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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Die Anwendung für den vorliegenden Fall ergiebt sich von selbst. Die
Masse derjenigen, welche sich an dem Kaufe der confiscirten Güter der Orleans-
scheu Familie, ja selbst an dem Kaufe derjenigen Güter, welche aus Rechnung des
Hauses Orleans öffentlich versteigert werden, betheiligen n. s. w., haben von da
ab ein starkes persönliches Interesse, die Fortdauer der Herrschaft Louis Napo-
leon's lebhaft zu wünschen und nach Kräften zu stützen. Es ist, als ob jeder
Käufer dem Präsidenten ein Faustpfand gebe, mit welchem er ihn seiner Anhäng¬
lichkeit versichert. Und weit über die Zahl der Käufer hinaus geht die Zahl der
Interessenten. Jedermann weiß, wie viele Menschen an dem Besitzstand des
Einzelnen betheiligt sind. Unter 'allen Umständen aber sind es gerade die mitt¬
leren besitzenden Klassen, welche in dergleichen Verhältnissen in mannichfaltiger
Weise verschlungen werden. Ihre Mittel, ihre wirtschaftlichen Strebungen und
Erwerbswege führen sie dahin. Auch ihre Neigungen, und in Frankreich zumal.
Denn eS gehört zu den hervorstechenden nationalen Charaktcrzügcn der Franzosen:
der ungemein starke Trieb nach einem, wenn anch kleinen Grundbesitz, die Lust
an einem eigenen Stück Boden. Gerade daher erklärt sich auch zum Theil die
ungeheure Zerstückelung des Bodenbesitzes in Frankreich, die ganz unverhältniß-
mäßig starke Anzahl der Grundeigenthümer in diesem Lande. Nirgends hat so
wenig wie dort die Sitte und das Herkommen größere Gütercomplexe in ge¬
schlossenem Verband zusammengehalten, nachdem einmal die gesetzlichen Schranken
für die unbedingte GntStheilung gefallen waren.

Ich will nicht behaupten, daß Louis Napoleon von den, nach den vorstehen¬
den Gemerkungen zu erwartenden, Motiven allein geleitet gewesen sei, als er die
bekannten Decrete erließ. Wer möchte ihn einen wohlwollenden Freund der
Orleans nennen! Wer möchte glauben,, daß er gegen finanzielle Mahnungen
unempfindlich sei, auch wenn es sich blos um finanzielle Quellen zu großmüthi¬
gen und mildthätigen Zwecken handelt. Auch großmüthige und mildthätige Hand¬
lungen sind für dictatorische Herrscher, welche auf die Dauer ihrer Gewalt ihr
Augenmerk richten, nothwendig, nud auch zu ihnen bedarf man eben der Mittel.
Daß aber dem Präsidenten und seiner Umgebung unser Raisonnement ganz nen
sein sollte, glauben wir durchaus nicht. Alle Decrete Napoleon's, auch die em¬
phatischen, beruhen -- man kann es nicht läugnen -- auf einer scharfen, oft
seinen, immer aber kalten Berechnung. Und niemals vergißt er des
Oheims. Seine Anhänger und seine Gegner stimmen darin überein, nur der
Ton ist verschieden, in welchem man es vorträgt, daß der Präsident in die Fu߬
stapfen des Kaisers einzutreten sucht, daß Dieser ihm Muster und Vorbild ist,
daß der Präsident die Thaten und die Worte des Kaisers unablässig studirt.
Gerade darum glauben wir auch an ein Motiv in dem Präsidenten, das in den
tausend Beurtheilungen seines Decretes ganz übersehen ist. Denn der Kaiser
kannte es wohl und hat dessen kein Hehl gehabt. Und sollte gerade vor diesem


Grenzl'owl. N. -1832. 3

Die Anwendung für den vorliegenden Fall ergiebt sich von selbst. Die
Masse derjenigen, welche sich an dem Kaufe der confiscirten Güter der Orleans-
scheu Familie, ja selbst an dem Kaufe derjenigen Güter, welche aus Rechnung des
Hauses Orleans öffentlich versteigert werden, betheiligen n. s. w., haben von da
ab ein starkes persönliches Interesse, die Fortdauer der Herrschaft Louis Napo-
leon's lebhaft zu wünschen und nach Kräften zu stützen. Es ist, als ob jeder
Käufer dem Präsidenten ein Faustpfand gebe, mit welchem er ihn seiner Anhäng¬
lichkeit versichert. Und weit über die Zahl der Käufer hinaus geht die Zahl der
Interessenten. Jedermann weiß, wie viele Menschen an dem Besitzstand des
Einzelnen betheiligt sind. Unter 'allen Umständen aber sind es gerade die mitt¬
leren besitzenden Klassen, welche in dergleichen Verhältnissen in mannichfaltiger
Weise verschlungen werden. Ihre Mittel, ihre wirtschaftlichen Strebungen und
Erwerbswege führen sie dahin. Auch ihre Neigungen, und in Frankreich zumal.
Denn eS gehört zu den hervorstechenden nationalen Charaktcrzügcn der Franzosen:
der ungemein starke Trieb nach einem, wenn anch kleinen Grundbesitz, die Lust
an einem eigenen Stück Boden. Gerade daher erklärt sich auch zum Theil die
ungeheure Zerstückelung des Bodenbesitzes in Frankreich, die ganz unverhältniß-
mäßig starke Anzahl der Grundeigenthümer in diesem Lande. Nirgends hat so
wenig wie dort die Sitte und das Herkommen größere Gütercomplexe in ge¬
schlossenem Verband zusammengehalten, nachdem einmal die gesetzlichen Schranken
für die unbedingte GntStheilung gefallen waren.

