Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

obgleich man auch hier vorausschicken muß, es ist für die Guten und nicht
für die Bösen. Frau von Arnim war damals 30 Jahr alt; sie drückt sich aber
dem jungen Dichter gegenüber gerade so aus, wie als 22jährigeS Kind gegen
den 60jährigen Goethe. Sehr komisch ist es, wie er sich dann in die Goethe-
Positur setzt, um seine Verlegenheit hinter Geheimraths-Mienen zu verbergen.
Sie schreibt ihm: Ich liebe Dich über Alles, ich küsse, Dir Hände und Füßezc.;
er antwortet feierlich: Wenn man das Menschenleben im Allgemeinen erwägt und
betrachtet ?c. Natürlich ist auch dieses ganze Verhältniß symbolisch zu betrachten.
Sie liebt in ihm das Bild der aufstrebenden Jngend, wie sie in Goethe das
Bild der Poesie geliebt hatte; aber dergleichen symbolische Verhältnisse sind doch
von Persönlichkeiten nicht ganz zu trennen, und so kommt etwas Unsicheres, Quä¬
lendes herein, das deu Verkehr zuletzt unerträglich macht. Eifersucht, gegen¬
seitige Anklage, Mißverständnis), ungleiche Stimmung, das alles wuchert in
einer solchen Beziehung eben so, wie in einem gewöhnlichen Liebesverhältniß;
aber in diesem Fall können wir uns vollständig in die Seele der beiden Bethei-
ligten versetzen, es ist uns Nichts unverständlich und Nichts unwahr. Wenn der
Eine von Beiden in Extravaganzen geräth, so giebt das dem Andern Gelegen¬
heit, ihn zu railliren und ihn mit Verstand und Geist in die richtige Bahn zu
lenken. Es versteht sich von selbst, daß auch hier Bettine in der Regel die Stärkere
ist,, nicht blos wegen ihrer überlegenen Bildung, sondern auch wegen der großem
Freiheit ihres Gemüths. Nathusius bemüht sich immer, in,den Lauf ihrer Em¬
pfindungen einen gewissen Zusammenhang zu bringen, während sie nnr im Augen¬
blick lebt; heut ist sie Mutter, morgen Kind, dann hingebende Geliebte, aber
wenn es darauf ankommt, auch wieder die gnädige Fran. -- Bei alle dem kommt
es einem sonderbar vor, solche Herzensgeheimnisse dem Publicum vorgelegt zu
sehen, und es ist das vielleicht eins der stärksten Symptome jener Emancipatjous-
ideen, unter denen man in der Regel nichts Bestimmtes versteht, die aber immer,
darauf heraus kommen, das Weib seiner eigentlichen Bestimmung, dem Privat¬
leben, zu entziehe", und sie dein öffentlichen Preis zu geben. Am wenigsten
ernst ist in solchen'Fällen die scheinbare Resignation zu nehmen, mit der z. B.
Bettine einmal sagt: "Es kommt mir nicht darauf an, geliebt zu sein, mein
Ideal ist diese Ironie in der Liebe, die dazu lächelt, daß sie es nicht erreicht,
nicht aber klagt, daß sie verlassen ist."

Das Verhältniß löste sich schon zum Theil, als Nathusius nach Italien ging,
statt sich nach ihrem Willen mit den Gebrüdeü: Grimm an der Ausgabe der
Arnim'schen Werke zu betheiligen; wenigstens hatte es seit der Zeit immer etwas
sehr Unerquickliches. Es löste sich ganz, als Nathusius sich 1841 verheiratete.
Er ist seitdem fromm geworden, giebt ein pietistisches Volksblatt heraus, und
nimmt sich mit großem Eifer der innern Mission an; ein Ausgang, der nicht


