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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Setzung der neuen Kammern denken muß, deren Bedeutung vielleicht größer sein kann,
als die der eben geschlossenen Kammern. Bei der Blasirtheit gegen alles politische
Wesen, welche sich mehr und mehr im Volk verbreitet, wird es ohnehin nicht
leicht sein, in die Wahlen einiges Leben zu bringen, und wenn auch wir uns vom
Unmuth beherrschen lassen, so konnte es leicht geschehen, daß wir Kammern be¬
kommen, die realistischer, sind, nicht blos als der König, sondern auch als die
äußerste Rechte, und das wäre ein Erfolg, mit dem nur der Pessimismus ein¬
verstanden sein könnte.

Machen wir uns zunächst deu Grund deutlich, aus welchem die Kammern in
den ziemlich allgemeinen Mißcredit gekommen sind.

Er liegt nicht blos darin, daß sie oder ihre Majorität dem Ministeriuni
überallhin folgten, wo es sie führte. Das wäre vielmehr der normale Zustand
der Dinge. Das Ministerium hat, um uns des constitutionellen Ausdrucks zu
bedienen, in den Kammern die Majorität, wie es sie auch gewissermaßen un Lande
hat, da von der demokratischen Partei, die in den Kammern nicht vertreten ist,
,hier keine Rede sein kann. Daß die Majorität ihren Führern anch da folgt, wo
sie nicht ganz mit ihnen übereinstimmt, um in ihnen überhaupt ihr leitendes po¬
litisches Princip zu stützen, ist ein ganz gewöhnlicher parlamentarischer Gebrauch.

Das Mißbehagen schreibt sich vielmehr davon her, daß von einer solchen
Führerschaft im eigentlichen Sinn gar keine Rede gewesen ist. Das Ministerium!
war nicht in der Lage, eine Partei zu führen, weil ^s selber bald dies, bald jenes
wollte; bald wollte es die Union, bald den Bundestag, bald war es fiir, bald
gegen die Rechte des Herzogs von Augustenburg, bald sprach es sich für eine
selbstständige Pairsknmmer "us, bald für eine königliche Kammer, und so kam
denn unter anderen ähnlichen Unfällen, die stets Symptome der Rathlvstgkeit sind,
einmal auch der in seiner Art einzige Fall vor, daß die Regierung zuerst die
Kammern aufforderte, die jetzt gesetzlich bestehende Zusammensetzn""; der ersten
Kammer zu poliren, unter der Drohung, oculi das nicht geschehe, so werde
ans der Verfassung überhaupt Nichts werden, und daß sie zwei Jahre darauf die
nämlichen Kammern mit- der größten Gemüthsruhe auffordert, gegen diese Zu¬
sammensetzung zu stimmen, fast mit Hinzufügung einer ähnlichen Drohung. Daß
unter solchen Umständen auch dem leidenschaftlichsten Anhänger des Ministeriums
nicht behaglich zu Muthe sein kaun, wenn er voraussteht, daß er in kurzer Zeit
eben das, wofür er sich heute begeistern muß, als unpraktisch und schädlich wird
bekämpfen müssen, liegt auf der Hand.

Ein zweiter Umstand ist die Rücksichtslosigkeit der Formen, die das Mini¬
sterium gegen die Kammern anwendet. Die Kammern haben in ihrer Majorität
nichts Besseres verlangt, als Alles zu bewilligen, was die Regierung wollte,
wenn man sie nur überhaupt fragte; aber gerade bei den wichtigsten Gesetzen
hat das Ministerium diese Form nicht beobachtet, es hat erst die Kammern


Setzung der neuen Kammern denken muß, deren Bedeutung vielleicht größer sein kann,
als die der eben geschlossenen Kammern. Bei der Blasirtheit gegen alles politische
Wesen, welche sich mehr und mehr im Volk verbreitet, wird es ohnehin nicht
leicht sein, in die Wahlen einiges Leben zu bringen, und wenn auch wir uns vom
Unmuth beherrschen lassen, so konnte es leicht geschehen, daß wir Kammern be¬
kommen, die realistischer, sind, nicht blos als der König, sondern auch als die
äußerste Rechte, und das wäre ein Erfolg, mit dem nur der Pessimismus ein¬
verstanden sein könnte.

Machen wir uns zunächst deu Grund deutlich, aus welchem die Kammern in
den ziemlich allgemeinen Mißcredit gekommen sind.

Er liegt nicht blos darin, daß sie oder ihre Majorität dem Ministeriuni
überallhin folgten, wo es sie führte. Das wäre vielmehr der normale Zustand
der Dinge. Das Ministerium hat, um uns des constitutionellen Ausdrucks zu
bedienen, in den Kammern die Majorität, wie es sie auch gewissermaßen un Lande
hat, da von der demokratischen Partei, die in den Kammern nicht vertreten ist,
,hier keine Rede sein kann. Daß die Majorität ihren Führern anch da folgt, wo
sie nicht ganz mit ihnen übereinstimmt, um in ihnen überhaupt ihr leitendes po¬
litisches Princip zu stützen, ist ein ganz gewöhnlicher parlamentarischer Gebrauch.

