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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Die erste Wahl nach der Reformbill gab dieser Partei eine überwiegende
Majorität im Parlament; aber diese Majorität war aus sehr verschiedenen Be¬
standtheilen zusammengesetzt. Die geschickte Auswahl der in dein neuen System
beizubehaltenden Wahlflecken, nud die nicht weniger geschickte Abgrenzung der
Wahldistricte setzte die Minister in den Stand, eine nicht geringe Anzahl persön¬
licher Anhänger ins Parlament zu bringen. Aber mit diesen kam auch O'Connell mit
seinem Anhange ans Irland, und unabhängige Liberale aus England und Schott¬
land. Die irische Phalanx, O'Connell unbedingt ergeben, verfolgte ihr beson¬
deres Ziel. Die unabhängigen Liberalen bestanden vornämlich aus eiuer kleinen
Schaar hochgebildeter Männer, die sich, Rationalisten in Politik und Nationalökonomie,
zu den Theorien des Westminster-Review bekannten, und einer nicht unbedeutenden
Anzahl Vertreter aus den Manufacturdistricten, entschiedene und kräftige Leute,
aber mit mehr Eifer als Kenntnissen allsgestattet.

Die Minister und ihre persönlichen Anhänger hatten mit diesen neuen Ele¬
menten wenig Sympathie. Die Whigs waren stets aristokratisch und exclustv
gewesen, und die Canningiten hatten viele ihrer Toryvorurtheile beibehalten. Ir¬
land ward zuerst der Apfel der Zwietracht. Die Minister und ihre persönlichen
Anhänger wollten Irland behandeln, wie die Tories es vor ihnen behandelt hatten.
Dagegen protestirte natürlich die irische Partei. Von den englischen unabhängi¬
gen Liberalen traten mehrere ohne Rückhalt auf die Seite der Jrländer; andere
versuchten zu vermitteln, und die Minister zu liberaleren Ansichten zu bekehren.
Einige Concessionen an die katholische Kirche Irland's war die erste, und der
Austritt Lord Stanley's und Sir James Graham's mit einer Anzahl'ihrer Anhän¬
ger, lauter Whigs, die nächste Folge. Es dauerte ewige Zeit, ehe die Zurück¬
bleibenden wieder sich an einander schlössen, und selbst, als sie ihr Bündniß er¬
neuerten, geschah es mit Mißtrauen und Uneinigkeit.

Lord Brougham hatte sich durch die Lebhaftigkeit seines Charakters in der
Vertheidigung eiuer halbtroyistischeu Politik am weitesten von allen seinen Colle¬
ge" fortreißen lassen. Aus der andern Seite hatte der als Dissenter aufge¬
wachsene Lord Durham mehr Hinneigung zu deu unabhängigen englischen Libera¬
len, als die meisten anderen Whigs. Die daraus entstehenden Uneinigkeiten
wurden noch durch den Umstand verschlimmert, daß sich Lord Brougham und
die Greys, mit denen Lord Durham eng verbunden war, nicht vertragen konn¬
ten. Russell und Lansdowue und ihr Anhang neigten sich zu Lord Brougham,
aber der herrische Charakter desselben zwang sie, ihn aufzugeben, und er wurde,
um das ministerielle Schiff zu retten, als ein zweiter Zonas über Bord geworfen.
Der Vertrag von Litchfieldhouse (nach Lord Melbourne's Landsitz) mit den Jr-
ländern und deu Liberale,! war die Folge. Von O'Connell gewannen die Mi¬
nister dadurch weiter Nichts, als eine Art bewaffneter Neutralität und gelegent¬
liche Mitwirkung, die aber durch die Bedingungen, an die sie geknüpft war,


Die erste Wahl nach der Reformbill gab dieser Partei eine überwiegende
Majorität im Parlament; aber diese Majorität war aus sehr verschiedenen Be¬
standtheilen zusammengesetzt. Die geschickte Auswahl der in dein neuen System
beizubehaltenden Wahlflecken, nud die nicht weniger geschickte Abgrenzung der
Wahldistricte setzte die Minister in den Stand, eine nicht geringe Anzahl persön¬
licher Anhänger ins Parlament zu bringen. Aber mit diesen kam auch O'Connell mit
seinem Anhange ans Irland, und unabhängige Liberale aus England und Schott¬
land. Die irische Phalanx, O'Connell unbedingt ergeben, verfolgte ihr beson¬
deres Ziel. Die unabhängigen Liberalen bestanden vornämlich aus eiuer kleinen
Schaar hochgebildeter Männer, die sich, Rationalisten in Politik und Nationalökonomie,
zu den Theorien des Westminster-Review bekannten, und einer nicht unbedeutenden
Anzahl Vertreter aus den Manufacturdistricten, entschiedene und kräftige Leute,
aber mit mehr Eifer als Kenntnissen allsgestattet.

Die Minister und ihre persönlichen Anhänger hatten mit diesen neuen Ele¬
menten wenig Sympathie. Die Whigs waren stets aristokratisch und exclustv
gewesen, und die Canningiten hatten viele ihrer Toryvorurtheile beibehalten. Ir¬
land ward zuerst der Apfel der Zwietracht. Die Minister und ihre persönlichen
Anhänger wollten Irland behandeln, wie die Tories es vor ihnen behandelt hatten.
Dagegen protestirte natürlich die irische Partei. Von den englischen unabhängi¬
gen Liberalen traten mehrere ohne Rückhalt auf die Seite der Jrländer; andere
versuchten zu vermitteln, und die Minister zu liberaleren Ansichten zu bekehren.
Einige Concessionen an die katholische Kirche Irland's war die erste, und der
Austritt Lord Stanley's und Sir James Graham's mit einer Anzahl'ihrer Anhän¬
ger, lauter Whigs, die nächste Folge. Es dauerte ewige Zeit, ehe die Zurück¬
bleibenden wieder sich an einander schlössen, und selbst, als sie ihr Bündniß er¬
neuerten, geschah es mit Mißtrauen und Uneinigkeit.

