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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Die Adjective erhalten, wie der Artikel und die Zahlen, in den Casus nur
dürftige Flexion, die Casus obliqui und der Plural werden bezeichnet. Ein Com¬
parativ ist vorhanden: -toi-, nach dem Sanskrit: -tara; der Superlativ fehlt. Aus
deu Adjectiven werden Adverbia durch die angehängte Endung -Sö gebildet.

Der gegenwärtige Zustand der Pronomina ist charakteristisch für die Existenz
des Volkes. In den persönlichen und possessiven haben sich uralte Stämme zum
Theil in schönen Formen erhalten, z. B. in<z ich, man mich, miro, f. mirl mein.
Die demonstrativen Pronomina und die dazu gehörigen Adverbia find zahlreich
erhalten; ein Volk, welches im Freien, in so inniger Verbindung mit der gegen¬
ständlichen Natur lebt, unterscheidet genau die verschiedenen Entfernungen der
sichtbaren Gegenstände von dem Sprechenden, und der räumliche Gegensatz zwi¬
schen Näher und Ferner wird schön und bedeutsam (wie in viele" anderen Spra¬
chen, am vollkommensten im Ungarischen), so ausgedrückt, daß das Nähere, wel¬
ches Heller und klarer hervortritt, anch die helleren Vokale, das Entferntere die
dunkleren bekommt, z. V. iiclaZ hier, oclH dort u. s. w. -- Dagegen liegen die
relativen Pronomina, deren Gedeihen eine größere Bildung und Zucht des Den¬
kens voraussetzt, sehr in Trümmern.

Die Zahlwörter haben bei den europäischen Zigeunern ziemlich allgemein
einige griechische Zahlen aufgenommen, welche von den alten indischen Stammen
lebhaft abstechen; anch Spuren persischen Einflusses sind sichtbar.

Das Zeitwort hat keinen großen Reichthum an ConjriHationsformen. Der
Infinitiv fehlt, an seiner Stelle wird eine Umschreibung mit daß t," und der
dritten Person des Präsens gebraucht. Z. B. statt: Ich habe,mir zu essen
genommen, liZum man te cümU ich habe genommen mir daß er esse. -- Auch
das Fnturum fehlt, an seiner Stelle wird das Präsens des Indicativ gebraucht.
-- Das Präsens des Indicativs und Conjunctivs, ein Jmperfect, ein Perfect
und allenfalls ein Plusqnampersect, die beiden letzteren dnrch die angehefteten
Formen des Hilfszeitwortes, ich bin und ich war, gebildet, treten hervor. Der
Imperativ hat im Singular eine eigene Form. Drei Participia Passivi zeigen
in ihren Endungen, sogar in ihrer Betonung, deutlich die Herkunft von alten
Sanskritformen. Ein Passionen und Reflexionen wird durch Verbindung eines
dieser Participien mit den Hilfsverbcn bin (1um) und komme (papa) gebildet. --
Die Personal-Eudungcn sind noch kräftig und volltönend, im Präsens deö Indicativ
herrscht das a. Bei einzelnen Zeitwörtern sind anch die starken Bildungen durch
Wechsel des Stammvocals noch erkennbar. Z. B. äava ich gebe, cMm ich gab,
äavtmäo gegeben. Gerade beim Zeitwort ist es sehr schwer, ein richtiges Bild
seiner Bildungen aus deu einzelnen wilden Individuen herauszufragen, welche unsren
Gelehrten zufällig in den Weg gekommen sind. Doch kann man wol schon jetzt aus deu
oft von einander abweichenden Auffassungen der Sammler erkennen, daß die Bildun¬
gen des Zeitworts vollständiger und origineller erhalten sind, als man glauben sollte.


Grenzboten, l. 1862. S3

Die Adjective erhalten, wie der Artikel und die Zahlen, in den Casus nur
dürftige Flexion, die Casus obliqui und der Plural werden bezeichnet. Ein Com¬
parativ ist vorhanden: -toi-, nach dem Sanskrit: -tara; der Superlativ fehlt. Aus
deu Adjectiven werden Adverbia durch die angehängte Endung -Sö gebildet.

Der gegenwärtige Zustand der Pronomina ist charakteristisch für die Existenz
des Volkes. In den persönlichen und possessiven haben sich uralte Stämme zum
Theil in schönen Formen erhalten, z. B. in<z ich, man mich, miro, f. mirl mein.
Die demonstrativen Pronomina und die dazu gehörigen Adverbia find zahlreich
erhalten; ein Volk, welches im Freien, in so inniger Verbindung mit der gegen¬
ständlichen Natur lebt, unterscheidet genau die verschiedenen Entfernungen der
sichtbaren Gegenstände von dem Sprechenden, und der räumliche Gegensatz zwi¬
schen Näher und Ferner wird schön und bedeutsam (wie in viele» anderen Spra¬
chen, am vollkommensten im Ungarischen), so ausgedrückt, daß das Nähere, wel¬
ches Heller und klarer hervortritt, anch die helleren Vokale, das Entferntere die
dunkleren bekommt, z. V. iiclaZ hier, oclH dort u. s. w. — Dagegen liegen die
relativen Pronomina, deren Gedeihen eine größere Bildung und Zucht des Den¬
kens voraussetzt, sehr in Trümmern.

