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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Scudery, Spielerglück u. s. w. Hoffmann zeichnet sich vor Tieck, der in seinem
Runenberg, Liebeszauber u. s. w. dieses Genre zuerst mit Erfolg angebaut hat,
durch einen kräftigern Realismus aus. Bei Tieck verschwimmt die ganze Ge¬
schichte in ein mondscheinartiges Traumleben, und trotz der wirklich künstlerischen
Ausarbeitung einzelner Züge werden wir doch im Ganzen ermüdet. Bei Hoff¬
mann dagegen werden wir zuerst so sicher gemacht, daß wir uns auf festem
Boden glauben, und plötzlich bricht dann das Erdbeben der dämonischen Welt
aus uns ein. Auch in Bezug auf dieses Genre sind wir allmählich durch die zahl¬
reichen Bearbeitungen blasirt.

So heiter uns aber anch die bunten Farben und die zierlichen Arabesken in seinen
Geschichten anmuthen, so bleibt doch Etwas darin, das dem gesunden Gefühl widersteht.
Auch aus dem frischesten Grün haucht uns Etwas von Fäulniß ein. Seiner poetischen
Conception der Charaktere und auch der Schicksale, so viel Glänzendes sie hat,
fehlt immer der eigentliche Kern alles Schaffens, das feste und sichere Gefühl.
So wie in der Arabeskenzeichnung die realen Formen sich der zierlichen Windung
der Linien bequemen müssen, so sind seine Gestalten durch Einfalle und Stim¬
mungen eben sowol hervorgerufen, als beeinträchtigt. Es ist etwas, von Mosaik¬
arbeit darin; die einzelnen Beobachtungen und Einfälle drängen sich über die
Totalität hinaus. Er liebt es, zu mystificiren, und bei einem Charakterproblem,
das uns in die lebhafteste Spannung versetzt, uns den Schlüssel vorzuenthalten;
ja, er ist geneigt, in diesem Unaufgelösten, Räthselhaften, Fragmentarischen die
eigentliche Poesie zu suchen. Wenn mau freilich den Wahnsinn -- die Unter¬
brechung des Zusammenhangs zwischen Geist und Natur -- als ein eigentlich
poetisches Moment, oder gar als den höchsten Ausdruck der Poesie auffaßt, wie
es Jean Paul in seiner "Vorschule" mit gelegentlicher Paradoxie andeutet,
und wie es Hoffmann öfters ausführt, so darf man sich nicht darüber wundern,
wenn der Einfall des Prinzen von Pellagonia, unnatürliche Combinationen in
dem Gebiet der organischen Natur vorzunehmen, auch auf das Geistige übertragen
wird. Hoffmann's Charaktere haben immer einen geheimen Doppelgänger, der
ihr Gegentheil ist, und wenn wir in dem Glauben stehen, es mit dem einen zu
thun zu haben, so grinst uns plötzlich aus der Larve heraus das boshafte Satyr¬
auge des audern an. Die Züge des Alltagsmenschen legen sich unvorbereitet in
entsetzliche, dämonische Falten, und Satan verwandelt sich eben so unvermittelt in
einen bequemen, gelangweilten Philister. Hoffmann hat mit scharfem Auge fratzen¬
hafte Erscheinungen verfolgt und seine Gedanken darüber in Tagebüchern auf¬
bewahrt; später dräugen sich diese Gedanken hervor, wo sie am wenigsten hin¬
gehören. Zwischen seinen Possen und seiner -- etwas nach dem Opium schmecken¬
den .Verzückung liegt keine gemüthliche Mitte, in der sich die beiden Gegensätze -
neutralistren; der eine Gemüthszustand ist das Gespenst, das den andern heim¬
sucht, ohne ihm irgendwie verwandt zu sein.


Scudery, Spielerglück u. s. w. Hoffmann zeichnet sich vor Tieck, der in seinem
Runenberg, Liebeszauber u. s. w. dieses Genre zuerst mit Erfolg angebaut hat,
durch einen kräftigern Realismus aus. Bei Tieck verschwimmt die ganze Ge¬
schichte in ein mondscheinartiges Traumleben, und trotz der wirklich künstlerischen
Ausarbeitung einzelner Züge werden wir doch im Ganzen ermüdet. Bei Hoff¬
mann dagegen werden wir zuerst so sicher gemacht, daß wir uns auf festem
Boden glauben, und plötzlich bricht dann das Erdbeben der dämonischen Welt
aus uns ein. Auch in Bezug auf dieses Genre sind wir allmählich durch die zahl¬
reichen Bearbeitungen blasirt.

So heiter uns aber anch die bunten Farben und die zierlichen Arabesken in seinen
Geschichten anmuthen, so bleibt doch Etwas darin, das dem gesunden Gefühl widersteht.
Auch aus dem frischesten Grün haucht uns Etwas von Fäulniß ein. Seiner poetischen
Conception der Charaktere und auch der Schicksale, so viel Glänzendes sie hat,
fehlt immer der eigentliche Kern alles Schaffens, das feste und sichere Gefühl.
So wie in der Arabeskenzeichnung die realen Formen sich der zierlichen Windung
der Linien bequemen müssen, so sind seine Gestalten durch Einfalle und Stim¬
mungen eben sowol hervorgerufen, als beeinträchtigt. Es ist etwas, von Mosaik¬
arbeit darin; die einzelnen Beobachtungen und Einfälle drängen sich über die
Totalität hinaus. Er liebt es, zu mystificiren, und bei einem Charakterproblem,
das uns in die lebhafteste Spannung versetzt, uns den Schlüssel vorzuenthalten;
ja, er ist geneigt, in diesem Unaufgelösten, Räthselhaften, Fragmentarischen die
eigentliche Poesie zu suchen. Wenn mau freilich den Wahnsinn — die Unter¬
brechung des Zusammenhangs zwischen Geist und Natur — als ein eigentlich
poetisches Moment, oder gar als den höchsten Ausdruck der Poesie auffaßt, wie
es Jean Paul in seiner „Vorschule" mit gelegentlicher Paradoxie andeutet,
und wie es Hoffmann öfters ausführt, so darf man sich nicht darüber wundern,
wenn der Einfall des Prinzen von Pellagonia, unnatürliche Combinationen in
dem Gebiet der organischen Natur vorzunehmen, auch auf das Geistige übertragen
wird. Hoffmann's Charaktere haben immer einen geheimen Doppelgänger, der
ihr Gegentheil ist, und wenn wir in dem Glauben stehen, es mit dem einen zu
thun zu haben, so grinst uns plötzlich aus der Larve heraus das boshafte Satyr¬
auge des audern an. Die Züge des Alltagsmenschen legen sich unvorbereitet in
entsetzliche, dämonische Falten, und Satan verwandelt sich eben so unvermittelt in
einen bequemen, gelangweilten Philister. Hoffmann hat mit scharfem Auge fratzen¬
hafte Erscheinungen verfolgt und seine Gedanken darüber in Tagebüchern auf¬
bewahrt; später dräugen sich diese Gedanken hervor, wo sie am wenigsten hin¬
gehören. Zwischen seinen Possen und seiner — etwas nach dem Opium schmecken¬
den .Verzückung liegt keine gemüthliche Mitte, in der sich die beiden Gegensätze -
neutralistren; der eine Gemüthszustand ist das Gespenst, das den andern heim¬
sucht, ohne ihm irgendwie verwandt zu sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/462>, abgerufen am 22.07.2024.