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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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öffentlichen Geistes beiträgt, fast überall durch eine sichere Technik und durch
einen großen theatralischen Verstand ans. Offenbar hat die Vortrefflichkeit des
Burgtheaters, das unter allen literarischen Instituten des Kaiserstaates unbestreit¬
bar den ersten Rang einnimmt, sehr wesentlich dazu beigetragen.

Von Grillparzer's Leben ist Nichts zu berichten. Geboren 1790, wurde er
i" seinem 29. Jahre Privatsecretair der Kaiserin, 1832 Archivdirector, und lebt
seit der Zeit in einer angesehenen Stellung, nicht blos wegen seines dichterischen
Ruhmes, sondern auch wegen seiner liebenswürdigen stattlichen Persönlichkeit all¬
gemein geachtet.

Die "Ahnfrau" erschien 1817. Dem Inhalt nach gehört das Stück unter
die tollsten Ausgeburten der durch Werner hervorgerufenen Dramatik. Den
Fluch, der über einem Hanse schwebt, in einem Gespenst, zu versinnlichen, dieses
Gespenst nicht blos zum Mittelpunkt, sondern gewissermaßen zur bewegenden
Kraft der Handlung zu machen, und das Alles ans die Bühne zu bringen,
dazu gehört ein Geschmack, wie er mir in unsrer wüsten Restaurationszeit mög¬
lich war. Aber schou in der Sprache zeigt sich ein gewaltiger Gegensatz gegen
die Werner, Müllner, Houwald !c. Die Calderon'sehen vierfüßigen gereimten Tro¬
chäen haben zwar etwas Schwerfälliges und schleppendes, aber sonst wird man
weder mit dem gewöhnlichen Schwulst überschüttet, noch durch Trivialitäten be¬
leidigt. Die Personen sprechen so, wie es ihrer Lage angemessen ist, und drücken,
was sie empfinden, deutlich und correct aus. Vor Allem ist aber die Kompo¬
sition zu loben. Der-barocke und trotz seiner Wunderlichkeit einförmige Stoff ist
so geschickt auseinandergelegt, daß man überall in der, Spannung bleibt, anch
wo man die Entwickelung errathen kann. Freilich ist das jetzt nur noch ein re-
flectirter Genuß, denn man muß von der ganzen gegenwärtigen Bildung abstra-
hiren, um sich in die richtige Stimmung zu versetzen.

Von der nordischen Gespcnsterromantik sprang Grillparzer sogleich in das
classische Alterthum über. Wir haben schou mehrfach ausgeführt, daß diese Ver¬
suche, das griechische Leben dramatisch zu versinnlichen, nicht minder romantisch
waren, als die galvanischen Experimente mit dem Mittelalter. In der Historie
und dem Liede, wie in der bildenden Kunst können wir uns mit der heidnischen
Weltanschauung vollkommen verständigen, denn alles Schöne, so entlegen es auch
sei, kann lebhast empfunden und deutlich analystrt werden. Wo wir es aber
versuchen, dieses Reich der Schatten in Bewegung zu setzen, da fühlen wir aus
einmal, wie fremd und unverständlich uns eigentlich der innere geheime Kern dieses
ganzen Lebens geworden ist. Nur das sinnige, klar schauende Gemüth eines
Goethe war im Stande, in der Iphigenie die verborgenen allgemein menschlichen
und daher allgemein unverständlichen Züge herauszufinden, und trotzdem hat die
Iphigenie etwas. Fremdes, wie die weißen Marmorstatuen der Alten. Es ist
keine natürliche Tagesbeleuchtung, sondern ein zwar schönes, aber doch an seinen


öffentlichen Geistes beiträgt, fast überall durch eine sichere Technik und durch
einen großen theatralischen Verstand ans. Offenbar hat die Vortrefflichkeit des
Burgtheaters, das unter allen literarischen Instituten des Kaiserstaates unbestreit¬
bar den ersten Rang einnimmt, sehr wesentlich dazu beigetragen.

Von Grillparzer's Leben ist Nichts zu berichten. Geboren 1790, wurde er
i» seinem 29. Jahre Privatsecretair der Kaiserin, 1832 Archivdirector, und lebt
seit der Zeit in einer angesehenen Stellung, nicht blos wegen seines dichterischen
Ruhmes, sondern auch wegen seiner liebenswürdigen stattlichen Persönlichkeit all¬
gemein geachtet.

Die „Ahnfrau" erschien 1817. Dem Inhalt nach gehört das Stück unter
die tollsten Ausgeburten der durch Werner hervorgerufenen Dramatik. Den
Fluch, der über einem Hanse schwebt, in einem Gespenst, zu versinnlichen, dieses
Gespenst nicht blos zum Mittelpunkt, sondern gewissermaßen zur bewegenden
Kraft der Handlung zu machen, und das Alles ans die Bühne zu bringen,
dazu gehört ein Geschmack, wie er mir in unsrer wüsten Restaurationszeit mög¬
lich war. Aber schou in der Sprache zeigt sich ein gewaltiger Gegensatz gegen
die Werner, Müllner, Houwald !c. Die Calderon'sehen vierfüßigen gereimten Tro¬
chäen haben zwar etwas Schwerfälliges und schleppendes, aber sonst wird man
weder mit dem gewöhnlichen Schwulst überschüttet, noch durch Trivialitäten be¬
leidigt. Die Personen sprechen so, wie es ihrer Lage angemessen ist, und drücken,
was sie empfinden, deutlich und correct aus. Vor Allem ist aber die Kompo¬
sition zu loben. Der-barocke und trotz seiner Wunderlichkeit einförmige Stoff ist
so geschickt auseinandergelegt, daß man überall in der, Spannung bleibt, anch
wo man die Entwickelung errathen kann. Freilich ist das jetzt nur noch ein re-
flectirter Genuß, denn man muß von der ganzen gegenwärtigen Bildung abstra-
hiren, um sich in die richtige Stimmung zu versetzen.

Von der nordischen Gespcnsterromantik sprang Grillparzer sogleich in das
classische Alterthum über. Wir haben schou mehrfach ausgeführt, daß diese Ver¬
suche, das griechische Leben dramatisch zu versinnlichen, nicht minder romantisch
waren, als die galvanischen Experimente mit dem Mittelalter. In der Historie
und dem Liede, wie in der bildenden Kunst können wir uns mit der heidnischen
Weltanschauung vollkommen verständigen, denn alles Schöne, so entlegen es auch
sei, kann lebhast empfunden und deutlich analystrt werden. Wo wir es aber
versuchen, dieses Reich der Schatten in Bewegung zu setzen, da fühlen wir aus
einmal, wie fremd und unverständlich uns eigentlich der innere geheime Kern dieses
ganzen Lebens geworden ist. Nur das sinnige, klar schauende Gemüth eines
Goethe war im Stande, in der Iphigenie die verborgenen allgemein menschlichen
und daher allgemein unverständlichen Züge herauszufinden, und trotzdem hat die
Iphigenie etwas. Fremdes, wie die weißen Marmorstatuen der Alten. Es ist
keine natürliche Tagesbeleuchtung, sondern ein zwar schönes, aber doch an seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/348>, abgerufen am 24.07.2024.