Das Mißbehagen schreibt sich vielmehr davon her, daß von einer solchen
Führerschaft im eigentlichen Sinn gar keine Rede gewesen ist. Das Ministerium!
war nicht in der Lage, eine Partei zu führen, weil ^s selber bald dies, bald jenes
wollte; bald wollte es die Union, bald den Bundestag, bald war es fiir, bald
gegen die Rechte des Herzogs von Augustenburg, bald sprach es sich für eine
selbstständige Pairsknmmer «us, bald für eine königliche Kammer, und so kam
denn unter anderen ähnlichen Unfällen, die stets Symptome der Rathlvstgkeit sind,
einmal auch der in seiner Art einzige Fall vor, daß die Regierung zuerst die
Kammern aufforderte, die jetzt gesetzlich bestehende Zusammensetzn»«; der ersten
Kammer zu poliren, unter der Drohung, oculi das nicht geschehe, so werde
ans der Verfassung überhaupt Nichts werden, und daß sie zwei Jahre darauf die
nämlichen Kammern mit- der größten Gemüthsruhe auffordert, gegen diese Zu¬
sammensetzung zu stimmen, fast mit Hinzufügung einer ähnlichen Drohung. Daß
unter solchen Umständen auch dem leidenschaftlichsten Anhänger des Ministeriums
nicht behaglich zu Muthe sein kaun, wenn er voraussteht, daß er in kurzer Zeit
eben das, wofür er sich heute begeistern muß, als unpraktisch und schädlich wird
bekämpfen müssen, liegt auf der Hand.

Ein zweiter Umstand ist die Rücksichtslosigkeit der Formen, die das Mini¬
sterium gegen die Kammern anwendet. Die Kammern haben in ihrer Majorität
nichts Besseres verlangt, als Alles zu bewilligen, was die Regierung wollte,
wenn man sie nur überhaupt fragte; aber gerade bei den wichtigsten Gesetzen
hat das Ministerium diese Form nicht beobachtet, es hat erst die Kammern


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[0414] Setzung der neuen Kammern denken muß, deren Bedeutung vielleicht größer sein kann, als die der eben geschlossenen Kammern. Bei der Blasirtheit gegen alles politische Wesen, welche sich mehr und mehr im Volk verbreitet, wird es ohnehin nicht leicht sein, in die Wahlen einiges Leben zu bringen, und wenn auch wir uns vom Unmuth beherrschen lassen, so konnte es leicht geschehen, daß wir Kammern be¬ kommen, die realistischer, sind, nicht blos als der König, sondern auch als die äußerste Rechte, und das wäre ein Erfolg, mit dem nur der Pessimismus ein¬ verstanden sein könnte. Machen wir uns zunächst deu Grund deutlich, aus welchem die Kammern in den ziemlich allgemeinen Mißcredit gekommen sind. Er liegt nicht blos darin, daß sie oder ihre Majorität dem Ministeriuni überallhin folgten, wo es sie führte. Das wäre vielmehr der normale Zustand der Dinge. Das Ministerium hat, um uns des constitutionellen Ausdrucks zu bedienen, in den Kammern die Majorität, wie es sie auch gewissermaßen un Lande hat, da von der demokratischen Partei, die in den Kammern nicht vertreten ist, ,hier keine Rede sein kann. Daß die Majorität ihren Führern anch da folgt, wo sie nicht ganz mit ihnen übereinstimmt, um in ihnen überhaupt ihr leitendes po¬ litisches Princip zu stützen, ist ein ganz gewöhnlicher parlamentarischer Gebrauch. Das Mißbehagen schreibt sich vielmehr davon her, daß von einer solchen Führerschaft im eigentlichen Sinn gar keine Rede gewesen ist. Das Ministerium! war nicht in der Lage, eine Partei zu führen, weil ^s selber bald dies, bald jenes wollte; bald wollte es die Union, bald den Bundestag, bald war es fiir, bald gegen die Rechte des Herzogs von Augustenburg, bald sprach es sich für eine selbstständige Pairsknmmer «us, bald für eine königliche Kammer, und so kam denn unter anderen ähnlichen Unfällen, die stets Symptome der Rathlvstgkeit sind, einmal auch der in seiner Art einzige Fall vor, daß die Regierung zuerst die Kammern aufforderte, die jetzt gesetzlich bestehende Zusammensetzn»«; der ersten Kammer zu poliren, unter der Drohung, oculi das nicht geschehe, so werde ans der Verfassung überhaupt Nichts werden, und daß sie zwei Jahre darauf die nämlichen Kammern mit- der größten Gemüthsruhe auffordert, gegen diese Zu¬ sammensetzung zu stimmen, fast mit Hinzufügung einer ähnlichen Drohung. Daß unter solchen Umständen auch dem leidenschaftlichsten Anhänger des Ministeriums nicht behaglich zu Muthe sein kaun, wenn er voraussteht, daß er in kurzer Zeit eben das, wofür er sich heute begeistern muß, als unpraktisch und schädlich wird bekämpfen müssen, liegt auf der Hand. Ein zweiter Umstand ist die Rücksichtslosigkeit der Formen, die das Mini¬ sterium gegen die Kammern anwendet. Die Kammern haben in ihrer Majorität nichts Besseres verlangt, als Alles zu bewilligen, was die Regierung wollte, wenn man sie nur überhaupt fragte; aber gerade bei den wichtigsten Gesetzen hat das Ministerium diese Form nicht beobachtet, es hat erst die Kammern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/414>, abgerufen am 24.07.2024.