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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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von Hamburg bis Meran, von Köln bis Posen anch einmal gemacht werden müssen.
Während die letzten zwanzig Jahre in der Einrichtung des menschlichen Behagens
bei uns große Veränderungen zum Bessern hervorgebracht haben, und während die
schönen Künste überall thätig waren, ihre Gebilde und Erfindungen an das
Leben der Einzelnen zu hängen, so ist doch in dieser ganzen Zeit das Verhältniß
des Privatmanns zu der Literatur seiner Nation gar nicht besser geworden, als
es zu der Väter Zeit war, eher noch schlechter, und wer bei uns über die Einrich¬
tung von Privatbibliotheken schreiben will, sieht sich genöthigt, seine Abhandlung
mit einer unehrerbietigem Strafrede gegen die Vermögenden und Behaglichen im
Lande anzusaugen.

Ja, der Sinn für Comfort und schönen Genuß ist allgemeiner geworden.
Wenn der Hausherr seine Freunde einladet, so kommt es ihm nicht mehr allein
darauf an, recht schweres Silbergeräth und sechs verschiedene Arten von Trink¬
gläsern zu zeigen, sondern er hat die Einsicht gewonnen, daß die Formen seines
Tisch- und Hausgeräthes zierlich und schon sein müssen, um zu gefallen; und
wenn die deutsche Hausfrau sich für eine Gesellschaft schmückt, so beschäftigt sie
nicht mehr zumeist die Schwere und der hohe Preis der Stoffe, in welche sie
sonst ihren Körper einnahm ließ, sondern die zweckmäßige, den Gesetzen der Schön¬
heit entsprechende Zusammenstellung der Farben und Formen bei ihrer Toilette.
Es ist recht hübsch, daß unsre reichen Leute verstehen, gut zu essen und gute
Weine von schlechten zu unterscheiden, daß unsre Frauen bereits Ansprüche an
die Form eines Ballstraußes und die Farben eines Sophaüberznges machen; wenn
aber dieselben feinen Leute, welche ihren servirenden Bedienten Glacehandschuhe
über die musculösen Hände ziehen, so oft diese vor'anderen Menschen Präsentiren, sich
nicht scheuen, so bald sie allein sind, die beschmuzten Bände einer vielgelesenen Leih¬
bibliothek in die eigene weiche Hand zu nehmen, so ist das nicht schön. Allerdings
ist noch schlimmer, daß sehr viele reiche und elegante Leute überhaupt gar nicht das
Bedürfniß fühlen, ihre einsamen Stunden durch Lecture zu verschönern, und sich die
beste Gesellschaft zu verschaffen, in welche eingeführt zu sein der Reiche stolz sein
sollte, die Gesellschaft aller bedeutenden und geistvollen Menschen, welche seit
einigen kleinen Jahrtausenden gelebt und geschrieben haben. Wir Deutsche nen¬
nen uns gern eine literarisch gebildete Nation, wir sind stolz darauf, daß bei uns
durchschnittlich mehr Menschen lesen und schreiben können, als bei unsren Nach¬
barn; wir sind stolz darauf, daß unsre Wissenschaft und unsre künstlerische Lite¬
ratur bei fremden Völkern angesehen ist und in >der Fortbildung des Menschen¬
geschlechts eine Hauptrolle spielt; aber die Methode, uach welcher wir alte und
neue Bücher zu genießen Pflegen, ist noch so kleinlich, roh und spießbürgerlich,
daß es eine wahre Schande ist. Allerdings werden in Deutschland.viele Bücher
gekauft, solche Bücher, welche nöthig sind, um daraus zu lernen, populaire Werke
'der einzelnen Fachwissenschaften und Lehrbücher aller Art; aber der Verbrauch


von Hamburg bis Meran, von Köln bis Posen anch einmal gemacht werden müssen.
Während die letzten zwanzig Jahre in der Einrichtung des menschlichen Behagens
bei uns große Veränderungen zum Bessern hervorgebracht haben, und während die
schönen Künste überall thätig waren, ihre Gebilde und Erfindungen an das
Leben der Einzelnen zu hängen, so ist doch in dieser ganzen Zeit das Verhältniß
des Privatmanns zu der Literatur seiner Nation gar nicht besser geworden, als
es zu der Väter Zeit war, eher noch schlechter, und wer bei uns über die Einrich¬
tung von Privatbibliotheken schreiben will, sieht sich genöthigt, seine Abhandlung
mit einer unehrerbietigem Strafrede gegen die Vermögenden und Behaglichen im
Lande anzusaugen.

