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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Gegellstand zu schaffen. Wenn sie in erster Entstehung nur den Zweck hatte, der
Fertigkeit einzelner Virtuosen Gelegenheit zu anmuthigen Läufern und Trillern zu
geben, so habe sie später (Gluck, Spontini) den individuellen Sänger zwingen,
nnr noch die Kunst des Componisten zur Geltung bringen und dabei dem Sinn
des Textes möglichst entsprechen, endlich den ganzen Text mit Handlung und
Worten aus der Rücksicht auf die absolute Melodie erschaffen wollen; und da
das Letzte vollständig zu erreichen unmöglich ist, so habe der Text der Melodie
lind die Melodie dem Texte Concessionen machen müssen, worüber Beides zu
Gründe gegangen sei. Das sei namentlich das tragische Schicksal Weber's
gewesen.

Dieses Alles ist natürlich in noch viel höherem Grade der Fall bei der reinen
Instrumentalmusik, wo der Künstler aus seiner Absicht, lediglich für das Interesse
der Melodie zu wirken, gar kein Hehl macht, und in der That wird auch vou
der edelsten Instrumentalmusik viel Schlimmes gesagt; so z. B. von der zweiten
Periode Beethovens, ,,der in den gewaltigen Zuckungen schmerzlich-wonnigen
Stammelns einer pythischen Begeisterung dem neugierige" Zuhörer, der ihn
nicht verstand, weil der Begeisterte sich ihm eben nicht verständlich machen konnte,
den Eindruck eines genialen Wahnsinnigen machen mußte." Es wird von diesen
Versuchen weiter gesagt, daß sich in ihnen "das Ringen nach Aufsindung eines
neuen musikalischen Sprachvermögens nach allen Richtungen hin in oft krampf¬
haften Zügen kund gab, die dem uuverstäuduißvoll Hinhorchenden wol sonderbar,
originell, bizarr und jedenfalls ganz neu vorkommen mußte. Das jäh Abspringende,
schnell und heftig sich Durchkreuzende, namentlich aber das oft fast gleichzeitige
Ertönen dicht in einander verwobener Accente des Schmerzes und der, Frende, des
Entzückens und des Entsetzens, wie es der unwillkürlich suchende Meister in den
seltsamsten harmonischen Melismen und Rhythmen zu neuen Ausdruckslauteu
mischte, um durch sie zum Ausspruch bestimmter und individueller Empfindungs-
momcute zu gelangen," -- das Alles fiel später dein bloßen Experimentiren in die
Hände. -- Bei dieser, wie bei ähnlichen Auseinandersetzungen vergißt Wagner,
den Gegenstand genauer zu bezeichnen, den er meint, hier namentlich, ob er von
der zweiten oder dritten Periode Beethovens redet. Fast scheint das Erste der
Fall zu sein, da er die neunte Symphonie als eine Erhebung aus diesen frucht¬
losen Versuchen der absoluten Musik zu dem wirklichen Inhalt des Worts, also
gewissermaßen als eine Widerlegung derselben bezeichnet. Aus dem chaotischen
Ringen entgegengesetzter Tonmassen habe sich jene in den einfachsten Tonleiter¬
verhältnissen gehaltene Melodie entwickelt, die dann als ihren Inhalt Schiller's
Lied gleichsam nen erschuf, um, auf diesen sichern Halt gestützt, sich wieder mit
vollkommener Freiheit bewegen zu können. Nach dieser Auseinandersetzung
scheint eS, als ob die Instrumentalmusik überhaupt endlich zu dem Resultat kom¬
men müsse, sie könne für sich allein nicht bestehen, sondern sei nur als Ausdruck


Gegellstand zu schaffen. Wenn sie in erster Entstehung nur den Zweck hatte, der
Fertigkeit einzelner Virtuosen Gelegenheit zu anmuthigen Läufern und Trillern zu
geben, so habe sie später (Gluck, Spontini) den individuellen Sänger zwingen,
nnr noch die Kunst des Componisten zur Geltung bringen und dabei dem Sinn
des Textes möglichst entsprechen, endlich den ganzen Text mit Handlung und
Worten aus der Rücksicht auf die absolute Melodie erschaffen wollen; und da
das Letzte vollständig zu erreichen unmöglich ist, so habe der Text der Melodie
lind die Melodie dem Texte Concessionen machen müssen, worüber Beides zu
Gründe gegangen sei. Das sei namentlich das tragische Schicksal Weber's
gewesen.

Dieses Alles ist natürlich in noch viel höherem Grade der Fall bei der reinen
Instrumentalmusik, wo der Künstler aus seiner Absicht, lediglich für das Interesse
der Melodie zu wirken, gar kein Hehl macht, und in der That wird auch vou
der edelsten Instrumentalmusik viel Schlimmes gesagt; so z. B. von der zweiten
Periode Beethovens, ,,der in den gewaltigen Zuckungen schmerzlich-wonnigen
Stammelns einer pythischen Begeisterung dem neugierige» Zuhörer, der ihn
nicht verstand, weil der Begeisterte sich ihm eben nicht verständlich machen konnte,
den Eindruck eines genialen Wahnsinnigen machen mußte." Es wird von diesen
Versuchen weiter gesagt, daß sich in ihnen „das Ringen nach Aufsindung eines
neuen musikalischen Sprachvermögens nach allen Richtungen hin in oft krampf¬
haften Zügen kund gab, die dem uuverstäuduißvoll Hinhorchenden wol sonderbar,
originell, bizarr und jedenfalls ganz neu vorkommen mußte. Das jäh Abspringende,
schnell und heftig sich Durchkreuzende, namentlich aber das oft fast gleichzeitige
Ertönen dicht in einander verwobener Accente des Schmerzes und der, Frende, des
Entzückens und des Entsetzens, wie es der unwillkürlich suchende Meister in den
seltsamsten harmonischen Melismen und Rhythmen zu neuen Ausdruckslauteu
mischte, um durch sie zum Ausspruch bestimmter und individueller Empfindungs-
momcute zu gelangen," — das Alles fiel später dein bloßen Experimentiren in die
Hände. — Bei dieser, wie bei ähnlichen Auseinandersetzungen vergißt Wagner,
den Gegenstand genauer zu bezeichnen, den er meint, hier namentlich, ob er von
der zweiten oder dritten Periode Beethovens redet. Fast scheint das Erste der
Fall zu sein, da er die neunte Symphonie als eine Erhebung aus diesen frucht¬
losen Versuchen der absoluten Musik zu dem wirklichen Inhalt des Worts, also
gewissermaßen als eine Widerlegung derselben bezeichnet. Aus dem chaotischen
Ringen entgegengesetzter Tonmassen habe sich jene in den einfachsten Tonleiter¬
verhältnissen gehaltene Melodie entwickelt, die dann als ihren Inhalt Schiller's
Lied gleichsam nen erschuf, um, auf diesen sichern Halt gestützt, sich wieder mit
vollkommener Freiheit bewegen zu können. Nach dieser Auseinandersetzung
scheint eS, als ob die Instrumentalmusik überhaupt endlich zu dem Resultat kom¬
men müsse, sie könne für sich allein nicht bestehen, sondern sei nur als Ausdruck


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/94>, abgerufen am 22.07.2024.