Grmzlwten, II, . ' 62

obgleich man auch hier vorausschicken muß, es ist für die Guten und nicht
für die Bösen. Frau von Arnim war damals 30 Jahr alt; sie drückt sich aber
dem jungen Dichter gegenüber gerade so aus, wie als 22jährigeS Kind gegen
den 60jährigen Goethe. Sehr komisch ist es, wie er sich dann in die Goethe-
Positur setzt, um seine Verlegenheit hinter Geheimraths-Mienen zu verbergen.
Sie schreibt ihm: Ich liebe Dich über Alles, ich küsse, Dir Hände und Füßezc.;
er antwortet feierlich: Wenn man das Menschenleben im Allgemeinen erwägt und
betrachtet ?c. Natürlich ist auch dieses ganze Verhältniß symbolisch zu betrachten.
Sie liebt in ihm das Bild der aufstrebenden Jngend, wie sie in Goethe das
Bild der Poesie geliebt hatte; aber dergleichen symbolische Verhältnisse sind doch
von Persönlichkeiten nicht ganz zu trennen, und so kommt etwas Unsicheres, Quä¬
lendes herein, das deu Verkehr zuletzt unerträglich macht. Eifersucht, gegen¬
seitige Anklage, Mißverständnis), ungleiche Stimmung, das alles wuchert in
einer solchen Beziehung eben so, wie in einem gewöhnlichen Liebesverhältniß;
aber in diesem Fall können wir uns vollständig in die Seele der beiden Bethei-
ligten versetzen, es ist uns Nichts unverständlich und Nichts unwahr. Wenn der
Eine von Beiden in Extravaganzen geräth, so giebt das dem Andern Gelegen¬
heit, ihn zu railliren und ihn mit Verstand und Geist in die richtige Bahn zu
lenken. Es versteht sich von selbst, daß auch hier Bettine in der Regel die Stärkere
ist,, nicht blos wegen ihrer überlegenen Bildung, sondern auch wegen der großem
Freiheit ihres Gemüths. Nathusius bemüht sich immer, in,den Lauf ihrer Em¬
pfindungen einen gewissen Zusammenhang zu bringen, während sie nnr im Augen¬
blick lebt; heut ist sie Mutter, morgen Kind, dann hingebende Geliebte, aber
wenn es darauf ankommt, auch wieder die gnädige Fran. — Bei alle dem kommt
es einem sonderbar vor, solche Herzensgeheimnisse dem Publicum vorgelegt zu
sehen, und es ist das vielleicht eins der stärksten Symptome jener Emancipatjous-
ideen, unter denen man in der Regel nichts Bestimmtes versteht, die aber immer,
darauf heraus kommen, das Weib seiner eigentlichen Bestimmung, dem Privat¬
leben, zu entziehe», und sie dein öffentlichen Preis zu geben. Am wenigsten
ernst ist in solchen'Fällen die scheinbare Resignation zu nehmen, mit der z. B.
Bettine einmal sagt: „Es kommt mir nicht darauf an, geliebt zu sein, mein
Ideal ist diese Ironie in der Liebe, die dazu lächelt, daß sie es nicht erreicht,
nicht aber klagt, daß sie verlassen ist."

Das Verhältniß löste sich schon zum Theil, als Nathusius nach Italien ging,
statt sich nach ihrem Willen mit den Gebrüdeü: Grimm an der Ausgabe der
Arnim'schen Werke zu betheiligen; wenigstens hatte es seit der Zeit immer etwas
sehr Unerquickliches. Es löste sich ganz, als Nathusius sich 1841 verheiratete.
Er ist seitdem fromm geworden, giebt ein pietistisches Volksblatt heraus, und
nimmt sich mit großem Eifer der innern Mission an; ein Ausgang, der nicht


