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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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wunderte sich über diese sonderbare Lebensweise, am allerwenigsten der Kosak,
der von Orenbnrg her noch wußte, er habe es mit einer Verrückten zu thun,
und sie deshalb gewähren ließ.

Die Reisenden hatten bereits das Land zwischen dem Ural und der Wolga
im Rücken und befanden sich schon diesseits Simbirsk, als der Schlitten an einer
kleinen Station anhielt, um die Legitimationspapiere vorzuzeigen und die Pferde
zu wechseln. Wie überall, so verfügte sich auch hier der Kosak in die Kanzlei,
um deu nöthigen Rapport zu machen, und wurde auch sofort abgefertigt. Er
hatte uicht Lust, mit seiner stnnunen, fortwährend in dumpfes Hinbrüten ver¬
sunkenen Reisegefährtin ein Gespräch anzuknüpfen; anch diesmal that er es nicht,
und lehnte sich, ohne von Wanda bemerkt zu werden, hinten an den Schlitten,
während der Fuhrmann die Pferde anschirrte. Da hört er plötzlich in dem Kasten,
welcher die Särge barg, eine leise Stimme. Erschrocken sprang er auf die Seite,
doch gewann er bald wieder so viel Muth, um sich dem unheimlichen Kasten zu
nähern und das Ohr daran zu legen. Doch es blieb Alles ruhig. Mancher
Andere hätte hier gern eine Täuschung seiner Sinne vermuthet und nicht weiter
nachgeforscht, doch bei dem Kosaken war dies anders. Der ,,Dienst", gegen¬
über welchem bei dem echten Russen jedes andere, selbst das heiligste Gefühl, in
den Hintergrund tritt, trieb ihn sofort in die Kanzlei zurück, um dort vou dem,
was er bemerkt hatte, Anzeige zu machen. Alsobald tritt ein Beamter in Be¬
gleitung einiger Aufseher an den Schlitten, und fordert Wanda, die keine Ahnung
vou dem, was hinter ihrem Rücken vorgefallen war, auf, auszusteigen. Mau
schreitet zur Untersuchung, und die unglückliche Frau, die jetzt aller Muth ver¬
lassen hat, bricht leblos in sich zusammen. Mau hebt sie aus dein Schlitten
und legt sie ans die Erde,-um bequemer die Revision beginnen zu. können. Das
Erste, was dem Beamten in die Angen siel, waren die zwei kleinen Särge, welche
Wanda zum Sitze gedient hatten; der Kasten am Hintertheile des Schlittens
barg -- den lebenden W...Ski!

Es versteht sich von selbst, daß beide Gatten sofort verhaftet und streng be¬
wacht wurden. Wanda war von jetzt an nicht mehr die Frau eines Verbannten,
sondern eine Verbrecherin, die es unternommen hatte, einem Sträfling bei der
Flucht behilflich zu sein. Die an Ort und Stelle eingeleitete Untersuchung ergab,
daß Wanda, in Verzweiflung über die trostlose Lage ihres Mannes, ein Mittel
gesucht hatte, um den Geliebten ihres Herzens zu retten und ihn vor Selbstmord
zu schützen. Aus ihren Rath spielte er die Rolle des Tiefsinnigen, Lebensmüden,
und verschwand endlich, nachdem die Fran in dunkler Nacht seinen Mantel und seine
Mütze aus Ufer des Ural getragen und dort hingeworfen hatte. Unter unsäglicher
Angst und Gefahren aller Art verbarg sie den Todtgeglaubten bei sich. Sobald
der Schlitten auf den Hof gebracht worden war, schlüpfte W...sti unbemerkt in
den für die Särge bestimmten Behälter, und würd ^ dort von der treuen Gattin


wunderte sich über diese sonderbare Lebensweise, am allerwenigsten der Kosak,
der von Orenbnrg her noch wußte, er habe es mit einer Verrückten zu thun,
und sie deshalb gewähren ließ.

Die Reisenden hatten bereits das Land zwischen dem Ural und der Wolga
im Rücken und befanden sich schon diesseits Simbirsk, als der Schlitten an einer
kleinen Station anhielt, um die Legitimationspapiere vorzuzeigen und die Pferde
zu wechseln. Wie überall, so verfügte sich auch hier der Kosak in die Kanzlei,
um deu nöthigen Rapport zu machen, und wurde auch sofort abgefertigt. Er
hatte uicht Lust, mit seiner stnnunen, fortwährend in dumpfes Hinbrüten ver¬
sunkenen Reisegefährtin ein Gespräch anzuknüpfen; anch diesmal that er es nicht,
und lehnte sich, ohne von Wanda bemerkt zu werden, hinten an den Schlitten,
während der Fuhrmann die Pferde anschirrte. Da hört er plötzlich in dem Kasten,
welcher die Särge barg, eine leise Stimme. Erschrocken sprang er auf die Seite,
doch gewann er bald wieder so viel Muth, um sich dem unheimlichen Kasten zu
nähern und das Ohr daran zu legen. Doch es blieb Alles ruhig. Mancher
Andere hätte hier gern eine Täuschung seiner Sinne vermuthet und nicht weiter
nachgeforscht, doch bei dem Kosaken war dies anders. Der ,,Dienst", gegen¬
über welchem bei dem echten Russen jedes andere, selbst das heiligste Gefühl, in
den Hintergrund tritt, trieb ihn sofort in die Kanzlei zurück, um dort vou dem,
was er bemerkt hatte, Anzeige zu machen. Alsobald tritt ein Beamter in Be¬
gleitung einiger Aufseher an den Schlitten, und fordert Wanda, die keine Ahnung
vou dem, was hinter ihrem Rücken vorgefallen war, auf, auszusteigen. Mau
schreitet zur Untersuchung, und die unglückliche Frau, die jetzt aller Muth ver¬
lassen hat, bricht leblos in sich zusammen. Mau hebt sie aus dein Schlitten
und legt sie ans die Erde,-um bequemer die Revision beginnen zu. können. Das
Erste, was dem Beamten in die Angen siel, waren die zwei kleinen Särge, welche
Wanda zum Sitze gedient hatten; der Kasten am Hintertheile des Schlittens
barg — den lebenden W...Ski!

Es versteht sich von selbst, daß beide Gatten sofort verhaftet und streng be¬
wacht wurden. Wanda war von jetzt an nicht mehr die Frau eines Verbannten,
sondern eine Verbrecherin, die es unternommen hatte, einem Sträfling bei der
Flucht behilflich zu sein. Die an Ort und Stelle eingeleitete Untersuchung ergab,
daß Wanda, in Verzweiflung über die trostlose Lage ihres Mannes, ein Mittel
gesucht hatte, um den Geliebten ihres Herzens zu retten und ihn vor Selbstmord
zu schützen. Aus ihren Rath spielte er die Rolle des Tiefsinnigen, Lebensmüden,
und verschwand endlich, nachdem die Fran in dunkler Nacht seinen Mantel und seine
Mütze aus Ufer des Ural getragen und dort hingeworfen hatte. Unter unsäglicher
Angst und Gefahren aller Art verbarg sie den Todtgeglaubten bei sich. Sobald
der Schlitten auf den Hof gebracht worden war, schlüpfte W...sti unbemerkt in
den für die Särge bestimmten Behälter, und würd ^ dort von der treuen Gattin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/440>, abgerufen am 22.07.2024.