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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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er unter den Händen wie ein Aal. Man wird zuweilen durch eiuen treffenden
Einfall überrascht, dann wird dieser Einfall zu einigen schwülstigen Bildern, die
nichts Bestimmtes sagen, ausgemalt; man windet sich ungeduldig durch die Fülle
dieser Bilder durch, und hofft, es müsse doch endlich kommeu, da plötzlich wird
abgebrochen, es kommt ein neuer Einfall, neue Bilder, auch wol Wiederholungen
des alten, oder politische Seitenhiebe, aber von einer folgerichtigen Entwickelung
ist keine Rede. Wir erfahren eigentlich mit Bestimmtheit nur, was er nicht will,
und anch für dieses giebt er uns keine Grüude an.

Wir gehen der Deutlichkeit wegen auf einen bestimmten Fall ein. Es ist
schon erwähnt, daß Meyerbeer's Opern vollständig, und namentlich auch in Be¬
ziehung ans deu Text verworfen werden. Wagner behauptet, daß an der Ver¬
kehrtheit dieser Texte vorzugsweise der Componist schuld ist. Wenn er sich nnn
damit begnügte, die Einmischung von absurden Einfällen, die der Stimmung
widersprechen, zu rügen, z. B. im Propheten, um bei diesem einzelnen Beispiel
zu bleibe", das Flötenconcert, den Windmühlenchor, den Bauerntanz im Hause
des Propheten, das Trinklied im Lager der Heiligen, den Schlittschuhtauz u. s. w>, --
denn die Sammlung würde in der That sehr reichhaltig ausfallen; -- wenn er
ferner das novellistische und pragmatisirende Bestreben des Dichters, in den Ernst
des tragischen Conflicts endliche, gemeine, sentimentale Motive einzuschwärzeu,
tadeln wollte, -- ein Fehler, der übrigens wenigstens eben so den an Lustspiel-
motive gewöhnten Scribe, als den nach Contrasten haschende" Meyerbeer
trifft, -- so würde er mit diesem Tadel nnr das aussprechen, was jeder Ver¬
nünftige denkt, und sein Tadel würde um so anerkennungswerther und einflu߬
reicher sein, je schroffer und je derber er ihn auöspräche. Aber er geht auch
auf audere Seiten dieser Oper ein, die wir zwar nicht als einen wirklichen
Ausdruck, aber wenigstens als eine Tendenz zu einer bessern Kunstform hin
betrachten müssen, namentlich auf die lebendigere Anwendung des Chors, auf die
Darstellung von psychologischen Gefühlsconflicten und ans die musikalische An¬
deutung historischer Gegensätze. Was das Erste betrifft, so macht er sich über
den neumodischen Ausdruck "Emancipation der Massen" lustig, und meint, daß
man nur an Individuen ein wirkliches Interesse nehmen könne, daß die Bethei¬
ligung der Massen dagegen immer ans ein lärmendes Unisono herauskomme. Im
Drama ist das vollkommen richtig,.weil die Poesie kein Mittel hat, die Vielheit
zugleich als Einheit darzustellen. Durch die Mitwirkung der Tonkunst wird das
aber anders. Wenn schon das Oratorium im Stande ist, der Mannichfaltigkeit
individueller Stimmen, auch wenn jede derselben vielfach besetzt ist, einen harmo¬
nischen Ausdruck zu geben, so muß das bei der Oper noch viel mehr der Fall
sein, 'wo die zugleich rhythmische und charakteristische Geste hinzukommt. Ein
Versuch, wie ihn Schiller in der Braut von Messina gemacht hat, wird im
Drama immer fehlschlagen, weil wir hier nur ein einförmiges, charakterloses


er unter den Händen wie ein Aal. Man wird zuweilen durch eiuen treffenden
Einfall überrascht, dann wird dieser Einfall zu einigen schwülstigen Bildern, die
nichts Bestimmtes sagen, ausgemalt; man windet sich ungeduldig durch die Fülle
dieser Bilder durch, und hofft, es müsse doch endlich kommeu, da plötzlich wird
abgebrochen, es kommt ein neuer Einfall, neue Bilder, auch wol Wiederholungen
des alten, oder politische Seitenhiebe, aber von einer folgerichtigen Entwickelung
ist keine Rede. Wir erfahren eigentlich mit Bestimmtheit nur, was er nicht will,
und anch für dieses giebt er uns keine Grüude an.

Wir gehen der Deutlichkeit wegen auf einen bestimmten Fall ein. Es ist
schon erwähnt, daß Meyerbeer's Opern vollständig, und namentlich auch in Be¬
ziehung ans deu Text verworfen werden. Wagner behauptet, daß an der Ver¬
kehrtheit dieser Texte vorzugsweise der Componist schuld ist. Wenn er sich nnn
damit begnügte, die Einmischung von absurden Einfällen, die der Stimmung
widersprechen, zu rügen, z. B. im Propheten, um bei diesem einzelnen Beispiel
zu bleibe», das Flötenconcert, den Windmühlenchor, den Bauerntanz im Hause
des Propheten, das Trinklied im Lager der Heiligen, den Schlittschuhtauz u. s. w>, —
denn die Sammlung würde in der That sehr reichhaltig ausfallen; — wenn er
ferner das novellistische und pragmatisirende Bestreben des Dichters, in den Ernst
des tragischen Conflicts endliche, gemeine, sentimentale Motive einzuschwärzeu,
tadeln wollte, — ein Fehler, der übrigens wenigstens eben so den an Lustspiel-
motive gewöhnten Scribe, als den nach Contrasten haschende» Meyerbeer
trifft, — so würde er mit diesem Tadel nnr das aussprechen, was jeder Ver¬
nünftige denkt, und sein Tadel würde um so anerkennungswerther und einflu߬
reicher sein, je schroffer und je derber er ihn auöspräche. Aber er geht auch
auf audere Seiten dieser Oper ein, die wir zwar nicht als einen wirklichen
Ausdruck, aber wenigstens als eine Tendenz zu einer bessern Kunstform hin
betrachten müssen, namentlich auf die lebendigere Anwendung des Chors, auf die
Darstellung von psychologischen Gefühlsconflicten und ans die musikalische An¬
deutung historischer Gegensätze. Was das Erste betrifft, so macht er sich über
den neumodischen Ausdruck „Emancipation der Massen" lustig, und meint, daß
man nur an Individuen ein wirkliches Interesse nehmen könne, daß die Bethei¬
ligung der Massen dagegen immer ans ein lärmendes Unisono herauskomme. Im
Drama ist das vollkommen richtig,.weil die Poesie kein Mittel hat, die Vielheit
zugleich als Einheit darzustellen. Durch die Mitwirkung der Tonkunst wird das
aber anders. Wenn schon das Oratorium im Stande ist, der Mannichfaltigkeit
individueller Stimmen, auch wenn jede derselben vielfach besetzt ist, einen harmo¬
nischen Ausdruck zu geben, so muß das bei der Oper noch viel mehr der Fall
sein, 'wo die zugleich rhythmische und charakteristische Geste hinzukommt. Ein
Versuch, wie ihn Schiller in der Braut von Messina gemacht hat, wird im
Drama immer fehlschlagen, weil wir hier nur ein einförmiges, charakterloses


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/96>, abgerufen am 22.07.2024.