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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Frankreich nach Galizien zurückkehrte. Sein Ausenthalt hier mußte natürlicher
Weise das strengste Geheimniß bleiben; er stahl sich deshalb unter den verschie¬
densten Namen und seltsamsten Verkleidungen von einem Edelhof zum andern,
und kam so auch unter die Obhut der M.'scheu Familie. Hier fand er in Wanda,
der einen Tochter, eine zärtliche Beschützerin, und sie in ihm einen würdigen Ge¬
genstand ihres Mitleidens und ihrer Sorge.

Nur kurze Zeit konnte das junge Paar -den süßen Empfindungen einer edlen
und großen Neigung leben. Trotz aller Vorsicht kam man W. ..Ski aus die Spur,
und in eiuer unseligen Nacht fiel er in die Hände der Häscher. Die schwere,
eiserne Thür des Gefängnisses trennte ihn von dem Gegenstand seiner Liebe;
der Proceß begann, und das einige Monate darauf gefällte Urtheil lautete auf
-- Auslieferung an Rußland. Kaum waren diese Schreckensworte der jungen
Dame zu Ohren gekommen, als sie die dem Verurtheilten noch bewilligte kurze
Frist und die Freiheit, mit anderen Menschen umzugehen, dazu benutzte, um sich
unauflöslich mit ihm zu verbinden. Ein Priester segnete die nnter so traurigen
Auspicien geschlossene Ehe, und die Neuvermählten verließen die Stufen des
Altars, um die Neise nach Nußland anzutreten. Die junge Gattin wußte uicht,
ob sie, dort augelangt, ihrem Manne ins Gefängniß folgen dürfe, und was
überhaupt sein Loos sein werde,, ob Verbannung oder etwas noch Schlimmeres.

Die Gatten sollten über ihr Schicksal nicht lange in Ungewißheit bleiben.
Ans dem Wege schon wurde W...Ski angezeigt, er werde in Orenburg als ge¬
meiner Soldat eintreten. Es war eine klägliche Bestimmung; die Frau folgte
ihrem Mann nach Sibirien.

An Ort und Stelle angelangt, überzeugten sie sich bald, gleich allen übrigen
Verbannten, ihre Lage sei doch nicht so trostlos und schrecklich, als sie sich Anfangs
und in der Ferne vorgestellt hatten. Warum sollten denn auch die Menschen in
der Steppe schlimmer sein, als im Salon? Das menschliche Herz verhärtet im
Gegentheil weniger schnell in der Wüste, als in den Cirkeln der sogenannten fei¬
nen Welt, vielleicht weil die Menschen, je weniger sie dicht an einander gedrängt
sind, desto mehr Mitgefühl für ihre Nächsten zu bewahren pflegen. W...Ski
und seine Gattin hatten hänfig Gelegenheit, sich von der Wahrheit des eben
Gesagten zu überzeugen, denn mancher von fremder Hand geleistete Liebesdienst
und mauches aus dem Herzen kommende Wort des Mitleids versüßten ihnen die
Bitterkeit der Verbannung. Der Himmel hatte sie mit zwei allerliebsten Kindern
gesegnet; sie wurden ihnen ein Quell unendlicher Freuden.

Doch uicht lange sollten sie sich dieses bescheidenen Glückes freuen. Die
Cholera brach in Orenburg ans, und die beiden Kleinen gehörten zu den ersten
Opfern, welche die Seuche forderte. Wenige Stunden hatten hingereicht, um
die Blüthe der Gesundheit von den frischen Wangen der Kinder wegzuwischen
und sie in die Farbe der Verwesung zu kleiden. Gebengt vom tiefsten Seelen-


Frankreich nach Galizien zurückkehrte. Sein Ausenthalt hier mußte natürlicher
Weise das strengste Geheimniß bleiben; er stahl sich deshalb unter den verschie¬
densten Namen und seltsamsten Verkleidungen von einem Edelhof zum andern,
und kam so auch unter die Obhut der M.'scheu Familie. Hier fand er in Wanda,
der einen Tochter, eine zärtliche Beschützerin, und sie in ihm einen würdigen Ge¬
genstand ihres Mitleidens und ihrer Sorge.

Nur kurze Zeit konnte das junge Paar -den süßen Empfindungen einer edlen
und großen Neigung leben. Trotz aller Vorsicht kam man W. ..Ski aus die Spur,
und in eiuer unseligen Nacht fiel er in die Hände der Häscher. Die schwere,
eiserne Thür des Gefängnisses trennte ihn von dem Gegenstand seiner Liebe;
der Proceß begann, und das einige Monate darauf gefällte Urtheil lautete auf
— Auslieferung an Rußland. Kaum waren diese Schreckensworte der jungen
Dame zu Ohren gekommen, als sie die dem Verurtheilten noch bewilligte kurze
Frist und die Freiheit, mit anderen Menschen umzugehen, dazu benutzte, um sich
unauflöslich mit ihm zu verbinden. Ein Priester segnete die nnter so traurigen
Auspicien geschlossene Ehe, und die Neuvermählten verließen die Stufen des
Altars, um die Neise nach Nußland anzutreten. Die junge Gattin wußte uicht,
ob sie, dort augelangt, ihrem Manne ins Gefängniß folgen dürfe, und was
überhaupt sein Loos sein werde,, ob Verbannung oder etwas noch Schlimmeres.

