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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Luxus und Schönheit des modernen Lebens"
Der Thee.

Die wahre Blume der Mitte des himmlische" Reiches der Mitte ist die Thee¬
staude. Ausgeströmt ist ihr wundersames Arom vom Osten uach dem Westen,
ungehemmt vom starrrn Froste Siderischer Eisfelder, wie von den Stürmen des
Oceans. Weithin bis an die Alpen wie bis an die Pyrenäen leben auf dem
Festlande die treuen Verehrer des Thee's. Jenseit des Po bis an Italiens
glückliche Südspitzen ist Theebüchse und Ssamovar der unzertrennliche Begleiter
des Russen; bis an die unentdeckte Durchfahrt zwischen.dem magnetischen Pol
und dem eigentlichen Nordpol erquickt sein Aufguß den seefahrenden Briten, und
Thee gehört zu den Rationen, welche der Staat dem Kämpfer im Pendschab,
wie im Laude der Kaffern zutheilt. Von Altenglands Fesseln konnte sich die
Republik der Vereinigten Staaten befreien, aber der englische Theekessel blieb
trotzdem eine Lebensnothwendigkeit selbst des Squatters in der Hütte des Ur¬
waldes. Drei Viertheile der bekannten Erde sind abhängig vom himmlischen
Reiche der Mitte und von den Theepflanzungen in seinem Innern. Denn ob
auch Mynheer in Java die geheimnißvollen Samen der chinesischen Theepflanze
einsenkte -- er kann doch nur Unkundige täuschen, welchen die herbe Bitterkeit
des grobem Blattes wesentlicher erscheint, als der freie Aether seines flüchtigen
Aroms. Japan und Tunkin, beide reich an Thee, verschließen ihre Schätze vor
den verlockenden Tauschgaben Enropa's, und die versuchte Emancipation Brasi¬
liens vom chinesischen Markt durch großartige Theeaupflanzuugen, erst seit 1828
begonnen, scheint erfolglos wieder zu verkommen. Soll man noch von anderen
Ländern sprechen? Soll man den Anbau und ans Täuschung berechneten Handel
nut Theesurrogateu auch nur erwähnen, ohne von noch tieferer "sittlicher Ent¬
rüstung" ergriffen zu werden, als jene ist, womit noch heute manche beschränkte
Naturen durch den Bierkrug oder das Weinglas auf die ihnen unverständliche
Erhabenheit der Theetasse blicken? Schweigen wir davon. Erkennen wir's viel¬
mehr demüthig an, daß mit vollem Rechte der Kaiser von China sich als Herrn


Grenzboten. II.
Luxus und Schönheit des modernen Lebens»
Der Thee.

Die wahre Blume der Mitte des himmlische» Reiches der Mitte ist die Thee¬
staude. Ausgeströmt ist ihr wundersames Arom vom Osten uach dem Westen,
ungehemmt vom starrrn Froste Siderischer Eisfelder, wie von den Stürmen des
Oceans. Weithin bis an die Alpen wie bis an die Pyrenäen leben auf dem
Festlande die treuen Verehrer des Thee's. Jenseit des Po bis an Italiens
glückliche Südspitzen ist Theebüchse und Ssamovar der unzertrennliche Begleiter
des Russen; bis an die unentdeckte Durchfahrt zwischen.dem magnetischen Pol
und dem eigentlichen Nordpol erquickt sein Aufguß den seefahrenden Briten, und
Thee gehört zu den Rationen, welche der Staat dem Kämpfer im Pendschab,
wie im Laude der Kaffern zutheilt. Von Altenglands Fesseln konnte sich die
Republik der Vereinigten Staaten befreien, aber der englische Theekessel blieb
trotzdem eine Lebensnothwendigkeit selbst des Squatters in der Hütte des Ur¬
waldes. Drei Viertheile der bekannten Erde sind abhängig vom himmlischen
Reiche der Mitte und von den Theepflanzungen in seinem Innern. Denn ob
auch Mynheer in Java die geheimnißvollen Samen der chinesischen Theepflanze
einsenkte — er kann doch nur Unkundige täuschen, welchen die herbe Bitterkeit
des grobem Blattes wesentlicher erscheint, als der freie Aether seines flüchtigen
Aroms. Japan und Tunkin, beide reich an Thee, verschließen ihre Schätze vor
den verlockenden Tauschgaben Enropa's, und die versuchte Emancipation Brasi¬
liens vom chinesischen Markt durch großartige Theeaupflanzuugen, erst seit 1828
begonnen, scheint erfolglos wieder zu verkommen. Soll man noch von anderen
Ländern sprechen? Soll man den Anbau und ans Täuschung berechneten Handel
nut Theesurrogateu auch nur erwähnen, ohne von noch tieferer „sittlicher Ent¬
rüstung" ergriffen zu werden, als jene ist, womit noch heute manche beschränkte
Naturen durch den Bierkrug oder das Weinglas auf die ihnen unverständliche
Erhabenheit der Theetasse blicken? Schweigen wir davon. Erkennen wir's viel¬
mehr demüthig an, daß mit vollem Rechte der Kaiser von China sich als Herrn


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[0333] Luxus und Schönheit des modernen Lebens» Der Thee. Die wahre Blume der Mitte des himmlische» Reiches der Mitte ist die Thee¬ staude. Ausgeströmt ist ihr wundersames Arom vom Osten uach dem Westen, ungehemmt vom starrrn Froste Siderischer Eisfelder, wie von den Stürmen des Oceans. Weithin bis an die Alpen wie bis an die Pyrenäen leben auf dem Festlande die treuen Verehrer des Thee's. Jenseit des Po bis an Italiens glückliche Südspitzen ist Theebüchse und Ssamovar der unzertrennliche Begleiter des Russen; bis an die unentdeckte Durchfahrt zwischen.dem magnetischen Pol und dem eigentlichen Nordpol erquickt sein Aufguß den seefahrenden Briten, und Thee gehört zu den Rationen, welche der Staat dem Kämpfer im Pendschab, wie im Laude der Kaffern zutheilt. Von Altenglands Fesseln konnte sich die Republik der Vereinigten Staaten befreien, aber der englische Theekessel blieb trotzdem eine Lebensnothwendigkeit selbst des Squatters in der Hütte des Ur¬ waldes. Drei Viertheile der bekannten Erde sind abhängig vom himmlischen Reiche der Mitte und von den Theepflanzungen in seinem Innern. Denn ob auch Mynheer in Java die geheimnißvollen Samen der chinesischen Theepflanze einsenkte — er kann doch nur Unkundige täuschen, welchen die herbe Bitterkeit des grobem Blattes wesentlicher erscheint, als der freie Aether seines flüchtigen Aroms. Japan und Tunkin, beide reich an Thee, verschließen ihre Schätze vor den verlockenden Tauschgaben Enropa's, und die versuchte Emancipation Brasi¬ liens vom chinesischen Markt durch großartige Theeaupflanzuugen, erst seit 1828 begonnen, scheint erfolglos wieder zu verkommen. Soll man noch von anderen Ländern sprechen? Soll man den Anbau und ans Täuschung berechneten Handel nut Theesurrogateu auch nur erwähnen, ohne von noch tieferer „sittlicher Ent¬ rüstung" ergriffen zu werden, als jene ist, womit noch heute manche beschränkte Naturen durch den Bierkrug oder das Weinglas auf die ihnen unverständliche Erhabenheit der Theetasse blicken? Schweigen wir davon. Erkennen wir's viel¬ mehr demüthig an, daß mit vollem Rechte der Kaiser von China sich als Herrn Grenzboten. II.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/333>, abgerufen am 04.07.2024.