Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Forschens, sondern mit dem Forschen selbst bekannt macht. Freilich wird nur
Derjenige in das Verständniß der wissenschaftlichen Operation eingeweiht werden
können, der sie nach irgend einer Seite hin ans eigener Erfahrung kennt, denn
Ernst, Ausdauer und Gründlichkeit sind Eigenschaften, die man nicht blos aus
dem Hörensagen versteht. Aber für diese wird eine solche Methode im höchsten
Grade förderlich sein, und sie wird vorzugsweise dazu beitragen, das Bewußt¬
sein von der Wissenschaft, als einer Totalität, die in den verschiedenen Zweigen
nur scheinbar anseinandertritt, überall lebendig zu machen. Die Gegenstände
des Wissens sind verschieden, die wissenschaftliche Form aber ist überall die näm¬
liche, und der Stand der Gelehrten ist derjenige, in welchem sich das gesunde
Selbstgefühl der Menschheit am freiesten aussprechen kann, weil er überall weiß,
wohin er will, während der Staatsmann wie der Künstler, auf das Endliche
gewiesen, die Gewißheit des Erfolgs erst von außen hernehmen muß.

Dies ist die erste wesentliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift in
dem Sinne, wie es die Herausgeber anstreben. Sie soll die wissenschaftliche
Welt zu einer Totalität erheben, und sie sott darin die Philosophie ergänze",
welche, abgesehen von ihrer Bedeutung als Specialwissenschast neben anderen
Wissenschaften, sich die Aufgabe zu stellen pflegt, die ins Gebiet des Endlichen
versenkten Studien von Zeit zu Zeit an ihre allgemeine Idee und an ihren
Zusammenhang unter einander zu erinnern. Der Philosophie wird diese Auf¬
gabe darum schwer, weil sie ihrem Ziele auf einem andern Wege der Erkennt¬
niß, als dem gewöhnlichen wissenschaftlichen, nachstrebt, und darum bei der realen
Wissenschaft keinen Glauben findet. Die Einheit, die sie in der Wissenschaft
hervorbringt, ist nur eine ideelle, mit anderen Worten eine imaginaire, während
die wirkliche Wissenschaft, nicht von einem abstracten Princip, sondern von den
verschiedensten concreten Darstellungen ausgehend, den Mittelpunkt der wissen¬
schaftlichen Totalität nie' verfehlen wird. So hat, um ein naheliegendes Bei¬
spiel anzuführen, Humboldt's Kosmos für die ideale Auffassung der Natur¬
wissenschaften viel mehr gethan, als die sämmtliche Naturphilosophie von Schelling
bis auf unsre Zeit.

Wenn so die Wissenschaft sich zu einer Gesammtheit zusammenschließt, findet
sie mit Nothwendigkeit ihren Gegensatz in der Unwissenschaftlichkeit, die einen
wissenschaftlichen Anstrich annehmen möchte, im sogenannten Dilettantismus. Jede
wissenschaftliche Zeitschrift polemisirt schon durch ihre Existenz gegen die Ober¬
flächlichkeit der gewöhnlichen Anschauung. Ein solcher Kampf ist in Deutschland
noch nothwendiger, als in England und Frankreich. Gerade weil unsre Gelehr¬
samkeit, in mikroskopische Einzelstudien vertieft, es selten zu dem Entschluß bringt,
was sie für sich gewonnen, durch eine künstlerische Darstellung dem allgemeinen
Bewußtsein mitzutheilen, ist es geschehen, daß sich eine außerhalb der Wissenschaft
stehende specifisch sogenannte Literatur gebildet hat, welche die leichtfertig auf-


Forschens, sondern mit dem Forschen selbst bekannt macht. Freilich wird nur
Derjenige in das Verständniß der wissenschaftlichen Operation eingeweiht werden
können, der sie nach irgend einer Seite hin ans eigener Erfahrung kennt, denn
Ernst, Ausdauer und Gründlichkeit sind Eigenschaften, die man nicht blos aus
dem Hörensagen versteht. Aber für diese wird eine solche Methode im höchsten
Grade förderlich sein, und sie wird vorzugsweise dazu beitragen, das Bewußt¬
sein von der Wissenschaft, als einer Totalität, die in den verschiedenen Zweigen
nur scheinbar anseinandertritt, überall lebendig zu machen. Die Gegenstände
des Wissens sind verschieden, die wissenschaftliche Form aber ist überall die näm¬
liche, und der Stand der Gelehrten ist derjenige, in welchem sich das gesunde
Selbstgefühl der Menschheit am freiesten aussprechen kann, weil er überall weiß,
wohin er will, während der Staatsmann wie der Künstler, auf das Endliche
gewiesen, die Gewißheit des Erfolgs erst von außen hernehmen muß.