Grmzlwten, II, . ' 62
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94402"/>
            <p xml:id="ID_1499" prev="#ID_1498"> obgleich man auch hier vorausschicken muß, es ist für die Guten und nicht<lb/>
für die Bösen. Frau von Arnim war damals 30 Jahr alt; sie drückt sich aber<lb/>
dem jungen Dichter gegenüber gerade so aus, wie als 22jährigeS Kind gegen<lb/>
den 60jährigen Goethe. Sehr komisch ist es, wie er sich dann in die Goethe-<lb/>
Positur setzt, um seine Verlegenheit hinter Geheimraths-Mienen zu verbergen.<lb/>
Sie schreibt ihm: Ich liebe Dich über Alles, ich küsse, Dir Hände und Füßezc.;<lb/>
er antwortet feierlich: Wenn man das Menschenleben im Allgemeinen erwägt und<lb/>
betrachtet ?c. Natürlich ist auch dieses ganze Verhältniß symbolisch zu betrachten.<lb/>
Sie liebt in ihm das Bild der aufstrebenden Jngend, wie sie in Goethe das<lb/>
Bild der Poesie geliebt hatte; aber dergleichen symbolische Verhältnisse sind doch<lb/>
von Persönlichkeiten nicht ganz zu trennen, und so kommt etwas Unsicheres, Quä¬<lb/>
lendes herein, das deu Verkehr zuletzt unerträglich macht. Eifersucht, gegen¬<lb/>
seitige Anklage, Mißverständnis), ungleiche Stimmung, das alles wuchert in<lb/>
einer solchen Beziehung eben so, wie in einem gewöhnlichen Liebesverhältniß;<lb/>
aber in diesem Fall können wir uns vollständig in die Seele der beiden Bethei-<lb/>
ligten versetzen, es ist uns Nichts unverständlich und Nichts unwahr. Wenn der<lb/>
Eine von Beiden in Extravaganzen geräth, so giebt das dem Andern Gelegen¬<lb/>
heit, ihn zu railliren und ihn mit Verstand und Geist in die richtige Bahn zu<lb/>
lenken. Es versteht sich von selbst, daß auch hier Bettine in der Regel die Stärkere<lb/>
ist,, nicht blos wegen ihrer überlegenen Bildung, sondern auch wegen der großem<lb/>
Freiheit ihres Gemüths. Nathusius bemüht sich immer, in,den Lauf ihrer Em¬<lb/>
pfindungen einen gewissen Zusammenhang zu bringen, während sie nnr im Augen¬<lb/>
blick lebt; heut ist sie Mutter, morgen Kind, dann hingebende Geliebte, aber<lb/>
wenn es darauf ankommt, auch wieder die gnädige Fran. &#x2014; Bei alle dem kommt<lb/>
es einem sonderbar vor, solche Herzensgeheimnisse dem Publicum vorgelegt zu<lb/>
sehen, und es ist das vielleicht eins der stärksten Symptome jener Emancipatjous-<lb/>
ideen, unter denen man in der Regel nichts Bestimmtes versteht, die aber immer,<lb/>
darauf heraus kommen, das Weib seiner eigentlichen Bestimmung, dem Privat¬<lb/>
leben, zu entziehe», und sie dein öffentlichen Preis zu geben. Am wenigsten<lb/>
ernst ist in solchen'Fällen die scheinbare Resignation zu nehmen, mit der z. B.<lb/>
Bettine einmal sagt: &#x201E;Es kommt mir nicht darauf an, geliebt zu sein, mein<lb/>
Ideal ist diese Ironie in der Liebe, die dazu lächelt, daß sie es nicht erreicht,<lb/>
nicht aber klagt, daß sie verlassen ist."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1500" next="#ID_1501"> Das Verhältniß löste sich schon zum Theil, als Nathusius nach Italien ging,<lb/>
statt sich nach ihrem Willen mit den Gebrüdeü: Grimm an der Ausgabe der<lb/>
Arnim'schen Werke zu betheiligen; wenigstens hatte es seit der Zeit immer etwas<lb/>
sehr Unerquickliches. Es löste sich ganz, als Nathusius sich 1841 verheiratete.<lb/>
Er ist seitdem fromm geworden, giebt ein pietistisches Volksblatt heraus, und<lb/>
