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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Goldschmidt wurde einst zu einem der wohlhabendsten Landleute ans der Geest
gerufen. In der Prunkstube fand er den Tisch für sich, den leidenden Hausherrn
und ein Paar Vollbauern aus der Nachbarschaft gedeckt. Ueber der Mahlzeit
fragte der genannte Arzt, warum der Bruder des Hausmanns, welcher Gold¬
schmidt im Wagen abgeholt und die liebevollste Sorge um den Kranken an den
Tag gelegt hatte, nicht an' dem Essen Theil nehme. Ah, dat wol sick niet)
passen; it is man 'n Ramaker, war die Antwort. (Ach, das würde sich
wol nicht schicken; er ist nur ein Nademacher.)

Goldschmidt behauptet, daß der Bauer bei seinen Kindern, wenn dieselben
erkranken, in der Regel nur gelinde, d. h. billige Hausmittel anwende und
höchstens den nächsten Quacksalber beschicke; nur bei dem Erben würde gewöhn¬
lich sofort der Arzt geholt, nicht allein, weil dessen Behandlung für besser gelte,
sondern auch weil sie theurer sei und deshalb für nobler angesehen werde.


De will ruhig starvei^
Lat sie Good den rechten Arven.

(Wer ruhig sterben will, lasse fein Gut den rechten Erben.) Dies Sprich¬
wort bezeichnet die Landessitte in nachdrücklicher Weise. Weicht einmal ein
Vater, wenn auch aus'den triftigsten Gründen, davon' ab und vermacht sein
Gut einem Sohne, der nach dem Herkommen nicht erbfähig ist, so erregt dies
das größte Aussehen. Einem solchen Erben kann sein Hof nach der allgemeinen
Ansicht keinen Segen bringen. Freie er um ein ebenbürtiges Mädchen, so wird
deren Vater großes Bedenken tragen, seine Einwilligung zu geben, und treffen
ihn Unglücksfälle, so wird sicher die ganze Nachbarschaft dies von einem Fluche,
der auf seinem ungerechten Besitze lastet, ableiten.

Das Haus des oldenburger Bauers liegt, nach altsächsischen Brauche, in
der Regel einsam mit seinen Nebengebäuden inmitten des Gutes, oder es bildet
mit Häusern ähnlicher Art eine lose Gruppe, Bauerschaft genannt. Eigentliche
Dörfer findet man nur selten. Nicht allein die Felder, Kämpe, sind, zum
Schutz gegen die heftigen Winde, mit Hecken auf Erdwällen umgeben; auch der
Bauerhof erscheint in dieser Verschanzung; auch zu ihm führt, wie zu jenen, ein
niedriges Gitterthor, das Heat, dessen Hauptbestandtheil ein schwerer, auf zwei
Pfosten horizontal ruhender Balken ist, der auf der einen Seite ausgehoben wird.
Hat man diese Schranke hinter sich, so betritt man einen weiten Rasenplatz, auf
dem sich ein Eichenhain erhebt. Beides, der srischgrüue Nasen und die gewaltigen
Eichen, gehören zu den Vorzügen des oldenburger Laudes. Der Nasen verdankt
seine Schönheit der Feuchtigkeit des Klimas, die Eiche der Eigenthümlichkeit des
Bodens und deu Stürmen, welche die Faser durch spiralförmige Drehung kräftigen.
Während schwächere Bäume, wie die Ulmen, mitten in ihrem kräftigsten Wachs¬
thum plötzlich gehemmt werden und absterben, weil sie eine sehr häufig vorkom¬
mende unfruchtbare und eisenhaltige Thonschicht, Two genannt, uicht mit ihren
"'''


Goldschmidt wurde einst zu einem der wohlhabendsten Landleute ans der Geest
gerufen. In der Prunkstube fand er den Tisch für sich, den leidenden Hausherrn
und ein Paar Vollbauern aus der Nachbarschaft gedeckt. Ueber der Mahlzeit
fragte der genannte Arzt, warum der Bruder des Hausmanns, welcher Gold¬
schmidt im Wagen abgeholt und die liebevollste Sorge um den Kranken an den
Tag gelegt hatte, nicht an' dem Essen Theil nehme. Ah, dat wol sick niet)
passen; it is man 'n Ramaker, war die Antwort. (Ach, das würde sich
wol nicht schicken; er ist nur ein Nademacher.)

Goldschmidt behauptet, daß der Bauer bei seinen Kindern, wenn dieselben
erkranken, in der Regel nur gelinde, d. h. billige Hausmittel anwende und
höchstens den nächsten Quacksalber beschicke; nur bei dem Erben würde gewöhn¬
lich sofort der Arzt geholt, nicht allein, weil dessen Behandlung für besser gelte,
sondern auch weil sie theurer sei und deshalb für nobler angesehen werde.


De will ruhig starvei^
Lat sie Good den rechten Arven.

(Wer ruhig sterben will, lasse fein Gut den rechten Erben.) Dies Sprich¬
wort bezeichnet die Landessitte in nachdrücklicher Weise. Weicht einmal ein
Vater, wenn auch aus'den triftigsten Gründen, davon' ab und vermacht sein
Gut einem Sohne, der nach dem Herkommen nicht erbfähig ist, so erregt dies
das größte Aussehen. Einem solchen Erben kann sein Hof nach der allgemeinen
Ansicht keinen Segen bringen. Freie er um ein ebenbürtiges Mädchen, so wird
deren Vater großes Bedenken tragen, seine Einwilligung zu geben, und treffen
ihn Unglücksfälle, so wird sicher die ganze Nachbarschaft dies von einem Fluche,
der auf seinem ungerechten Besitze lastet, ableiten.

Das Haus des oldenburger Bauers liegt, nach altsächsischen Brauche, in
der Regel einsam mit seinen Nebengebäuden inmitten des Gutes, oder es bildet
mit Häusern ähnlicher Art eine lose Gruppe, Bauerschaft genannt. Eigentliche
Dörfer findet man nur selten. Nicht allein die Felder, Kämpe, sind, zum
Schutz gegen die heftigen Winde, mit Hecken auf Erdwällen umgeben; auch der
Bauerhof erscheint in dieser Verschanzung; auch zu ihm führt, wie zu jenen, ein
niedriges Gitterthor, das Heat, dessen Hauptbestandtheil ein schwerer, auf zwei
Pfosten horizontal ruhender Balken ist, der auf der einen Seite ausgehoben wird.
Hat man diese Schranke hinter sich, so betritt man einen weiten Rasenplatz, auf
dem sich ein Eichenhain erhebt. Beides, der srischgrüue Nasen und die gewaltigen
Eichen, gehören zu den Vorzügen des oldenburger Laudes. Der Nasen verdankt
seine Schönheit der Feuchtigkeit des Klimas, die Eiche der Eigenthümlichkeit des
Bodens und deu Stürmen, welche die Faser durch spiralförmige Drehung kräftigen.
Während schwächere Bäume, wie die Ulmen, mitten in ihrem kräftigsten Wachs¬
thum plötzlich gehemmt werden und absterben, weil sie eine sehr häufig vorkom¬
mende unfruchtbare und eisenhaltige Thonschicht, Two genannt, uicht mit ihren
"'''


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/197>, abgerufen am 24.07.2024.