch in diese christlich-gothischen Stimmen viel Gehässiges und Fanatisches, so waren sie doch nothwendig, um uns einem Traumleben zu entreißen, in dem wir es ganz ver¬ gessen hatten, daß wir uns eigentlich in einer Schattenwelt bewegten. Diese freie poetische Thätigkeit müssen wir nun dnrch seine neuesten Schriften ergänzen, die einen bedenklichem Charakter haben. Vorher geben wir noch einige Notizen über sein Leben. In Breslau zur akademischen Carriere vor¬ gebildet, studirte er seit 1803 in Halle und Heidelberg Jurisprudenz und hielt sich nach Beendigung seiner Studien längere Zeit in Paris und Wien auf. Als der Krieg ausbrach, trat er 1813 als freiwilliger Jäger in die preußische Armee, wurde bald Osftcier und trat nach Beendigung des Krieges in die ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/176>, abgerufen am 22.12.2024.