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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Die italienische Oper ist etwas, aber nicht viel glücklicher als ihre franzö¬
sische Schwester, die Cruvelli bewährt sich noch immer als Liebling des großen
Publicums. Ich habe sie nnn in drei Rollen gehört, in der Norma, Ernani
und in der Tochter deö Regiments, ich darf mir daher scholl erlauben, mein Ur¬
theil über sie abzugeben. Die Bedenken, die sich in mir gleich das erste Mal
erhoben, haben dein Gefallen an den außerordentlichen Stimmmitteln und an der
herrlichen Frauengestalt den Rang abgewonnen. Die Cruvelli ist keine große
Künstlerin, fast möchte ich sagen, sie ist überhaupt keine Künstlerin. Sie hat
keine dramatische Leidenschaft, lind sie sucht sich über ihre Aufgabe in den ver¬
schiedenen Rollen nicht genug Rechenschaft zu geben. Fast scheint es uns, als
ob ihr der Beifall und nicht die Kunst das höchste Ziel seien, lind weil sie bei¬
fällige Aufnahme hier findet, ist sie befriedigt und glaubt fertig zu sein. Es fehlt
ihr der künstlerische Fleiß, jener begeisternde Funke, der den Künstler entzünden
muß, soll er wirklich große Schöpfungen schassen und soll der Zuhörer wirklich
Feuer fangen. Die Cruvelli überascht durch ihre imposante Gestalt und durch
ihre wunderbare Stimme; aber ist man über diese Ueberraschung hinaus, wendet
man sich an die dramatische Künstlerin, so fällt uns der Mangel an Harmonie
zwischen Gesang, Methode und der dargestellten Rolle auf, und selbst der kleinen
Gestalt fehlt jene Elasticität, jene Beweglichkeit, ohne die der Ausdruck hoch¬
tragischer Momente steif lind monoton wird. Ihre schönen Züge bleiben starr, und
nur die feurigen Augen, die hin und her rennen wie ein Tiger im Käsige,
verleihen dem Gesicht etwas mehr Leben. Ihr Gesang ist voll Bravour und
Sophie Crnvelli hat Fertigkeit und Mittel genug, ungewöhnliche Kunststücke zu
machen, aber sie wirkt nur in wenigen glücklichen Momenten ergreifend, und auch
da will eS bedünken, daß diese Wirkung eine eingelernte, es ist nicht jenes inner¬
liche Strömen begeisternden Feuers, das die Künstler bezeichnet. In der Tochter
deö Regiments zeigten sich die erwähnten Mängel in auffallender Weise, und
selbst die dankbare Gesangsstunde im zweiten Acte blieb weit unter dem, was wir
voll andern Sängerinnen zu hören gewohnt sind. Die Natur hat viel sür diese
junge Sängerin gethan, und es ist schade, daß sie selber so wenig für sich thut;
bei dieser Neigung zur Ueberschätzung ihres Talentes ist sehr zu befürchten, daß
ihre Zukunft an den Klippen ihres hiesigen Erfolges scheitere. Die Cruvelli
müßte zwei Jahre bei der Schröder Devrient in die Schule gehen, dann könnten
ihre dramatischen Leistungen ihren schönen Naturgaben angemessen werden. Wird
sie es aber begreifen, daß der Blnmenregen einiger enthusiastischen Narren noch
keine Einlaßkarte in den Tempel der Kunst sei? Wir wünschen es herzlich.

Ein wirkliches Ereigniß in der hiesigen Kunstwelt ist die Rückkehr der
jungen Pianistin Wilhelmine Clauß. Diese hat sich, wie das hier üblich ist,
zuerst in einigen KünstlersoiiLen hören lassen. In Paris muß man, um durch-
zudringen, vor Allein die Kunstnotabilitäten jeder Art für sich haben. Diese


Die italienische Oper ist etwas, aber nicht viel glücklicher als ihre franzö¬
sische Schwester, die Cruvelli bewährt sich noch immer als Liebling des großen
Publicums. Ich habe sie nnn in drei Rollen gehört, in der Norma, Ernani
und in der Tochter deö Regiments, ich darf mir daher scholl erlauben, mein Ur¬
theil über sie abzugeben. Die Bedenken, die sich in mir gleich das erste Mal
erhoben, haben dein Gefallen an den außerordentlichen Stimmmitteln und an der
herrlichen Frauengestalt den Rang abgewonnen. Die Cruvelli ist keine große
Künstlerin, fast möchte ich sagen, sie ist überhaupt keine Künstlerin. Sie hat
keine dramatische Leidenschaft, lind sie sucht sich über ihre Aufgabe in den ver¬
schiedenen Rollen nicht genug Rechenschaft zu geben. Fast scheint es uns, als
ob ihr der Beifall und nicht die Kunst das höchste Ziel seien, lind weil sie bei¬
fällige Aufnahme hier findet, ist sie befriedigt und glaubt fertig zu sein. Es fehlt
ihr der künstlerische Fleiß, jener begeisternde Funke, der den Künstler entzünden
muß, soll er wirklich große Schöpfungen schassen und soll der Zuhörer wirklich
Feuer fangen. Die Cruvelli überascht durch ihre imposante Gestalt und durch
ihre wunderbare Stimme; aber ist man über diese Ueberraschung hinaus, wendet
man sich an die dramatische Künstlerin, so fällt uns der Mangel an Harmonie
zwischen Gesang, Methode und der dargestellten Rolle auf, und selbst der kleinen
Gestalt fehlt jene Elasticität, jene Beweglichkeit, ohne die der Ausdruck hoch¬
tragischer Momente steif lind monoton wird. Ihre schönen Züge bleiben starr, und
nur die feurigen Augen, die hin und her rennen wie ein Tiger im Käsige,
verleihen dem Gesicht etwas mehr Leben. Ihr Gesang ist voll Bravour und
Sophie Crnvelli hat Fertigkeit und Mittel genug, ungewöhnliche Kunststücke zu
machen, aber sie wirkt nur in wenigen glücklichen Momenten ergreifend, und auch
da will eS bedünken, daß diese Wirkung eine eingelernte, es ist nicht jenes inner¬
liche Strömen begeisternden Feuers, das die Künstler bezeichnet. In der Tochter
deö Regiments zeigten sich die erwähnten Mängel in auffallender Weise, und
selbst die dankbare Gesangsstunde im zweiten Acte blieb weit unter dem, was wir
voll andern Sängerinnen zu hören gewohnt sind. Die Natur hat viel sür diese
junge Sängerin gethan, und es ist schade, daß sie selber so wenig für sich thut;
bei dieser Neigung zur Ueberschätzung ihres Talentes ist sehr zu befürchten, daß
ihre Zukunft an den Klippen ihres hiesigen Erfolges scheitere. Die Cruvelli
müßte zwei Jahre bei der Schröder Devrient in die Schule gehen, dann könnten
ihre dramatischen Leistungen ihren schönen Naturgaben angemessen werden. Wird
sie es aber begreifen, daß der Blnmenregen einiger enthusiastischen Narren noch
keine Einlaßkarte in den Tempel der Kunst sei? Wir wünschen es herzlich.

Ein wirkliches Ereigniß in der hiesigen Kunstwelt ist die Rückkehr der
jungen Pianistin Wilhelmine Clauß. Diese hat sich, wie das hier üblich ist,
zuerst in einigen KünstlersoiiLen hören lassen. In Paris muß man, um durch-
zudringen, vor Allein die Kunstnotabilitäten jeder Art für sich haben. Diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/84>, abgerufen am 26.06.2024.