nimmt sich mit großem Eifer der innern Mission an; ein Ausgang, der nicht</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grmzlwten, II, . ' 62</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] obgleich man auch hier vorausschicken muß, es ist für die Guten und nicht für die Bösen. Frau von Arnim war damals 30 Jahr alt; sie drückt sich aber dem jungen Dichter gegenüber gerade so aus, wie als 22jährigeS Kind gegen den 60jährigen Goethe. Sehr komisch ist es, wie er sich dann in die Goethe- Positur setzt, um seine Verlegenheit hinter Geheimraths-Mienen zu verbergen. Sie schreibt ihm: Ich liebe Dich über Alles, ich küsse, Dir Hände und Füßezc.; er antwortet feierlich: Wenn man das Menschenleben im Allgemeinen erwägt und betrachtet ?c. Natürlich ist auch dieses ganze Verhältniß symbolisch zu betrachten. Sie liebt in ihm das Bild der aufstrebenden Jngend, wie sie in Goethe das Bild der Poesie geliebt hatte; aber dergleichen symbolische Verhältnisse sind doch von Persönlichkeiten nicht ganz zu trennen, und so kommt etwas Unsicheres, Quä¬ lendes herein, das deu Verkehr zuletzt unerträglich macht. Eifersucht, gegen¬ seitige Anklage, Mißverständnis), ungleiche Stimmung, das alles wuchert in einer solchen Beziehung eben so, wie in einem gewöhnlichen Liebesverhältniß; aber in diesem Fall können wir uns vollständig in die Seele der beiden Bethei- ligten versetzen, es ist uns Nichts unverständlich und Nichts unwahr. Wenn der Eine von Beiden in Extravaganzen geräth, so giebt das dem Andern Gelegen¬ heit, ihn zu railliren und ihn mit Verstand und Geist in die richtige Bahn zu lenken. Es versteht sich von selbst, daß auch hier Bettine in der Regel die Stärkere ist,, nicht blos wegen ihrer überlegenen Bildung, sondern auch wegen der großem Freiheit ihres Gemüths. Nathusius bemüht sich immer, in,den Lauf ihrer Em¬ pfindungen einen gewissen Zusammenhang zu bringen, während sie nnr im Augen¬ blick lebt; heut ist sie Mutter, morgen Kind, dann hingebende Geliebte, aber wenn es darauf ankommt, auch wieder die gnädige Fran. — Bei alle dem kommt es einem sonderbar vor, solche Herzensgeheimnisse dem Publicum vorgelegt zu sehen, und es ist das vielleicht eins der stärksten Symptome jener Emancipatjous- ideen, unter denen man in der Regel nichts Bestimmtes versteht, die aber immer, darauf heraus kommen, das Weib seiner eigentlichen Bestimmung, dem Privat¬ leben, zu entziehe», und sie dein öffentlichen Preis zu geben. Am wenigsten ernst ist in solchen'Fällen die scheinbare Resignation zu nehmen, mit der z. B. Bettine einmal sagt: „Es kommt mir nicht darauf an, geliebt zu sein, mein Ideal ist diese Ironie in der Liebe, die dazu lächelt, daß sie es nicht erreicht, nicht aber klagt, daß sie verlassen ist." Das Verhältniß löste sich schon zum Theil, als Nathusius nach Italien ging, statt sich nach ihrem Willen mit den Gebrüdeü: Grimm an der Ausgabe der Arnim'schen Werke zu betheiligen; wenigstens hatte es seit der Zeit immer etwas sehr Unerquickliches. Es löste sich ganz, als Nathusius sich 1841 verheiratete. Er ist seitdem fromm geworden, giebt ein pietistisches Volksblatt heraus, und nimmt sich mit großem Eifer der innern Mission an; ein Ausgang, der nicht Grmzlwten, II, . ' 62

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/501>, abgerufen am 24.07.2024.