Ich will nicht behaupten, daß Louis Napoleon von den, nach den vorstehen¬
den Gemerkungen zu erwartenden, Motiven allein geleitet gewesen sei, als er die
bekannten Decrete erließ. Wer möchte ihn einen wohlwollenden Freund der
Orleans nennen! Wer möchte glauben,, daß er gegen finanzielle Mahnungen
unempfindlich sei, auch wenn es sich blos um finanzielle Quellen zu großmüthi¬
gen und mildthätigen Zwecken handelt. Auch großmüthige und mildthätige Hand¬
lungen sind für dictatorische Herrscher, welche auf die Dauer ihrer Gewalt ihr
Augenmerk richten, nothwendig, nud auch zu ihnen bedarf man eben der Mittel.
Daß aber dem Präsidenten und seiner Umgebung unser Raisonnement ganz nen
sein sollte, glauben wir durchaus nicht. Alle Decrete Napoleon's, auch die em¬
phatischen, beruhen — man kann es nicht läugnen — auf einer scharfen, oft
seinen, immer aber kalten Berechnung. Und niemals vergißt er des
Oheims. Seine Anhänger und seine Gegner stimmen darin überein, nur der
Ton ist verschieden, in welchem man es vorträgt, daß der Präsident in die Fu߬
stapfen des Kaisers einzutreten sucht, daß Dieser ihm Muster und Vorbild ist,
daß der Präsident die Thaten und die Worte des Kaisers unablässig studirt.
Gerade darum glauben wir auch an ein Motiv in dem Präsidenten, das in den
tausend Beurtheilungen seines Decretes ganz übersehen ist. Denn der Kaiser
kannte es wohl und hat dessen kein Hehl gehabt. Und sollte gerade vor diesem


Grenzl'owl. N. -1832. 3
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[0027] Die Anwendung für den vorliegenden Fall ergiebt sich von selbst. Die Masse derjenigen, welche sich an dem Kaufe der confiscirten Güter der Orleans- scheu Familie, ja selbst an dem Kaufe derjenigen Güter, welche aus Rechnung des Hauses Orleans öffentlich versteigert werden, betheiligen n. s. w., haben von da ab ein starkes persönliches Interesse, die Fortdauer der Herrschaft Louis Napo- leon's lebhaft zu wünschen und nach Kräften zu stützen. Es ist, als ob jeder Käufer dem Präsidenten ein Faustpfand gebe, mit welchem er ihn seiner Anhäng¬ lichkeit versichert. Und weit über die Zahl der Käufer hinaus geht die Zahl der Interessenten. Jedermann weiß, wie viele Menschen an dem Besitzstand des Einzelnen betheiligt sind. Unter 'allen Umständen aber sind es gerade die mitt¬ leren besitzenden Klassen, welche in dergleichen Verhältnissen in mannichfaltiger Weise verschlungen werden. Ihre Mittel, ihre wirtschaftlichen Strebungen und Erwerbswege führen sie dahin. Auch ihre Neigungen, und in Frankreich zumal. Denn eS gehört zu den hervorstechenden nationalen Charaktcrzügcn der Franzosen: der ungemein starke Trieb nach einem, wenn anch kleinen Grundbesitz, die Lust an einem eigenen Stück Boden. Gerade daher erklärt sich auch zum Theil die ungeheure Zerstückelung des Bodenbesitzes in Frankreich, die ganz unverhältniß- mäßig starke Anzahl der Grundeigenthümer in diesem Lande. Nirgends hat so wenig wie dort die Sitte und das Herkommen größere Gütercomplexe in ge¬ schlossenem Verband zusammengehalten, nachdem einmal die gesetzlichen Schranken für die unbedingte GntStheilung gefallen waren. Ich will nicht behaupten, daß Louis Napoleon von den, nach den vorstehen¬ den Gemerkungen zu erwartenden, Motiven allein geleitet gewesen sei, als er die bekannten Decrete erließ. Wer möchte ihn einen wohlwollenden Freund der Orleans nennen! Wer möchte glauben,, daß er gegen finanzielle Mahnungen unempfindlich sei, auch wenn es sich blos um finanzielle Quellen zu großmüthi¬ gen und mildthätigen Zwecken handelt. Auch großmüthige und mildthätige Hand¬ lungen sind für dictatorische Herrscher, welche auf die Dauer ihrer Gewalt ihr Augenmerk richten, nothwendig, nud auch zu ihnen bedarf man eben der Mittel. Daß aber dem Präsidenten und seiner Umgebung unser Raisonnement ganz nen sein sollte, glauben wir durchaus nicht. Alle Decrete Napoleon's, auch die em¬ phatischen, beruhen — man kann es nicht läugnen — auf einer scharfen, oft seinen, immer aber kalten Berechnung. Und niemals vergißt er des Oheims. Seine Anhänger und seine Gegner stimmen darin überein, nur der Ton ist verschieden, in welchem man es vorträgt, daß der Präsident in die Fu߬ stapfen des Kaisers einzutreten sucht, daß Dieser ihm Muster und Vorbild ist, daß der Präsident die Thaten und die Worte des Kaisers unablässig studirt. Gerade darum glauben wir auch an ein Motiv in dem Präsidenten, das in den tausend Beurtheilungen seines Decretes ganz übersehen ist. Denn der Kaiser kannte es wohl und hat dessen kein Hehl gehabt. Und sollte gerade vor diesem Grenzl'owl. N. -1832. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/27>, abgerufen am 25.07.2024.