Ja, der Sinn für Comfort und schönen Genuß ist allgemeiner geworden.
Wenn der Hausherr seine Freunde einladet, so kommt es ihm nicht mehr allein
darauf an, recht schweres Silbergeräth und sechs verschiedene Arten von Trink¬
gläsern zu zeigen, sondern er hat die Einsicht gewonnen, daß die Formen seines
Tisch- und Hausgeräthes zierlich und schon sein müssen, um zu gefallen; und
wenn die deutsche Hausfrau sich für eine Gesellschaft schmückt, so beschäftigt sie
nicht mehr zumeist die Schwere und der hohe Preis der Stoffe, in welche sie
sonst ihren Körper einnahm ließ, sondern die zweckmäßige, den Gesetzen der Schön¬
heit entsprechende Zusammenstellung der Farben und Formen bei ihrer Toilette.
Es ist recht hübsch, daß unsre reichen Leute verstehen, gut zu essen und gute
Weine von schlechten zu unterscheiden, daß unsre Frauen bereits Ansprüche an
die Form eines Ballstraußes und die Farben eines Sophaüberznges machen; wenn
aber dieselben feinen Leute, welche ihren servirenden Bedienten Glacehandschuhe
über die musculösen Hände ziehen, so oft diese vor'anderen Menschen Präsentiren, sich
nicht scheuen, so bald sie allein sind, die beschmuzten Bände einer vielgelesenen Leih¬
bibliothek in die eigene weiche Hand zu nehmen, so ist das nicht schön. Allerdings
ist noch schlimmer, daß sehr viele reiche und elegante Leute überhaupt gar nicht das
Bedürfniß fühlen, ihre einsamen Stunden durch Lecture zu verschönern, und sich die
beste Gesellschaft zu verschaffen, in welche eingeführt zu sein der Reiche stolz sein
sollte, die Gesellschaft aller bedeutenden und geistvollen Menschen, welche seit
einigen kleinen Jahrtausenden gelebt und geschrieben haben. Wir Deutsche nen¬
nen uns gern eine literarisch gebildete Nation, wir sind stolz darauf, daß bei uns
durchschnittlich mehr Menschen lesen und schreiben können, als bei unsren Nach¬
barn; wir sind stolz darauf, daß unsre Wissenschaft und unsre künstlerische Lite¬
ratur bei fremden Völkern angesehen ist und in >der Fortbildung des Menschen¬
geschlechts eine Hauptrolle spielt; aber die Methode, uach welcher wir alte und
neue Bücher zu genießen Pflegen, ist noch so kleinlich, roh und spießbürgerlich,
daß es eine wahre Schande ist. Allerdings werden in Deutschland.viele Bücher
gekauft, solche Bücher, welche nöthig sind, um daraus zu lernen, populaire Werke
'der einzelnen Fachwissenschaften und Lehrbücher aller Art; aber der Verbrauch


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[0113] von Hamburg bis Meran, von Köln bis Posen anch einmal gemacht werden müssen. Während die letzten zwanzig Jahre in der Einrichtung des menschlichen Behagens bei uns große Veränderungen zum Bessern hervorgebracht haben, und während die schönen Künste überall thätig waren, ihre Gebilde und Erfindungen an das Leben der Einzelnen zu hängen, so ist doch in dieser ganzen Zeit das Verhältniß des Privatmanns zu der Literatur seiner Nation gar nicht besser geworden, als es zu der Väter Zeit war, eher noch schlechter, und wer bei uns über die Einrich¬ tung von Privatbibliotheken schreiben will, sieht sich genöthigt, seine Abhandlung mit einer unehrerbietigem Strafrede gegen die Vermögenden und Behaglichen im Lande anzusaugen. Ja, der Sinn für Comfort und schönen Genuß ist allgemeiner geworden. Wenn der Hausherr seine Freunde einladet, so kommt es ihm nicht mehr allein darauf an, recht schweres Silbergeräth und sechs verschiedene Arten von Trink¬ gläsern zu zeigen, sondern er hat die Einsicht gewonnen, daß die Formen seines Tisch- und Hausgeräthes zierlich und schon sein müssen, um zu gefallen; und wenn die deutsche Hausfrau sich für eine Gesellschaft schmückt, so beschäftigt sie nicht mehr zumeist die Schwere und der hohe Preis der Stoffe, in welche sie sonst ihren Körper einnahm ließ, sondern die zweckmäßige, den Gesetzen der Schön¬ heit entsprechende Zusammenstellung der Farben und Formen bei ihrer Toilette. Es ist recht hübsch, daß unsre reichen Leute verstehen, gut zu essen und gute Weine von schlechten zu unterscheiden, daß unsre Frauen bereits Ansprüche an die Form eines Ballstraußes und die Farben eines Sophaüberznges machen; wenn aber dieselben feinen Leute, welche ihren servirenden Bedienten Glacehandschuhe über die musculösen Hände ziehen, so oft diese vor'anderen Menschen Präsentiren, sich nicht scheuen, so bald sie allein sind, die beschmuzten Bände einer vielgelesenen Leih¬ bibliothek in die eigene weiche Hand zu nehmen, so ist das nicht schön. Allerdings ist noch schlimmer, daß sehr viele reiche und elegante Leute überhaupt gar nicht das Bedürfniß fühlen, ihre einsamen Stunden durch Lecture zu verschönern, und sich die beste Gesellschaft zu verschaffen, in welche eingeführt zu sein der Reiche stolz sein sollte, die Gesellschaft aller bedeutenden und geistvollen Menschen, welche seit einigen kleinen Jahrtausenden gelebt und geschrieben haben. Wir Deutsche nen¬ nen uns gern eine literarisch gebildete Nation, wir sind stolz darauf, daß bei uns durchschnittlich mehr Menschen lesen und schreiben können, als bei unsren Nach¬ barn; wir sind stolz darauf, daß unsre Wissenschaft und unsre künstlerische Lite¬ ratur bei fremden Völkern angesehen ist und in >der Fortbildung des Menschen¬ geschlechts eine Hauptrolle spielt; aber die Methode, uach welcher wir alte und neue Bücher zu genießen Pflegen, ist noch so kleinlich, roh und spießbürgerlich, daß es eine wahre Schande ist. Allerdings werden in Deutschland.viele Bücher gekauft, solche Bücher, welche nöthig sind, um daraus zu lernen, populaire Werke 'der einzelnen Fachwissenschaften und Lehrbücher aller Art; aber der Verbrauch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/113>, abgerufen am 24.07.2024.