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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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wie Du hatte ich einst das Heimweh: jetzt könnte man mir ein Königreich bieten,
man könnte mich zum deutschen Kaiser machen wollen -- ich würde sagen: behaltet
eure Kronen, und laßt mich in meiner Hütte, bei meinem Vieh, bei meinem
Felde." -- Monate, Jahre sind verflossen -- ich wurde kein Texaner, ich blieb
ein Deutscher; man bot mir kein Königreich, keine Kaiserkrone an, aber die
Sehnsucht nach ^geistiger Beschäftigung blieb, und wurde immer mächtiger. Unter-
deß wirkte das neue Leben nicht nur auf mein Inneres, auch auf meinen Körper.
Die Blasen an den Händen machten einer hornigen, unempfindlichen Oberhaut
Platz, die Gliederschmerzen verschwanden ebenfalls, die zähe Natur meines Körpers
schien, wie sie gegen die Einflüsse des Seelebens und der amerikanischen Kost
unempfindlich gewesen war, auch dem texanischeu Klima Widerstand entgegenzu¬
stellen. Nach Verlauf von einigen Wochen hatte ich das Ansehen und theilweise
auch den Charakter eines Handarbeiters erlangt. Wenn ich in meiner Jacke von
blau gestreifter Sackleinwand, in Schuhen ohne Strümpfe, einen alten, abge¬
tragenen, zerknickten und zerrissenen Hut ans dem Kopfe / die Axt auf der-
Schulter, vom Hause ans das Feld, oder vom Felde nach dem Hause zurückging,
wenn ich am Morgen veranschlagte, ein wie großes Stück der Ferne ich im Laufe
deS Tages aufbauen konnte, und Abends das Resultat der Arbeit mit dem Plane
verglich, und zugleich fühlte, daß ich nicht viel müder geworden war, als wenn
ich den ganzen Tag Nichts gethan hatte, oder wenn ich später, nachdem ich
Tage lang mit der schweren Art Holz geschlagen hatte, dasselbe Urtheil fällte, so
'konnte ich nicht umhin, mich darüber zu wundern, daß man in Deutschland solche
Arbeiten mit dem Namen "schwere Arbeit" bezeichnet, da sie schon mir, der ich
nnr seit einigen Wochen dieselben betrieben hatte, leicht vorkamen; um wieviel
leichter müssen sie sür die sein, welche von Jngend auf Gelegenheit gehabt haben,
ihre Kräfte denselben anzupassen? Schwierige Arbeiten sind nur solche, durch
welche die Körperkräfte geschwächt werden, oder durch welche der Körper, in ein¬
zelnen Fällen der Geist, unangenehm berührt wird.

Der Abend ging zu Ende. -- "Es ist zehn Uhr", würde man in Deutsch¬
land gesagt habe", wo die Thurmuhr in einem weiten Umkreise die Bewohner
durch ihr-feierliches, gemüthliches altes Brummen zum Aufbruch mahnt, oder
der Zeigefinger ihrer kleinen Abkömmlinge, .der Stubennhren, auf die verhängniß-
volle Zahl hindeutet, -- "laßt uus zu Bett gehen"; -- so aber sprechen wir in
Texas nicht; diese Zauberschlage hörten wir uicht; an ihrer Stelle hört man dann
und wann ein: "Ich bin müde", oder: "Es wird wol Zeit sein." In dem
kleinen 4 4 bis 16 Fuß ins Gevierte haltenden Raume des Hauses standen zwei
Betten, uicht ein- oder zweischläfrige, aber drei- und vierschläfrige; das eine
gehörte dem Hausherrn, der Hausfrau und dem jüngsten Kinde, das andere den
drei älteren Kindern. Jetzt blieb noch ich und der weiße Gehilfe, und zu manchen
Zeiten, gerade damals, als ich mich in der Farm aufhielt, ein schwarzer Sclave


