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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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den Hauerleuten, die in den Nebengebäuden des Hofes zur Miethe (Heuer)
wohnen, zu den Handwerkern, Tagelöhnern und Dienstboten, die Aristokratie des
Dorfes. "Ick bin 'n Buer, sagt er mit Stolz; de Ammern sind all lütje
Lü" (die Anderen sind alle kleine Leute). Zu diesen "lütje Lu" gehört z. B. auch
der Schulmeister, der es sich nicht leicht wird einfallen lassen, die Hand nach der
Erbin einer Stelle auszustrecken. Goldschmidt erzählt von der Tochter eines
Vollbauern, die sich in hoffnungsloser Liebe zu dem Lehrer des Dorfes verzehrte.
Goldschmidt machte der Mutter, von der die Stelle kam, in seiner Eigenschaft als
Arzt Vorstellungen. Als er ihr aber sagte, das Mädchen könne die Schwindsucht
bekommen, wenn ihrem Wunsche nicht willfahrt werde, versetzte die Alte ruhig:
Wenn't Gottes Will' is; ick kann der rieth an hebben, aber den
Mester, den nackten Keerl, krigt se nich. In der That wuchs die Krank¬
heit der Tochter in bedenklichem Grade, obgleich sonst die Oldenburgerinnen vom
Lande eben nicht liebekrank zu werden Pflegen, und es mußte zuletzt nachgegeben
werden. Der Schullehrer, der selber keinen Schritt zu thun gewagt hatte, führte
seine Trina heim, und diese wurde aus einem siechen Mädchen eine blühende,
zufriedene Frau. Die Mutter hatte aber nach Jahren die Mißheirath noch nicht
verschmerzt. "Ja," klagte sie dem Arzte, "de harr en Buuren krigen
kunnt, um mutt nu achterm Koh uppen Wege herumstohn. (Ja, die
hätte einen Bauern kriegen können, und muß jetzt hinter der Kuh am Wege
herumstehn) -- weil ihr nämlich das Weideland sehlt.

Das Banerngut geht also auf einen Sohn, und im Fall keiner vorhanden
ist, ans eine Tochter über, und die anderen Kinder erhalten zusammen nur
20 Proc. vom Werth der Stelle. Die Ungerechtigkeit einer solchen Thei¬
lung wird weniger gefühlt als begriffen, wie denn das Sprichwort: De Buur
her man een ächt Kind; de armern sind alle Hoorkinner sich derb
genug darüber ausspricht. Auf dem Gedeihen der Stelle, und sie kann nur
gedeihen, wenn sie unverletzt bleibt, ruht die Ehre und der Stolz der Familie.
Mag es dem Vater auch schwer ankommen, ein Kind, das er vielleicht weniger
liebt, auf Unkosten der anderen in diesem Grade bevorzugen zu müssen; mag auch
dieser oder jener Abfindung im Herzen über das karge. Loos, das ihm zufällt,
murren: man findet sich doch zuletzt in den tyrannischen Gebrauch, und tröstet sich
mit einem 't is'mal nich anners. Da die Erhaltung der Stelle Gewissens¬
sache der Familie ist, so gilt umgekehrt die Verkleinerung oder Belastung derselben
für einen Frevel. Wer die Stelle verletzt, findet nicht Ruhe im Grabe und muß um-
gehn. Aus diesem Gesichtspunkte ist folgende Handlungsweise eines oldeuburger
Sandmanns zu beurtheilen. Dieser Bauer hatte durch Meineid eine Wiese an
sich gebracht und zu seiner Stelle geschlagen. Ich füge die letzten Worte aus¬
drücklich hinzu, weil ein Stellenbesitzer die Güter, die er erwirbt, nicht gerade
der Stelle einzuverleiben braucht, in welchem Falle sie zu gleichen Theilen an


Gmizbotcu. II. 24

den Hauerleuten, die in den Nebengebäuden des Hofes zur Miethe (Heuer)
wohnen, zu den Handwerkern, Tagelöhnern und Dienstboten, die Aristokratie des
Dorfes. „Ick bin 'n Buer, sagt er mit Stolz; de Ammern sind all lütje
Lü" (die Anderen sind alle kleine Leute). Zu diesen „lütje Lu" gehört z. B. auch
der Schulmeister, der es sich nicht leicht wird einfallen lassen, die Hand nach der
Erbin einer Stelle auszustrecken. Goldschmidt erzählt von der Tochter eines
Vollbauern, die sich in hoffnungsloser Liebe zu dem Lehrer des Dorfes verzehrte.
Goldschmidt machte der Mutter, von der die Stelle kam, in seiner Eigenschaft als
Arzt Vorstellungen. Als er ihr aber sagte, das Mädchen könne die Schwindsucht
bekommen, wenn ihrem Wunsche nicht willfahrt werde, versetzte die Alte ruhig:
Wenn't Gottes Will' is; ick kann der rieth an hebben, aber den
Mester, den nackten Keerl, krigt se nich. In der That wuchs die Krank¬
heit der Tochter in bedenklichem Grade, obgleich sonst die Oldenburgerinnen vom
Lande eben nicht liebekrank zu werden Pflegen, und es mußte zuletzt nachgegeben
werden. Der Schullehrer, der selber keinen Schritt zu thun gewagt hatte, führte
seine Trina heim, und diese wurde aus einem siechen Mädchen eine blühende,
zufriedene Frau. Die Mutter hatte aber nach Jahren die Mißheirath noch nicht
verschmerzt. „Ja," klagte sie dem Arzte, „de harr en Buuren krigen
kunnt, um mutt nu achterm Koh uppen Wege herumstohn. (Ja, die
hätte einen Bauern kriegen können, und muß jetzt hinter der Kuh am Wege
herumstehn) — weil ihr nämlich das Weideland sehlt.

Das Banerngut geht also auf einen Sohn, und im Fall keiner vorhanden
ist, ans eine Tochter über, und die anderen Kinder erhalten zusammen nur
20 Proc. vom Werth der Stelle. Die Ungerechtigkeit einer solchen Thei¬
lung wird weniger gefühlt als begriffen, wie denn das Sprichwort: De Buur
her man een ächt Kind; de armern sind alle Hoorkinner sich derb
genug darüber ausspricht. Auf dem Gedeihen der Stelle, und sie kann nur
gedeihen, wenn sie unverletzt bleibt, ruht die Ehre und der Stolz der Familie.
Mag es dem Vater auch schwer ankommen, ein Kind, das er vielleicht weniger
liebt, auf Unkosten der anderen in diesem Grade bevorzugen zu müssen; mag auch
dieser oder jener Abfindung im Herzen über das karge. Loos, das ihm zufällt,
murren: man findet sich doch zuletzt in den tyrannischen Gebrauch, und tröstet sich
mit einem 't is'mal nich anners. Da die Erhaltung der Stelle Gewissens¬
sache der Familie ist, so gilt umgekehrt die Verkleinerung oder Belastung derselben
für einen Frevel. Wer die Stelle verletzt, findet nicht Ruhe im Grabe und muß um-
gehn. Aus diesem Gesichtspunkte ist folgende Handlungsweise eines oldeuburger
Sandmanns zu beurtheilen. Dieser Bauer hatte durch Meineid eine Wiese an
sich gebracht und zu seiner Stelle geschlagen. Ich füge die letzten Worte aus¬
drücklich hinzu, weil ein Stellenbesitzer die Güter, die er erwirbt, nicht gerade
der Stelle einzuverleiben braucht, in welchem Falle sie zu gleichen Theilen an


Gmizbotcu. II. 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/195>, abgerufen am 24.07.2024.