Dies ist die erste wesentliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift in
dem Sinne, wie es die Herausgeber anstreben. Sie soll die wissenschaftliche
Welt zu einer Totalität erheben, und sie sott darin die Philosophie ergänze»,
welche, abgesehen von ihrer Bedeutung als Specialwissenschast neben anderen
Wissenschaften, sich die Aufgabe zu stellen pflegt, die ins Gebiet des Endlichen
versenkten Studien von Zeit zu Zeit an ihre allgemeine Idee und an ihren
Zusammenhang unter einander zu erinnern. Der Philosophie wird diese Auf¬
gabe darum schwer, weil sie ihrem Ziele auf einem andern Wege der Erkennt¬
niß, als dem gewöhnlichen wissenschaftlichen, nachstrebt, und darum bei der realen
Wissenschaft keinen Glauben findet. Die Einheit, die sie in der Wissenschaft
hervorbringt, ist nur eine ideelle, mit anderen Worten eine imaginaire, während
die wirkliche Wissenschaft, nicht von einem abstracten Princip, sondern von den
verschiedensten concreten Darstellungen ausgehend, den Mittelpunkt der wissen¬
schaftlichen Totalität nie' verfehlen wird. So hat, um ein naheliegendes Bei¬
spiel anzuführen, Humboldt's Kosmos für die ideale Auffassung der Natur¬
wissenschaften viel mehr gethan, als die sämmtliche Naturphilosophie von Schelling
bis auf unsre Zeit.