Die Gatten sollten über ihr Schicksal nicht lange in Ungewißheit bleiben.
Ans dem Wege schon wurde W...Ski angezeigt, er werde in Orenburg als ge¬
meiner Soldat eintreten. Es war eine klägliche Bestimmung; die Frau folgte
ihrem Mann nach Sibirien.

An Ort und Stelle angelangt, überzeugten sie sich bald, gleich allen übrigen
Verbannten, ihre Lage sei doch nicht so trostlos und schrecklich, als sie sich Anfangs
und in der Ferne vorgestellt hatten. Warum sollten denn auch die Menschen in
der Steppe schlimmer sein, als im Salon? Das menschliche Herz verhärtet im
Gegentheil weniger schnell in der Wüste, als in den Cirkeln der sogenannten fei¬
nen Welt, vielleicht weil die Menschen, je weniger sie dicht an einander gedrängt
sind, desto mehr Mitgefühl für ihre Nächsten zu bewahren pflegen. W...Ski
und seine Gattin hatten hänfig Gelegenheit, sich von der Wahrheit des eben
Gesagten zu überzeugen, denn mancher von fremder Hand geleistete Liebesdienst
und mauches aus dem Herzen kommende Wort des Mitleids versüßten ihnen die
Bitterkeit der Verbannung. Der Himmel hatte sie mit zwei allerliebsten Kindern
gesegnet; sie wurden ihnen ein Quell unendlicher Freuden.

Doch uicht lange sollten sie sich dieses bescheidenen Glückes freuen. Die
Cholera brach in Orenburg ans, und die beiden Kleinen gehörten zu den ersten
Opfern, welche die Seuche forderte. Wenige Stunden hatten hingereicht, um
die Blüthe der Gesundheit von den frischen Wangen der Kinder wegzuwischen
und sie in die Farbe der Verwesung zu kleiden. Gebengt vom tiefsten Seelen-


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[0438] Frankreich nach Galizien zurückkehrte. Sein Ausenthalt hier mußte natürlicher Weise das strengste Geheimniß bleiben; er stahl sich deshalb unter den verschie¬ densten Namen und seltsamsten Verkleidungen von einem Edelhof zum andern, und kam so auch unter die Obhut der M.'scheu Familie. Hier fand er in Wanda, der einen Tochter, eine zärtliche Beschützerin, und sie in ihm einen würdigen Ge¬ genstand ihres Mitleidens und ihrer Sorge. Nur kurze Zeit konnte das junge Paar -den süßen Empfindungen einer edlen und großen Neigung leben. Trotz aller Vorsicht kam man W. ..Ski aus die Spur, und in eiuer unseligen Nacht fiel er in die Hände der Häscher. Die schwere, eiserne Thür des Gefängnisses trennte ihn von dem Gegenstand seiner Liebe; der Proceß begann, und das einige Monate darauf gefällte Urtheil lautete auf — Auslieferung an Rußland. Kaum waren diese Schreckensworte der jungen Dame zu Ohren gekommen, als sie die dem Verurtheilten noch bewilligte kurze Frist und die Freiheit, mit anderen Menschen umzugehen, dazu benutzte, um sich unauflöslich mit ihm zu verbinden. Ein Priester segnete die nnter so traurigen Auspicien geschlossene Ehe, und die Neuvermählten verließen die Stufen des Altars, um die Neise nach Nußland anzutreten. Die junge Gattin wußte uicht, ob sie, dort augelangt, ihrem Manne ins Gefängniß folgen dürfe, und was überhaupt sein Loos sein werde,, ob Verbannung oder etwas noch Schlimmeres. Die Gatten sollten über ihr Schicksal nicht lange in Ungewißheit bleiben. Ans dem Wege schon wurde W...Ski angezeigt, er werde in Orenburg als ge¬ meiner Soldat eintreten. Es war eine klägliche Bestimmung; die Frau folgte ihrem Mann nach Sibirien. An Ort und Stelle angelangt, überzeugten sie sich bald, gleich allen übrigen Verbannten, ihre Lage sei doch nicht so trostlos und schrecklich, als sie sich Anfangs und in der Ferne vorgestellt hatten. Warum sollten denn auch die Menschen in der Steppe schlimmer sein, als im Salon? Das menschliche Herz verhärtet im Gegentheil weniger schnell in der Wüste, als in den Cirkeln der sogenannten fei¬ nen Welt, vielleicht weil die Menschen, je weniger sie dicht an einander gedrängt sind, desto mehr Mitgefühl für ihre Nächsten zu bewahren pflegen. W...Ski und seine Gattin hatten hänfig Gelegenheit, sich von der Wahrheit des eben Gesagten zu überzeugen, denn mancher von fremder Hand geleistete Liebesdienst und mauches aus dem Herzen kommende Wort des Mitleids versüßten ihnen die Bitterkeit der Verbannung. Der Himmel hatte sie mit zwei allerliebsten Kindern gesegnet; sie wurden ihnen ein Quell unendlicher Freuden. Doch uicht lange sollten sie sich dieses bescheidenen Glückes freuen. Die Cholera brach in Orenburg ans, und die beiden Kleinen gehörten zu den ersten Opfern, welche die Seuche forderte. Wenige Stunden hatten hingereicht, um die Blüthe der Gesundheit von den frischen Wangen der Kinder wegzuwischen und sie in die Farbe der Verwesung zu kleiden. Gebengt vom tiefsten Seelen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/438>, abgerufen am 25.08.2024.