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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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bei Nacht unterhielten mich die Vögel. Während der Winterzeit halten sich in dem
milden Klima von Texas viele Zug- und' Strichvögel ans, namentlich viele Schnepfen,
und in ungeheurer Menge mehrere Drosselarten von graller oder schwarzer Farbe,
von deuen einige ziemlich die Größe von Tauben erreichen. Sie umschwärmen
zu dieser Zeit die Farmer, und helfen, ähnlich wie bei uns die Sperlinge, die
in diesen Gegenden nicht angetroffen werden, den Hühnern das vorgeworfene Fut-
ter verzehren. Turteltauben sitzen ans den Bäumen, und lassen ihre angenehme me¬
lancholische Stimme hören, während der Mockingbird oder Spottvogel durch
die married saltigsten Gesänge in den verschiedensten Tonarten das Ohr entzückt;
von der schlanken Form unsrer Bachstelzen, wiegt er sich auf den höchsten Zwei¬
gen der Bäume, und tänscht den frisch angekommenen Deutschen, der bisweilen
eine Nachtigall, bisweilen einen Canarienvogel, bisweilen einen Finken zu hören
glaubt, und wenn er den Sänger erspäht hat, stets findet, daß diese mannichfalti-
gen Töne aus derselben Kehle,hervorströmen. Ju sofern ist er ein Spottvogel,
als er den unerfahrenen Deutschen narrt; keineswegs aber hat er seinen Na¬
men, wie sogar große Naturforscher mit Unrecht behaupten, daher, daß er durch
Nachahmung des Gesanges der Nachtigall und anderer Singvögel diese verspotte;
denn wenn er einen Gesang nachahmen wollte, so müßte er den Gesang dieser
Vögel vorher gehört haben; wie sollte er ihn aber hören, da diese Sänger in
Texas gar nicht vorkommen? -- Und wenn beim Untergange der Sonne der
Mockingbird schweigt, da läßt der Whivpvwil seinen eintönigen Ruf bis tief in
die Nacht hinein hören, und verkündet dnrch denselben Ruf den Sonnenaufgang.
-- Alles ist Leben in der Natur, aber der Mensch, gewöhnt an den Umgang
mit seines Gleichen, fühlt sich einsam, lind findet nnr selten im Umgange mit der
Natur das, was er sucht.

Bisweilen wurde die Ruhe meiner Nächte dnrch kleine Abenteuer mit den
Feinden der Hühnerställe und Kornhäuser unterbrochen. Als solche Feinde sind
die Stinkthiere, die Opossum, die Waschbäre und die Eierschlangen zu nennen.
Die Stinkthiere gehen eigentlich nnr des Nachts ans Raub aus, hingegen spioniren
sie auch wol bisweilen am Tage ans den Farmer umher, greisen aber zu diesen
Zeiten weder an, noch fliehen sie, wenn sie selbst angegriffen werden, so daß sie
zu gleicher Zeit eine merkwürdige Mischling von Feigheit und Unverschämtheit
an den Tag legen. Sobald die Hühner bei Hellem Tageslichte ein solches Thier
gewahr werden, schaaren sie sich um dasselbe herum lind gackern; das Stinkthier
tritt langsam den Rückzug an, hebt dabei den buschigen, dunkelbraun und weiß
gestreiften Schwanz senkrecht in die Höhe, und hält sich bereit, dem Erstell, welcher
es angreifen sollte, eine Ladung von jener Flüssigkeit entgegenzusetzen, die von
Menschen.und Thieren in gleicher Weise gefürchtet wird. Einst wurde ich uuter
der Galerie dnrch das Geschrei der Hühner im Hühnerhause aufgeschreckt; augen¬
blicklich sprang ich auf, und eilte mit eiuer Hacke bewaffnet dem Hanse zu; zu glei-


bei Nacht unterhielten mich die Vögel. Während der Winterzeit halten sich in dem
milden Klima von Texas viele Zug- und' Strichvögel ans, namentlich viele Schnepfen,
und in ungeheurer Menge mehrere Drosselarten von graller oder schwarzer Farbe,
von deuen einige ziemlich die Größe von Tauben erreichen. Sie umschwärmen
zu dieser Zeit die Farmer, und helfen, ähnlich wie bei uns die Sperlinge, die
in diesen Gegenden nicht angetroffen werden, den Hühnern das vorgeworfene Fut-
ter verzehren. Turteltauben sitzen ans den Bäumen, und lassen ihre angenehme me¬
lancholische Stimme hören, während der Mockingbird oder Spottvogel durch
die married saltigsten Gesänge in den verschiedensten Tonarten das Ohr entzückt;
von der schlanken Form unsrer Bachstelzen, wiegt er sich auf den höchsten Zwei¬
gen der Bäume, und tänscht den frisch angekommenen Deutschen, der bisweilen
eine Nachtigall, bisweilen einen Canarienvogel, bisweilen einen Finken zu hören
glaubt, und wenn er den Sänger erspäht hat, stets findet, daß diese mannichfalti-
gen Töne aus derselben Kehle,hervorströmen. Ju sofern ist er ein Spottvogel,
als er den unerfahrenen Deutschen narrt; keineswegs aber hat er seinen Na¬
men, wie sogar große Naturforscher mit Unrecht behaupten, daher, daß er durch
Nachahmung des Gesanges der Nachtigall und anderer Singvögel diese verspotte;
denn wenn er einen Gesang nachahmen wollte, so müßte er den Gesang dieser
Vögel vorher gehört haben; wie sollte er ihn aber hören, da diese Sänger in
Texas gar nicht vorkommen? — Und wenn beim Untergange der Sonne der
Mockingbird schweigt, da läßt der Whivpvwil seinen eintönigen Ruf bis tief in
die Nacht hinein hören, und verkündet dnrch denselben Ruf den Sonnenaufgang.
— Alles ist Leben in der Natur, aber der Mensch, gewöhnt an den Umgang
mit seines Gleichen, fühlt sich einsam, lind findet nnr selten im Umgange mit der
Natur das, was er sucht.

Bisweilen wurde die Ruhe meiner Nächte dnrch kleine Abenteuer mit den
Feinden der Hühnerställe und Kornhäuser unterbrochen. Als solche Feinde sind
die Stinkthiere, die Opossum, die Waschbäre und die Eierschlangen zu nennen.
Die Stinkthiere gehen eigentlich nnr des Nachts ans Raub aus, hingegen spioniren
sie auch wol bisweilen am Tage ans den Farmer umher, greisen aber zu diesen
Zeiten weder an, noch fliehen sie, wenn sie selbst angegriffen werden, so daß sie
zu gleicher Zeit eine merkwürdige Mischling von Feigheit und Unverschämtheit
an den Tag legen. Sobald die Hühner bei Hellem Tageslichte ein solches Thier
gewahr werden, schaaren sie sich um dasselbe herum lind gackern; das Stinkthier
tritt langsam den Rückzug an, hebt dabei den buschigen, dunkelbraun und weiß
gestreiften Schwanz senkrecht in die Höhe, und hält sich bereit, dem Erstell, welcher
es angreifen sollte, eine Ladung von jener Flüssigkeit entgegenzusetzen, die von
Menschen.und Thieren in gleicher Weise gefürchtet wird. Einst wurde ich uuter
der Galerie dnrch das Geschrei der Hühner im Hühnerhause aufgeschreckt; augen¬
blicklich sprang ich auf, und eilte mit eiuer Hacke bewaffnet dem Hanse zu; zu glei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/70>, abgerufen am 22.07.2024.