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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Auch hier spielt die geographische Lage dieses kleinen Landes eine bedeutsame
Rolle für die Absichten der Großstaaten. Es ist bekannt, welche handelspolitische
Stellung die kurhcssische Regierung auf den Zollconferenzen zu Wien eingenommen
hat, und eben so, daß sich in der letzten Zeit eine Aenderung ihrer Tendenzen
eingeleitet habe. In aller Kürze wollen wir hier ans den Erfolg und den Aus-
gang einer Angriffsstellung der kurhessischen Regierung gegen den preußischen
Zollverein hinweisen.

Als von Preußen die ersten Grundlagen zu dem spätern Zollverein gelegt
worden waren, d. h. als es nach Aufhebung aller Binnen- und Sonderzölle sich
zu einem einheitlichen Handelsstaate durch Verlegung der Zolle an die Landes¬
grenze constituirt und sür den Gesammtstaat das bekanntlich als sehr freihänd-
lcrisch von der Schntzzollpartei angegriffene Zoll- und Steuersystem von 1818
proclamirt hatte, mußte es nothgedrungen, um überhaupt gegen das Ausland die
erstrebte selbstständige und kräftige Stellung einnehmen zu können, die übrigen
deutschen Staaten in handelspolitischer Beziehung als Ausland betrachten; denn
sonst wäre die Kraftanstrengung gegen die außerdeutschen Lande völlig wirkungs¬
los verblieben. Eben deshalb erhob sich jedoch im übrigen Deutschland alsbald
eine heftige Opposition, und die kurhesstsche Negierung gab ihr zuerst einen ge¬
setzlichen Ausdruck. In einer Verordnung vom 17. September 1819 "wegen
der Abgabe" zur Netvrsion des königlich-preußischen Zoll- und Verbranchsteuer-
Tarifs" beklagte sich die Regierung in starken Ausdrücken über den preußischen
Tarif und die von ihm herrührenden Folgen sür den inländischen Gewerbebetrieb,
und ordnete Maßregeln einer "gerechten Netorfion" an. In einem besondern
Tarif wurden bestimmte preußische Fabrikate bei ihrem Eingang in das knrhes-
sische Gebiet mit einer besondern Abgabe belegt. Die Duvchgangsabgabe sür den
Centner baumwollene Waaren, Filzhüte, seine Lederwaaren, und seidene und
halbseidene Zeuge war auf 6 Thaler, die für den Centner Sohlleder, grobe Leder-
> waren und die Ohm Branntwein auf 2 Thaler festgesetzt. Viel niedriger natür¬
lich, aber doch verhältnißmäßig hoch war die Abgabe beim inländischen Verbrauch;
und gerade bei dem ziemlich stark im Lande verbrauchten Sohlleder war sie un-
verhältnißmäßig auf 8 Thaler für den Centner gesetzt. Eisen- und Stahlwaaren
sollten ohne Rücksicht ans den inländischen Verbrauch überhaupt fünfzig Procent
des Werthes erlegen und die Einbringung des preußische" Flanells, Boies, Frie¬
ses und gewöhnlichen Rasches gänzlich untersagt sein. Zugleich sollte von dem
-- stark in preußischen Fabriken verarbeiteten -- hessischen Thon ein Ausgangs-
zoll von 16 Albus für den Centner erhoben werden.

Man sieht, es war eine heftige Retorsion. Auch merke man wohl, es war
durchaus nicht etwa, eine finanzielle Speculation der Regierung zu Gunsten des
Fiscus. Ausdrücklich wurde die wohlmeinende Absicht verkündet: "Von der erho¬
benen außerordentlichen und ihrem Zwecke nach nur temporairen Durchgangs- und


Auch hier spielt die geographische Lage dieses kleinen Landes eine bedeutsame
Rolle für die Absichten der Großstaaten. Es ist bekannt, welche handelspolitische
Stellung die kurhcssische Regierung auf den Zollconferenzen zu Wien eingenommen
hat, und eben so, daß sich in der letzten Zeit eine Aenderung ihrer Tendenzen
eingeleitet habe. In aller Kürze wollen wir hier ans den Erfolg und den Aus-
gang einer Angriffsstellung der kurhessischen Regierung gegen den preußischen
Zollverein hinweisen.

Als von Preußen die ersten Grundlagen zu dem spätern Zollverein gelegt
worden waren, d. h. als es nach Aufhebung aller Binnen- und Sonderzölle sich
zu einem einheitlichen Handelsstaate durch Verlegung der Zolle an die Landes¬
grenze constituirt und sür den Gesammtstaat das bekanntlich als sehr freihänd-
lcrisch von der Schntzzollpartei angegriffene Zoll- und Steuersystem von 1818
proclamirt hatte, mußte es nothgedrungen, um überhaupt gegen das Ausland die
erstrebte selbstständige und kräftige Stellung einnehmen zu können, die übrigen
deutschen Staaten in handelspolitischer Beziehung als Ausland betrachten; denn
sonst wäre die Kraftanstrengung gegen die außerdeutschen Lande völlig wirkungs¬
los verblieben. Eben deshalb erhob sich jedoch im übrigen Deutschland alsbald
eine heftige Opposition, und die kurhesstsche Negierung gab ihr zuerst einen ge¬
setzlichen Ausdruck. In einer Verordnung vom 17. September 1819 „wegen
der Abgabe» zur Netvrsion des königlich-preußischen Zoll- und Verbranchsteuer-
Tarifs" beklagte sich die Regierung in starken Ausdrücken über den preußischen
Tarif und die von ihm herrührenden Folgen sür den inländischen Gewerbebetrieb,
und ordnete Maßregeln einer „gerechten Netorfion" an. In einem besondern
Tarif wurden bestimmte preußische Fabrikate bei ihrem Eingang in das knrhes-
sische Gebiet mit einer besondern Abgabe belegt. Die Duvchgangsabgabe sür den
Centner baumwollene Waaren, Filzhüte, seine Lederwaaren, und seidene und
halbseidene Zeuge war auf 6 Thaler, die für den Centner Sohlleder, grobe Leder-
> waren und die Ohm Branntwein auf 2 Thaler festgesetzt. Viel niedriger natür¬
lich, aber doch verhältnißmäßig hoch war die Abgabe beim inländischen Verbrauch;
und gerade bei dem ziemlich stark im Lande verbrauchten Sohlleder war sie un-
verhältnißmäßig auf 8 Thaler für den Centner gesetzt. Eisen- und Stahlwaaren
sollten ohne Rücksicht ans den inländischen Verbrauch überhaupt fünfzig Procent
des Werthes erlegen und die Einbringung des preußische» Flanells, Boies, Frie¬
ses und gewöhnlichen Rasches gänzlich untersagt sein. Zugleich sollte von dem
— stark in preußischen Fabriken verarbeiteten — hessischen Thon ein Ausgangs-
zoll von 16 Albus für den Centner erhoben werden.

Man sieht, es war eine heftige Retorsion. Auch merke man wohl, es war
durchaus nicht etwa, eine finanzielle Speculation der Regierung zu Gunsten des
Fiscus. Ausdrücklich wurde die wohlmeinende Absicht verkündet: „Von der erho¬
benen außerordentlichen und ihrem Zwecke nach nur temporairen Durchgangs- und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/23>, abgerufen am 04.07.2024.