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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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der eigentlich Faffner's Bruder ist, und sich der Schätze desselben bemächtigen
möchte. Sigurd hat von dem Blut des erschlagenen Drachen gekostet, und ist
dadurch im Stande, die Sprache der Vögel zu "erstehen. Diese erzählen ihm,
daß Reigen, der eben , im Schlafe liegt, böse Absichten hat, und darüber ausge¬
bracht, stößt ihm Sigurd das Schwert durch den Leib und sagt ihm mit einer
gewissen studentischen Gutmüthigkeit: Das kommt dabei heraus, wenn man ein
schlechter Mensch ist. Diese Gemüthlichkeit ist nicht eben dramatisch, und Heine
hat nicht Unrecht, wenn er von Fouqu"'s Rittergestalten sagt, sie beständen nur
aus Eisen und Gemüth, und hätten weder Fleisch noch Verstand.

Die Geschichte des Dracheukampfes ist nur als Einleitung zu betrachten.
Das eigentliche Stück beginnt mit dem zweiten Abeuteure. In dem Schloß
Hindarfiall schläft die schöne Brynhildis, die Schwester des mächtigen Königs
Alle. Die drei Nornen sitzen vor ihrem Lager und singen den Schicksalsgesang.
Die ganze Burg ist mit Feuer umgeben, und nur der Held, der es wagt, hin¬
durchzudringen, wird Brynhildis' Gemahl. Sigurd besteht das Wagstück, und
die Vermählung findet statt, obgleich Brynhildis' durch ihre Runen, welche die
Zukunft verkündigen, voraus weiß, daß Sigurd eine andere Braut bestimmt ist,
die Niflungentochter Gudruna. Sigurd reitet auf andere Abenteuer aus, und
kommt in das Reich der Nislungen, wo ihm die alte Königin Grimhildis einen
Zaubertrank reicht, der so mächtig wirkt, daß er seine ganze Vergangenheit ver¬
gißt, daß er sich nicht mehr daran erinnert, Brynhildis jemals gesehen zu haben,
daß er um Gudrnua steil, die Tochter der Grimhildis, und daß er das Wag-
stück, welches er schon einmal ausgeführt, zum zweiten Mal in Gunnar's Gestalt
besteht, des Bruders der Gudruua, der nun nach dem Spruch des Schicksals
der Gemahl der Brynhildis wird. Wie er zuerst seine Vergangenheit vergißt,
und sich dann, als die Wirkung des Zaubertrauks aufhört, allmählich mit immer
wachsendem Grauen derselben erinnert, dies Alles ist sehr poetisch geschildert,
und überhaupt die Stimmung der jedesmaligen Situation in entsprechender Farbe
wiedergegeben. Aber das eigentlich dramatische Interesse ist doch nicht vorhan¬
den, wo die gewöhnlichen Voraussetzungen des menschlichen Denkens und Em¬
pfindens wegfallen, und die poetische Wirkung ist immer eine wesentlich materielle,
äußerliche. -- Mit Brynhildis geht eine ähnliche psychologische Verwandlung vor
sich; sie hat ihre Ruuenkunst vergessen und ist daher nicht im Stande, die Mo¬
tive von Sigurd's Handlungsweise vollständig zu übersehen. Sie hat. daher
keinen andern Gedanken, als sich an Sigurd zu rächen, und nachdem sie dies
durch Hilfe eines ihrer Schwäger ausgeführt, besteigt sie den Scheiterhaufen, den
sie selber ausgerichtet.

Der zweite Theil: Sigurd's Rache, ist viel schwächer. Der Stoff ist
seiner ganzen Anlage nach ein epischer, und widerstrebt der dramatischen Behand¬
lung. In unsrem Nibelungenlied ist der Mittelpunkt die Rache der beleidigten


der eigentlich Faffner's Bruder ist, und sich der Schätze desselben bemächtigen
möchte. Sigurd hat von dem Blut des erschlagenen Drachen gekostet, und ist
dadurch im Stande, die Sprache der Vögel zu »erstehen. Diese erzählen ihm,
daß Reigen, der eben , im Schlafe liegt, böse Absichten hat, und darüber ausge¬
bracht, stößt ihm Sigurd das Schwert durch den Leib und sagt ihm mit einer
gewissen studentischen Gutmüthigkeit: Das kommt dabei heraus, wenn man ein
schlechter Mensch ist. Diese Gemüthlichkeit ist nicht eben dramatisch, und Heine
hat nicht Unrecht, wenn er von Fouqu«'s Rittergestalten sagt, sie beständen nur
aus Eisen und Gemüth, und hätten weder Fleisch noch Verstand.

Die Geschichte des Dracheukampfes ist nur als Einleitung zu betrachten.
Das eigentliche Stück beginnt mit dem zweiten Abeuteure. In dem Schloß
Hindarfiall schläft die schöne Brynhildis, die Schwester des mächtigen Königs
Alle. Die drei Nornen sitzen vor ihrem Lager und singen den Schicksalsgesang.
Die ganze Burg ist mit Feuer umgeben, und nur der Held, der es wagt, hin¬
durchzudringen, wird Brynhildis' Gemahl. Sigurd besteht das Wagstück, und
die Vermählung findet statt, obgleich Brynhildis' durch ihre Runen, welche die
Zukunft verkündigen, voraus weiß, daß Sigurd eine andere Braut bestimmt ist,
die Niflungentochter Gudruna. Sigurd reitet auf andere Abenteuer aus, und
kommt in das Reich der Nislungen, wo ihm die alte Königin Grimhildis einen
Zaubertrank reicht, der so mächtig wirkt, daß er seine ganze Vergangenheit ver¬
gißt, daß er sich nicht mehr daran erinnert, Brynhildis jemals gesehen zu haben,
daß er um Gudrnua steil, die Tochter der Grimhildis, und daß er das Wag-
stück, welches er schon einmal ausgeführt, zum zweiten Mal in Gunnar's Gestalt
besteht, des Bruders der Gudruua, der nun nach dem Spruch des Schicksals
der Gemahl der Brynhildis wird. Wie er zuerst seine Vergangenheit vergißt,
und sich dann, als die Wirkung des Zaubertrauks aufhört, allmählich mit immer
wachsendem Grauen derselben erinnert, dies Alles ist sehr poetisch geschildert,
und überhaupt die Stimmung der jedesmaligen Situation in entsprechender Farbe
wiedergegeben. Aber das eigentlich dramatische Interesse ist doch nicht vorhan¬
den, wo die gewöhnlichen Voraussetzungen des menschlichen Denkens und Em¬
pfindens wegfallen, und die poetische Wirkung ist immer eine wesentlich materielle,
äußerliche. — Mit Brynhildis geht eine ähnliche psychologische Verwandlung vor
sich; sie hat ihre Ruuenkunst vergessen und ist daher nicht im Stande, die Mo¬
tive von Sigurd's Handlungsweise vollständig zu übersehen. Sie hat. daher
keinen andern Gedanken, als sich an Sigurd zu rächen, und nachdem sie dies
durch Hilfe eines ihrer Schwäger ausgeführt, besteigt sie den Scheiterhaufen, den
sie selber ausgerichtet.

Der zweite Theil: Sigurd's Rache, ist viel schwächer. Der Stoff ist
seiner ganzen Anlage nach ein epischer, und widerstrebt der dramatischen Behand¬
lung. In unsrem Nibelungenlied ist der Mittelpunkt die Rache der beleidigten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/180>, abgerufen am 24.07.2024.