wie Du hatte ich einst das Heimweh: jetzt könnte man mir ein Königreich bieten,
man könnte mich zum deutschen Kaiser machen wollen — ich würde sagen: behaltet
eure Kronen, und laßt mich in meiner Hütte, bei meinem Vieh, bei meinem
Felde." — Monate, Jahre sind verflossen — ich wurde kein Texaner, ich blieb
ein Deutscher; man bot mir kein Königreich, keine Kaiserkrone an, aber die
Sehnsucht nach ^geistiger Beschäftigung blieb, und wurde immer mächtiger. Unter-
deß wirkte das neue Leben nicht nur auf mein Inneres, auch auf meinen Körper.
Die Blasen an den Händen machten einer hornigen, unempfindlichen Oberhaut
Platz, die Gliederschmerzen verschwanden ebenfalls, die zähe Natur meines Körpers
schien, wie sie gegen die Einflüsse des Seelebens und der amerikanischen Kost
unempfindlich gewesen war, auch dem texanischeu Klima Widerstand entgegenzu¬
stellen. Nach Verlauf von einigen Wochen hatte ich das Ansehen und theilweise
auch den Charakter eines Handarbeiters erlangt. Wenn ich in meiner Jacke von
blau gestreifter Sackleinwand, in Schuhen ohne Strümpfe, einen alten, abge¬
tragenen, zerknickten und zerrissenen Hut ans dem Kopfe / die Axt auf der-
Schulter, vom Hause ans das Feld, oder vom Felde nach dem Hause zurückging,
wenn ich am Morgen veranschlagte, ein wie großes Stück der Ferne ich im Laufe
deS Tages aufbauen konnte, und Abends das Resultat der Arbeit mit dem Plane
verglich, und zugleich fühlte, daß ich nicht viel müder geworden war, als wenn
ich den ganzen Tag Nichts gethan hatte, oder wenn ich später, nachdem ich
Tage lang mit der schweren Art Holz geschlagen hatte, dasselbe Urtheil fällte, so
'konnte ich nicht umhin, mich darüber zu wundern, daß man in Deutschland solche
Arbeiten mit dem Namen „schwere Arbeit" bezeichnet, da sie schon mir, der ich
nnr seit einigen Wochen dieselben betrieben hatte, leicht vorkamen; um wieviel
leichter müssen sie sür die sein, welche von Jngend auf Gelegenheit gehabt haben,
ihre Kräfte denselben anzupassen? Schwierige Arbeiten sind nur solche, durch
welche die Körperkräfte geschwächt werden, oder durch welche der Körper, in ein¬
zelnen Fällen der Geist, unangenehm berührt wird.

Der Abend ging zu Ende. — „Es ist zehn Uhr", würde man in Deutsch¬
land gesagt habe», wo die Thurmuhr in einem weiten Umkreise die Bewohner
durch ihr-feierliches, gemüthliches altes Brummen zum Aufbruch mahnt, oder
der Zeigefinger ihrer kleinen Abkömmlinge, .der Stubennhren, auf die verhängniß-
volle Zahl hindeutet, — „laßt uus zu Bett gehen"; — so aber sprechen wir in
Texas nicht; diese Zauberschlage hörten wir uicht; an ihrer Stelle hört man dann
und wann ein: „Ich bin müde", oder: „Es wird wol Zeit sein." In dem
kleinen 4 4 bis 16 Fuß ins Gevierte haltenden Raume des Hauses standen zwei
Betten, uicht ein- oder zweischläfrige, aber drei- und vierschläfrige; das eine
gehörte dem Hausherrn, der Hausfrau und dem jüngsten Kinde, das andere den
drei älteren Kindern. Jetzt blieb noch ich und der weiße Gehilfe, und zu manchen
Zeiten, gerade damals, als ich mich in der Farm aufhielt, ein schwarzer Sclave


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/68>, abgerufen am 22.07.2024.