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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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zu beschäftigen. Berthold Auerbach hat sich zum socialen Roman zurückge¬
wendet, und zwar mit innerer Nothwendigkeit. Jeremias Gotthelf kann trotz
seines glänzenden Talents doch auf die Länge Nichts weiter thun, als sich wieder¬
holen, und so bleibt die Dorfgeschichte den frommen Seelen überlassen, die
ihre großen Kinder durch salbungsvolle Kinderbücher erbauen.

Wenn das politische Unwesen sich schon der schönen Literatur bemächtigt hat,
und ihr einen eigenthümlichen Charakter ausdrückt, so muß das natürlich bet der
politischen Literatur in noch viel höherem Grade der Fall sein. Wir dürfen
nur ein beliebiges politisches Blatt aufschlagen, um über die herrschende Unbe-
haglichkeit. Verstimmung und Mutlosigkeit außer Zweifel zu sein. Wir finden
fast in jedem Blatt ein ängstliches Hin- und Herfahren nach den entgegengesetzten
Extremen, einen fieberhaft schnellen Wechsel der Stimmungen, und von jenem
Gleichgewicht der Ideen, welches für die Festigkeit des Charakters das. unent¬
behrliche Erforderniß ist, auch bei den extremen Parteien keine Spur, so sehr
sie 'sich bemühen, sich durch ein künstlich festgehaltenes Pathos den Anschein
dieser Einheit zu geben. Man wird z. B. der Kreuzzeitung nicht 'den Vorwurf
machen wollen, daß sie übertrieben viele Rücksichten nimmt, daß sie, wie man
sich ausdrückt, den Umständen Rechnung trägt; trotzdem fluctuirt die Stimmung
nach allen Seiten hin: heute predigt sie Feindschaft gegen Oestreich im Interesse
Preußens,'morgen Hingebung an Oestreich im Interesse des conservativen Prin-
cips; heute völlige Unterdrückung der Kammern im Interesse des Absolutismus,
morgen Geltung der Kammern im Interesse ihrer eigenen Reden; heute Freiheit
der Presse im Interesse ihres Blatts, morgen Unterdrückung der Presse im
Interesse der Ordnung u. s. w., und wir glauben, daß sie in all' diesen Meta¬
morphosen aufrichtig ist, denn sie sind, alle durch wesentliche Interessen hervor¬
gerufen; aber es geht ihr gerade so wie dew übrigen Parteiblättern, sie hat
nicht den Schwerpunkt gefunden, der die divergirenden Interessen zu einer festen,
conflsienten Gestalt vereinigt. Mit der Demokratie ist es gerade eben so. Sie
hat zwar ihre schönen Stunden, wo sie sich vollständig in einen grinsenden Pessi¬
mismus restgnirt, aber^auch das entschiedenste demokratische Blatt hat doch lichte
Augenblicke, wo es merkt, daß unter allen möglichen Stimmungen der Pessi¬
mismus die einfältigste ist. Was unsre Partei betrifft, so sollte mau bei der
traurigen Stellung, die sie in den Kammern einnimmt, bei der Nothwendigkeit,
in die sie sich versetzt steht, fortwährend schöne Reden zu halten mit der sichern
Aussicht, Nichts dadurch zu erreichen, und bei den Jeremiaden, die sie von Zeit
zu Zeit selber anstimme, das Allerschlimmste erwarten; aber eigentlich, sollte es
doch ein sehr erfreuliches Zeichen sein, daß sie trotz dieser bitteren Verhältnisse
nicht nur enger unter sich zusammenhält, als irgend eine andere Partei, sondern
daß sie auch, wenigstens im Ganzen genommen, in ihren Meinungen consistenter
ist. Die Abweichungen, die in ihrer Mitte von Zeit zu Zeit nach der einen oder


zu beschäftigen. Berthold Auerbach hat sich zum socialen Roman zurückge¬
wendet, und zwar mit innerer Nothwendigkeit. Jeremias Gotthelf kann trotz
seines glänzenden Talents doch auf die Länge Nichts weiter thun, als sich wieder¬
holen, und so bleibt die Dorfgeschichte den frommen Seelen überlassen, die
ihre großen Kinder durch salbungsvolle Kinderbücher erbauen.

Wenn das politische Unwesen sich schon der schönen Literatur bemächtigt hat,
und ihr einen eigenthümlichen Charakter ausdrückt, so muß das natürlich bet der
politischen Literatur in noch viel höherem Grade der Fall sein. Wir dürfen
nur ein beliebiges politisches Blatt aufschlagen, um über die herrschende Unbe-
haglichkeit. Verstimmung und Mutlosigkeit außer Zweifel zu sein. Wir finden
fast in jedem Blatt ein ängstliches Hin- und Herfahren nach den entgegengesetzten
Extremen, einen fieberhaft schnellen Wechsel der Stimmungen, und von jenem
Gleichgewicht der Ideen, welches für die Festigkeit des Charakters das. unent¬
behrliche Erforderniß ist, auch bei den extremen Parteien keine Spur, so sehr
sie 'sich bemühen, sich durch ein künstlich festgehaltenes Pathos den Anschein
dieser Einheit zu geben. Man wird z. B. der Kreuzzeitung nicht 'den Vorwurf
machen wollen, daß sie übertrieben viele Rücksichten nimmt, daß sie, wie man
sich ausdrückt, den Umständen Rechnung trägt; trotzdem fluctuirt die Stimmung
nach allen Seiten hin: heute predigt sie Feindschaft gegen Oestreich im Interesse
Preußens,'morgen Hingebung an Oestreich im Interesse des conservativen Prin-
cips; heute völlige Unterdrückung der Kammern im Interesse des Absolutismus,
morgen Geltung der Kammern im Interesse ihrer eigenen Reden; heute Freiheit
der Presse im Interesse ihres Blatts, morgen Unterdrückung der Presse im
Interesse der Ordnung u. s. w., und wir glauben, daß sie in all' diesen Meta¬
morphosen aufrichtig ist, denn sie sind, alle durch wesentliche Interessen hervor¬
gerufen; aber es geht ihr gerade so wie dew übrigen Parteiblättern, sie hat
nicht den Schwerpunkt gefunden, der die divergirenden Interessen zu einer festen,
conflsienten Gestalt vereinigt. Mit der Demokratie ist es gerade eben so. Sie
hat zwar ihre schönen Stunden, wo sie sich vollständig in einen grinsenden Pessi¬
mismus restgnirt, aber^auch das entschiedenste demokratische Blatt hat doch lichte
Augenblicke, wo es merkt, daß unter allen möglichen Stimmungen der Pessi¬
mismus die einfältigste ist. Was unsre Partei betrifft, so sollte mau bei der
traurigen Stellung, die sie in den Kammern einnimmt, bei der Nothwendigkeit,
in die sie sich versetzt steht, fortwährend schöne Reden zu halten mit der sichern
Aussicht, Nichts dadurch zu erreichen, und bei den Jeremiaden, die sie von Zeit
zu Zeit selber anstimme, das Allerschlimmste erwarten; aber eigentlich, sollte es
doch ein sehr erfreuliches Zeichen sein, daß sie trotz dieser bitteren Verhältnisse
nicht nur enger unter sich zusammenhält, als irgend eine andere Partei, sondern
daß sie auch, wenigstens im Ganzen genommen, in ihren Meinungen consistenter
ist. Die Abweichungen, die in ihrer Mitte von Zeit zu Zeit nach der einen oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/17>, abgerufen am 22.12.2024.