Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nein neuen Unternehmen zu machen. -- Daß ein Institut von liberalem Zu¬
schnitt, unabhängig von den Launen der Sänger wie des Publicums, sich der
Aufgabe unterzog, die auf anderen Buhne" zurückgewiesenen Werke bedeutender
Künstler zur Aufführung zu bringen, war also im höchsten Grade wünschenswert^

Niemand konnte geeigneter für ein solches Unternehmen fein, als Franz
Liszt. Die Hauptschwierigkeit seiner Aufgabe bestand darin, den passiven Wider¬
stand gegen jede neue und ungewöhnliche Erscheinung zu überwinden. Liszt's
Persönlichkeit hat einen fasciuirenden Einfluß auf Alle, die mit ihm in Berührung
kommen. Es ist ihm in knrzev Zeit gelungen, den Hof, das Publicum von,
Weimar und sein eignes Künstlerpersonal für seine Ideen zu electrifiren; ein
großer und für die Kunst sehr dankenswerther Erfolg. Daß in der Ausführung
seiner Absichten eine gewisse Einseitigkeit stattfand, war nicht schwer zu erklären und
nicht schwer zu entschuldigen, denn wo es vor allen Dingen darauf ankam, den
neuen Leistungen, die um die Anerkennung kämpften, einen Spielraum zu eröff¬
nen, war es kein großer Schade, wenn dieses Neue fast ausschließlich den Plans
behauptete. Eine gewisse Einseitigkeit kaun überhaupt von einem musikalischen
Institut, in dem das Walten einer bedeutenden Persönlichkeit sich fühlbar macht,
nicht getrennt werden. Hat doch selbst das alte, festgegründete Institut der
Leipziger Gewandhausconcerte sich durch die mächtige und liebenswürdige Per¬
sönlichkeit Mendelssohn's noch lange nach seinem Tode bestimmen lassen. Es.
kommt überhaupt gar nicht darauf an, daß i" jedem der einzelnen Kunstinstitute
die Universalität der Kunst zur Erscheinung gelaugt. . Wenn nur in ihm ein fri¬
sches individuelles Leben waltet, so wird es seinen Theil zum Gedeihen der
nationalen Kunst redlich beitragen.

So weit geht unsre Anerkennung der Bestrebungen Franz Liszt'S. Die
Bedenken, die,wi.r dagegen aufstellen müssen, sind folgende:

Erstens. Wir sagten oben, daß die Einseitigkeit der Richtung an sich Nichts
schade, aber die Einseitigkeit, die in Weimar herrscht, ist eine gefährliche. Die
Aufgabe der Musik ist doch überall, Stimmungen und Gefühle so klar und dent-
lich auszusprechen, wie das Wort sie nicht auszusprechen vermag, und diesen
Stimmungen und Gefühlen trojz aller Disharmonie, die in ihnen zu walten scheint,
einen schönen und harmonische" Ausdruck zu geben. Wie künstlich die Mittel sein
mögen, die sie anwendet, kommt hierbei nicht in Betracht; das Resultat muß
immer dasselbe sein. Ein einfaches Volkslied oder eine im höchsten Styl ge¬
schriebene Symphonie, beide müssen die Welt der Empfindung zu einer deutliche"
und schöne" Erscheinung bringen.

Nun hat sich aber der deutschen Musik die Neigung bemächtigt, der Deut¬
lichkeit des Ausdrucks durch Verwischung der Formen und der Deutlichkeit der
Empfindmig dnrch Raffinement des Empfindens entgegen zu arbeiten. Auch das
ist eine Richtung, die ihre theilweise Berechtigung hat, den" auch für seiue, mit


nein neuen Unternehmen zu machen. — Daß ein Institut von liberalem Zu¬
schnitt, unabhängig von den Launen der Sänger wie des Publicums, sich der
Aufgabe unterzog, die auf anderen Buhne» zurückgewiesenen Werke bedeutender
Künstler zur Aufführung zu bringen, war also im höchsten Grade wünschenswert^

Niemand konnte geeigneter für ein solches Unternehmen fein, als Franz
Liszt. Die Hauptschwierigkeit seiner Aufgabe bestand darin, den passiven Wider¬
stand gegen jede neue und ungewöhnliche Erscheinung zu überwinden. Liszt's
Persönlichkeit hat einen fasciuirenden Einfluß auf Alle, die mit ihm in Berührung
kommen. Es ist ihm in knrzev Zeit gelungen, den Hof, das Publicum von,
Weimar und sein eignes Künstlerpersonal für seine Ideen zu electrifiren; ein
großer und für die Kunst sehr dankenswerther Erfolg. Daß in der Ausführung
seiner Absichten eine gewisse Einseitigkeit stattfand, war nicht schwer zu erklären und
nicht schwer zu entschuldigen, denn wo es vor allen Dingen darauf ankam, den
neuen Leistungen, die um die Anerkennung kämpften, einen Spielraum zu eröff¬
nen, war es kein großer Schade, wenn dieses Neue fast ausschließlich den Plans
behauptete. Eine gewisse Einseitigkeit kaun überhaupt von einem musikalischen
Institut, in dem das Walten einer bedeutenden Persönlichkeit sich fühlbar macht,
nicht getrennt werden. Hat doch selbst das alte, festgegründete Institut der
Leipziger Gewandhausconcerte sich durch die mächtige und liebenswürdige Per¬
sönlichkeit Mendelssohn's noch lange nach seinem Tode bestimmen lassen. Es.
kommt überhaupt gar nicht darauf an, daß i» jedem der einzelnen Kunstinstitute
die Universalität der Kunst zur Erscheinung gelaugt. . Wenn nur in ihm ein fri¬
sches individuelles Leben waltet, so wird es seinen Theil zum Gedeihen der
nationalen Kunst redlich beitragen.