Lord Brougham hatte sich durch die Lebhaftigkeit seines Charakters in der
Vertheidigung eiuer halbtroyistischeu Politik am weitesten von allen seinen Colle¬
ge» fortreißen lassen. Aus der andern Seite hatte der als Dissenter aufge¬
wachsene Lord Durham mehr Hinneigung zu deu unabhängigen englischen Libera¬
len, als die meisten anderen Whigs. Die daraus entstehenden Uneinigkeiten
wurden noch durch den Umstand verschlimmert, daß sich Lord Brougham und
die Greys, mit denen Lord Durham eng verbunden war, nicht vertragen konn¬
ten. Russell und Lansdowue und ihr Anhang neigten sich zu Lord Brougham,
aber der herrische Charakter desselben zwang sie, ihn aufzugeben, und er wurde,
um das ministerielle Schiff zu retten, als ein zweiter Zonas über Bord geworfen.
Der Vertrag von Litchfieldhouse (nach Lord Melbourne's Landsitz) mit den Jr-
ländern und deu Liberale,! war die Folge. Von O'Connell gewannen die Mi¬
nister dadurch weiter Nichts, als eine Art bewaffneter Neutralität und gelegent¬
liche Mitwirkung, die aber durch die Bedingungen, an die sie geknüpft war,


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[0513] Die erste Wahl nach der Reformbill gab dieser Partei eine überwiegende Majorität im Parlament; aber diese Majorität war aus sehr verschiedenen Be¬ standtheilen zusammengesetzt. Die geschickte Auswahl der in dein neuen System beizubehaltenden Wahlflecken, nud die nicht weniger geschickte Abgrenzung der Wahldistricte setzte die Minister in den Stand, eine nicht geringe Anzahl persön¬ licher Anhänger ins Parlament zu bringen. Aber mit diesen kam auch O'Connell mit seinem Anhange ans Irland, und unabhängige Liberale aus England und Schott¬ land. Die irische Phalanx, O'Connell unbedingt ergeben, verfolgte ihr beson¬ deres Ziel. Die unabhängigen Liberalen bestanden vornämlich aus eiuer kleinen Schaar hochgebildeter Männer, die sich, Rationalisten in Politik und Nationalökonomie, zu den Theorien des Westminster-Review bekannten, und einer nicht unbedeutenden Anzahl Vertreter aus den Manufacturdistricten, entschiedene und kräftige Leute, aber mit mehr Eifer als Kenntnissen allsgestattet. Die Minister und ihre persönlichen Anhänger hatten mit diesen neuen Ele¬ menten wenig Sympathie. Die Whigs waren stets aristokratisch und exclustv gewesen, und die Canningiten hatten viele ihrer Toryvorurtheile beibehalten. Ir¬ land ward zuerst der Apfel der Zwietracht. Die Minister und ihre persönlichen Anhänger wollten Irland behandeln, wie die Tories es vor ihnen behandelt hatten. Dagegen protestirte natürlich die irische Partei. Von den englischen unabhängi¬ gen Liberalen traten mehrere ohne Rückhalt auf die Seite der Jrländer; andere versuchten zu vermitteln, und die Minister zu liberaleren Ansichten zu bekehren. Einige Concessionen an die katholische Kirche Irland's war die erste, und der Austritt Lord Stanley's und Sir James Graham's mit einer Anzahl'ihrer Anhän¬ ger, lauter Whigs, die nächste Folge. Es dauerte ewige Zeit, ehe die Zurück¬ bleibenden wieder sich an einander schlössen, und selbst, als sie ihr Bündniß er¬ neuerten, geschah es mit Mißtrauen und Uneinigkeit. Lord Brougham hatte sich durch die Lebhaftigkeit seines Charakters in der Vertheidigung eiuer halbtroyistischeu Politik am weitesten von allen seinen Colle¬ ge» fortreißen lassen. Aus der andern Seite hatte der als Dissenter aufge¬ wachsene Lord Durham mehr Hinneigung zu deu unabhängigen englischen Libera¬ len, als die meisten anderen Whigs. Die daraus entstehenden Uneinigkeiten wurden noch durch den Umstand verschlimmert, daß sich Lord Brougham und die Greys, mit denen Lord Durham eng verbunden war, nicht vertragen konn¬ ten. Russell und Lansdowue und ihr Anhang neigten sich zu Lord Brougham, aber der herrische Charakter desselben zwang sie, ihn aufzugeben, und er wurde, um das ministerielle Schiff zu retten, als ein zweiter Zonas über Bord geworfen. Der Vertrag von Litchfieldhouse (nach Lord Melbourne's Landsitz) mit den Jr- ländern und deu Liberale,! war die Folge. Von O'Connell gewannen die Mi¬ nister dadurch weiter Nichts, als eine Art bewaffneter Neutralität und gelegent¬ liche Mitwirkung, die aber durch die Bedingungen, an die sie geknüpft war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/513>, abgerufen am 22.07.2024.