Wenn so die Wissenschaft sich zu einer Gesammtheit zusammenschließt, findet
sie mit Nothwendigkeit ihren Gegensatz in der Unwissenschaftlichkeit, die einen
wissenschaftlichen Anstrich annehmen möchte, im sogenannten Dilettantismus. Jede
wissenschaftliche Zeitschrift polemisirt schon durch ihre Existenz gegen die Ober¬
flächlichkeit der gewöhnlichen Anschauung. Ein solcher Kampf ist in Deutschland
noch nothwendiger, als in England und Frankreich. Gerade weil unsre Gelehr¬
samkeit, in mikroskopische Einzelstudien vertieft, es selten zu dem Entschluß bringt,
was sie für sich gewonnen, durch eine künstlerische Darstellung dem allgemeinen
Bewußtsein mitzutheilen, ist es geschehen, daß sich eine außerhalb der Wissenschaft
stehende specifisch sogenannte Literatur gebildet hat, welche die leichtfertig auf-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0495" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93860"/>
          <p xml:id="ID_1360" prev="#ID_1359"> Forschens, sondern mit dem Forschen selbst bekannt macht. Freilich wird nur<lb/>
Derjenige in das Verständniß der wissenschaftlichen Operation eingeweiht werden<lb/>
können, der sie nach irgend einer Seite hin ans eigener Erfahrung kennt, denn<lb/>
Ernst, Ausdauer und Gründlichkeit sind Eigenschaften, die man nicht blos aus<lb/>
dem Hörensagen versteht. Aber für diese wird eine solche Methode im höchsten<lb/>
Grade förderlich sein, und sie wird vorzugsweise dazu beitragen, das Bewußt¬<lb/>
sein von der Wissenschaft, als einer Totalität, die in den verschiedenen Zweigen<lb/>
nur scheinbar anseinandertritt, überall lebendig zu machen. Die Gegenstände<lb/>
des Wissens sind verschieden, die wissenschaftliche Form aber ist überall die näm¬<lb/>
liche, und der Stand der Gelehrten ist derjenige, in welchem sich das gesunde<lb/>
Selbstgefühl der Menschheit am freiesten aussprechen kann, weil er überall weiß,<lb/>
wohin er will, während der Staatsmann wie der Künstler, auf das Endliche<lb/>
gewiesen, die Gewißheit des Erfolgs erst von außen hernehmen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1361"> Dies ist die erste wesentliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift in<lb/>
dem Sinne, wie es die Herausgeber anstreben. Sie soll die wissenschaftliche<lb/>
Welt zu einer Totalität erheben, und sie sott darin die Philosophie ergänze»,<lb/>
welche, abgesehen von ihrer Bedeutung als Specialwissenschast neben anderen<lb/>
Wissenschaften, sich die Aufgabe zu stellen pflegt, die ins Gebiet des Endlichen<lb/>
versenkten Studien von Zeit zu Zeit an ihre allgemeine Idee und an ihren<lb/>
Zusammenhang unter einander zu erinnern. Der Philosophie wird diese Auf¬<lb/>
gabe darum schwer, weil sie ihrem Ziele auf einem andern Wege der Erkennt¬<lb/>
niß, als dem gewöhnlichen wissenschaftlichen, nachstrebt, und darum bei der realen<lb/>
Wissenschaft keinen Glauben findet. Die Einheit, die sie in der Wissenschaft<lb/>
hervorbringt, ist nur eine ideelle, mit anderen Worten eine imaginaire, während<lb/>
die wirkliche Wissenschaft, nicht von einem abstracten Princip, sondern von den<lb/>
verschiedensten concreten Darstellungen ausgehend, den Mittelpunkt der wissen¬<lb/>
schaftlichen Totalität nie' verfehlen wird. So hat, um ein naheliegendes Bei¬<lb/>
spiel anzuführen, Humboldt's Kosmos für die ideale Auffassung der Natur¬<lb/>
wissenschaften viel mehr gethan, als die sämmtliche Naturphilosophie von Schelling<lb/>
bis auf unsre Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1362" next="#ID_1363"> Wenn so die Wissenschaft sich zu einer Gesammtheit zusammenschließt, findet<lb/>
sie mit Nothwendigkeit ihren Gegensatz in der Unwissenschaftlichkeit, die einen<lb/>
wissenschaftlichen Anstrich annehmen möchte, im sogenannten Dilettantismus. Jede<lb/>
wissenschaftliche Zeitschrift polemisirt schon durch ihre Existenz gegen die Ober¬<lb/>
flächlichkeit der gewöhnlichen Anschauung. Ein solcher Kampf ist in Deutschland<lb/>
noch nothwendiger, als in England und Frankreich. Gerade weil unsre Gelehr¬<lb/>
samkeit, in mikroskopische Einzelstudien vertieft, es selten zu dem Entschluß bringt,<lb/>
was sie für sich gewonnen, durch eine künstlerische Darstellung dem allgemeinen<lb/>
Bewußtsein mitzutheilen, ist es geschehen, daß sich eine außerhalb der Wissenschaft<lb/>
stehende specifisch sogenannte Literatur gebildet hat, welche die leichtfertig auf-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0495] Forschens, sondern mit dem Forschen selbst bekannt macht. Freilich wird nur Derjenige in das Verständniß der wissenschaftlichen Operation eingeweiht werden können, der sie nach irgend einer Seite hin ans eigener Erfahrung kennt, denn Ernst, Ausdauer und Gründlichkeit sind Eigenschaften, die man nicht blos aus dem Hörensagen versteht. Aber für diese wird eine solche Methode im höchsten Grade förderlich sein, und sie wird vorzugsweise dazu beitragen, das Bewußt¬ sein von der Wissenschaft, als einer Totalität, die in den verschiedenen Zweigen nur scheinbar anseinandertritt, überall lebendig zu machen. Die Gegenstände des Wissens sind verschieden, die wissenschaftliche Form aber ist überall die näm¬ liche, und der Stand der Gelehrten ist derjenige, in welchem sich das gesunde Selbstgefühl der Menschheit am freiesten aussprechen kann, weil er überall weiß, wohin er will, während der Staatsmann wie der Künstler, auf das Endliche gewiesen, die Gewißheit des Erfolgs erst von außen hernehmen muß. Dies ist die erste wesentliche Aufgabe einer wissenschaftlichen Zeitschrift in dem Sinne, wie es die Herausgeber anstreben. Sie soll die wissenschaftliche Welt zu einer Totalität erheben, und sie sott darin die Philosophie ergänze», welche, abgesehen von ihrer Bedeutung als Specialwissenschast neben anderen Wissenschaften, sich die Aufgabe zu stellen pflegt, die ins Gebiet des Endlichen versenkten Studien von Zeit zu Zeit an ihre allgemeine Idee und an ihren Zusammenhang unter einander zu erinnern. Der Philosophie wird diese Auf¬ gabe darum schwer, weil sie ihrem Ziele auf einem andern Wege der Erkennt¬ niß, als dem gewöhnlichen wissenschaftlichen, nachstrebt, und darum bei der realen Wissenschaft keinen Glauben findet. Die Einheit, die sie in der Wissenschaft hervorbringt, ist nur eine ideelle, mit anderen Worten eine imaginaire, während die wirkliche Wissenschaft, nicht von einem abstracten Princip, sondern von den verschiedensten concreten Darstellungen ausgehend, den Mittelpunkt der wissen¬ schaftlichen Totalität nie' verfehlen wird. So hat, um ein naheliegendes Bei¬ spiel anzuführen, Humboldt's Kosmos für die ideale Auffassung der Natur¬ wissenschaften viel mehr gethan, als die sämmtliche Naturphilosophie von Schelling bis auf unsre Zeit. Wenn so die Wissenschaft sich zu einer Gesammtheit zusammenschließt, findet sie mit Nothwendigkeit ihren Gegensatz in der Unwissenschaftlichkeit, die einen wissenschaftlichen Anstrich annehmen möchte, im sogenannten Dilettantismus. Jede wissenschaftliche Zeitschrift polemisirt schon durch ihre Existenz gegen die Ober¬ flächlichkeit der gewöhnlichen Anschauung. Ein solcher Kampf ist in Deutschland noch nothwendiger, als in England und Frankreich. Gerade weil unsre Gelehr¬ samkeit, in mikroskopische Einzelstudien vertieft, es selten zu dem Entschluß bringt, was sie für sich gewonnen, durch eine künstlerische Darstellung dem allgemeinen Bewußtsein mitzutheilen, ist es geschehen, daß sich eine außerhalb der Wissenschaft stehende specifisch sogenannte Literatur gebildet hat, welche die leichtfertig auf-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/495
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/495>, abgerufen am 22.07.2024.