So weit geht unsre Anerkennung der Bestrebungen Franz Liszt'S. Die
Bedenken, die,wi.r dagegen aufstellen müssen, sind folgende:

Erstens. Wir sagten oben, daß die Einseitigkeit der Richtung an sich Nichts
schade, aber die Einseitigkeit, die in Weimar herrscht, ist eine gefährliche. Die
Aufgabe der Musik ist doch überall, Stimmungen und Gefühle so klar und dent-
lich auszusprechen, wie das Wort sie nicht auszusprechen vermag, und diesen
Stimmungen und Gefühlen trojz aller Disharmonie, die in ihnen zu walten scheint,
einen schönen und harmonische» Ausdruck zu geben. Wie künstlich die Mittel sein
mögen, die sie anwendet, kommt hierbei nicht in Betracht; das Resultat muß
immer dasselbe sein. Ein einfaches Volkslied oder eine im höchsten Styl ge¬
schriebene Symphonie, beide müssen die Welt der Empfindung zu einer deutliche»
und schöne» Erscheinung bringen.

Nun hat sich aber der deutschen Musik die Neigung bemächtigt, der Deut¬
lichkeit des Ausdrucks durch Verwischung der Formen und der Deutlichkeit der
Empfindmig dnrch Raffinement des Empfindens entgegen zu arbeiten. Auch das
ist eine Richtung, die ihre theilweise Berechtigung hat, den» auch für seiue, mit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94551"/>
          <p xml:id="ID_274" prev="#ID_273"> nein neuen Unternehmen zu machen. &#x2014; Daß ein Institut von liberalem Zu¬<lb/>
schnitt, unabhängig von den Launen der Sänger wie des Publicums, sich der<lb/>
Aufgabe unterzog, die auf anderen Buhne» zurückgewiesenen Werke bedeutender<lb/>
Künstler zur Aufführung zu bringen, war also im höchsten Grade wünschenswert^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_275"> Niemand konnte geeigneter für ein solches Unternehmen fein, als Franz<lb/>
Liszt. Die Hauptschwierigkeit seiner Aufgabe bestand darin, den passiven Wider¬<lb/>
stand gegen jede neue und ungewöhnliche Erscheinung zu überwinden. Liszt's<lb/>
Persönlichkeit hat einen fasciuirenden Einfluß auf Alle, die mit ihm in Berührung<lb/>
kommen. Es ist ihm in knrzev Zeit gelungen, den Hof, das Publicum von,<lb/>
Weimar und sein eignes Künstlerpersonal für seine Ideen zu electrifiren; ein<lb/>
großer und für die Kunst sehr dankenswerther Erfolg. Daß in der Ausführung<lb/>
seiner Absichten eine gewisse Einseitigkeit stattfand, war nicht schwer zu erklären und<lb/>
nicht schwer zu entschuldigen, denn wo es vor allen Dingen darauf ankam, den<lb/>
neuen Leistungen, die um die Anerkennung kämpften, einen Spielraum zu eröff¬<lb/>
nen, war es kein großer Schade, wenn dieses Neue fast ausschließlich den Plans<lb/>
behauptete. Eine gewisse Einseitigkeit kaun überhaupt von einem musikalischen<lb/>
Institut, in dem das Walten einer bedeutenden Persönlichkeit sich fühlbar macht,<lb/>
nicht getrennt werden. Hat doch selbst das alte, festgegründete Institut der<lb/>
Leipziger Gewandhausconcerte sich durch die mächtige und liebenswürdige Per¬<lb/>
sönlichkeit Mendelssohn's noch lange nach seinem Tode bestimmen lassen. Es.<lb/>
kommt überhaupt gar nicht darauf an, daß i» jedem der einzelnen Kunstinstitute<lb/>
die Universalität der Kunst zur Erscheinung gelaugt. . Wenn nur in ihm ein fri¬<lb/>
sches individuelles Leben waltet, so wird es seinen Theil zum Gedeihen der<lb/>
nationalen Kunst redlich beitragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_276"> So weit geht unsre Anerkennung der Bestrebungen Franz Liszt'S. Die<lb/>
Bedenken, die,wi.r dagegen aufstellen müssen, sind folgende:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_277"> Erstens. Wir sagten oben, daß die Einseitigkeit der Richtung an sich Nichts<lb/>
schade, aber die Einseitigkeit, die in Weimar herrscht, ist eine gefährliche. Die<lb/>
Aufgabe der Musik ist doch überall, Stimmungen und Gefühle so klar und dent-<lb/>
lich auszusprechen, wie das Wort sie nicht auszusprechen vermag, und diesen<lb/>
Stimmungen und Gefühlen trojz aller Disharmonie, die in ihnen zu walten scheint,<lb/>
einen schönen und harmonische» Ausdruck zu geben. Wie künstlich die Mittel sein<lb/>
mögen, die sie anwendet, kommt hierbei nicht in Betracht; das Resultat muß<lb/>
immer dasselbe sein. Ein einfaches Volkslied oder eine im höchsten Styl ge¬<lb/>
schriebene Symphonie, beide müssen die Welt der Empfindung zu einer deutliche»<lb/>
und schöne» Erscheinung bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_278" next="#ID_279"> Nun hat sich aber der deutschen Musik die Neigung bemächtigt, der Deut¬<lb/>
lichkeit des Ausdrucks durch Verwischung der Formen und der Deutlichkeit der<lb/>
Empfindmig dnrch Raffinement des Empfindens entgegen zu arbeiten. Auch das<lb/>
ist eine Richtung, die ihre theilweise Berechtigung hat, den» auch für seiue, mit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] nein neuen Unternehmen zu machen. — Daß ein Institut von liberalem Zu¬ schnitt, unabhängig von den Launen der Sänger wie des Publicums, sich der Aufgabe unterzog, die auf anderen Buhne» zurückgewiesenen Werke bedeutender Künstler zur Aufführung zu bringen, war also im höchsten Grade wünschenswert^ Niemand konnte geeigneter für ein solches Unternehmen fein, als Franz Liszt. Die Hauptschwierigkeit seiner Aufgabe bestand darin, den passiven Wider¬ stand gegen jede neue und ungewöhnliche Erscheinung zu überwinden. Liszt's Persönlichkeit hat einen fasciuirenden Einfluß auf Alle, die mit ihm in Berührung kommen. Es ist ihm in knrzev Zeit gelungen, den Hof, das Publicum von, Weimar und sein eignes Künstlerpersonal für seine Ideen zu electrifiren; ein großer und für die Kunst sehr dankenswerther Erfolg. Daß in der Ausführung seiner Absichten eine gewisse Einseitigkeit stattfand, war nicht schwer zu erklären und nicht schwer zu entschuldigen, denn wo es vor allen Dingen darauf ankam, den neuen Leistungen, die um die Anerkennung kämpften, einen Spielraum zu eröff¬ nen, war es kein großer Schade, wenn dieses Neue fast ausschließlich den Plans behauptete. Eine gewisse Einseitigkeit kaun überhaupt von einem musikalischen Institut, in dem das Walten einer bedeutenden Persönlichkeit sich fühlbar macht, nicht getrennt werden. Hat doch selbst das alte, festgegründete Institut der Leipziger Gewandhausconcerte sich durch die mächtige und liebenswürdige Per¬ sönlichkeit Mendelssohn's noch lange nach seinem Tode bestimmen lassen. Es. kommt überhaupt gar nicht darauf an, daß i» jedem der einzelnen Kunstinstitute die Universalität der Kunst zur Erscheinung gelaugt. . Wenn nur in ihm ein fri¬ sches individuelles Leben waltet, so wird es seinen Theil zum Gedeihen der nationalen Kunst redlich beitragen. So weit geht unsre Anerkennung der Bestrebungen Franz Liszt'S. Die Bedenken, die,wi.r dagegen aufstellen müssen, sind folgende: Erstens. Wir sagten oben, daß die Einseitigkeit der Richtung an sich Nichts schade, aber die Einseitigkeit, die in Weimar herrscht, ist eine gefährliche. Die Aufgabe der Musik ist doch überall, Stimmungen und Gefühle so klar und dent- lich auszusprechen, wie das Wort sie nicht auszusprechen vermag, und diesen Stimmungen und Gefühlen trojz aller Disharmonie, die in ihnen zu walten scheint, einen schönen und harmonische» Ausdruck zu geben. Wie künstlich die Mittel sein mögen, die sie anwendet, kommt hierbei nicht in Betracht; das Resultat muß immer dasselbe sein. Ein einfaches Volkslied oder eine im höchsten Styl ge¬ schriebene Symphonie, beide müssen die Welt der Empfindung zu einer deutliche» und schöne» Erscheinung bringen. Nun hat sich aber der deutschen Musik die Neigung bemächtigt, der Deut¬ lichkeit des Ausdrucks durch Verwischung der Formen und der Deutlichkeit der Empfindmig dnrch Raffinement des Empfindens entgegen zu arbeiten. Auch das ist eine Richtung, die ihre theilweise Berechtigung hat, den» auch für seiue, mit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/110>, abgerufen am 22.12.2024.