Die Zahlwörter haben bei den europäischen Zigeunern ziemlich allgemein
einige griechische Zahlen aufgenommen, welche von den alten indischen Stammen
lebhaft abstechen; anch Spuren persischen Einflusses sind sichtbar.

Das Zeitwort hat keinen großen Reichthum an ConjriHationsformen. Der
Infinitiv fehlt, an seiner Stelle wird eine Umschreibung mit daß t,« und der
dritten Person des Präsens gebraucht. Z. B. statt: Ich habe,mir zu essen
genommen, liZum man te cümU ich habe genommen mir daß er esse. — Auch
das Fnturum fehlt, an seiner Stelle wird das Präsens des Indicativ gebraucht.
— Das Präsens des Indicativs und Conjunctivs, ein Jmperfect, ein Perfect
und allenfalls ein Plusqnampersect, die beiden letzteren dnrch die angehefteten
Formen des Hilfszeitwortes, ich bin und ich war, gebildet, treten hervor. Der
Imperativ hat im Singular eine eigene Form. Drei Participia Passivi zeigen
in ihren Endungen, sogar in ihrer Betonung, deutlich die Herkunft von alten
Sanskritformen. Ein Passionen und Reflexionen wird durch Verbindung eines
dieser Participien mit den Hilfsverbcn bin (1um) und komme (papa) gebildet. —
Die Personal-Eudungcn sind noch kräftig und volltönend, im Präsens deö Indicativ
herrscht das a. Bei einzelnen Zeitwörtern sind anch die starken Bildungen durch
Wechsel des Stammvocals noch erkennbar. Z. B. äava ich gebe, cMm ich gab,
äavtmäo gegeben. Gerade beim Zeitwort ist es sehr schwer, ein richtiges Bild
seiner Bildungen aus deu einzelnen wilden Individuen herauszufragen, welche unsren
Gelehrten zufällig in den Weg gekommen sind. Doch kann man wol schon jetzt aus deu
oft von einander abweichenden Auffassungen der Sammler erkennen, daß die Bildun¬
gen des Zeitworts vollständiger und origineller erhalten sind, als man glauben sollte.


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[0427] Die Adjective erhalten, wie der Artikel und die Zahlen, in den Casus nur dürftige Flexion, die Casus obliqui und der Plural werden bezeichnet. Ein Com¬ parativ ist vorhanden: -toi-, nach dem Sanskrit: -tara; der Superlativ fehlt. Aus deu Adjectiven werden Adverbia durch die angehängte Endung -Sö gebildet. Der gegenwärtige Zustand der Pronomina ist charakteristisch für die Existenz des Volkes. In den persönlichen und possessiven haben sich uralte Stämme zum Theil in schönen Formen erhalten, z. B. in<z ich, man mich, miro, f. mirl mein. Die demonstrativen Pronomina und die dazu gehörigen Adverbia find zahlreich erhalten; ein Volk, welches im Freien, in so inniger Verbindung mit der gegen¬ ständlichen Natur lebt, unterscheidet genau die verschiedenen Entfernungen der sichtbaren Gegenstände von dem Sprechenden, und der räumliche Gegensatz zwi¬ schen Näher und Ferner wird schön und bedeutsam (wie in viele» anderen Spra¬ chen, am vollkommensten im Ungarischen), so ausgedrückt, daß das Nähere, wel¬ ches Heller und klarer hervortritt, anch die helleren Vokale, das Entferntere die dunkleren bekommt, z. V. iiclaZ hier, oclH dort u. s. w. — Dagegen liegen die relativen Pronomina, deren Gedeihen eine größere Bildung und Zucht des Den¬ kens voraussetzt, sehr in Trümmern. Die Zahlwörter haben bei den europäischen Zigeunern ziemlich allgemein einige griechische Zahlen aufgenommen, welche von den alten indischen Stammen lebhaft abstechen; anch Spuren persischen Einflusses sind sichtbar. Das Zeitwort hat keinen großen Reichthum an ConjriHationsformen. Der Infinitiv fehlt, an seiner Stelle wird eine Umschreibung mit daß t,« und der dritten Person des Präsens gebraucht. Z. B. statt: Ich habe,mir zu essen genommen, liZum man te cümU ich habe genommen mir daß er esse. — Auch das Fnturum fehlt, an seiner Stelle wird das Präsens des Indicativ gebraucht. — Das Präsens des Indicativs und Conjunctivs, ein Jmperfect, ein Perfect und allenfalls ein Plusqnampersect, die beiden letzteren dnrch die angehefteten Formen des Hilfszeitwortes, ich bin und ich war, gebildet, treten hervor. Der Imperativ hat im Singular eine eigene Form. Drei Participia Passivi zeigen in ihren Endungen, sogar in ihrer Betonung, deutlich die Herkunft von alten Sanskritformen. Ein Passionen und Reflexionen wird durch Verbindung eines dieser Participien mit den Hilfsverbcn bin (1um) und komme (papa) gebildet. — Die Personal-Eudungcn sind noch kräftig und volltönend, im Präsens deö Indicativ herrscht das a. Bei einzelnen Zeitwörtern sind anch die starken Bildungen durch Wechsel des Stammvocals noch erkennbar. Z. B. äava ich gebe, cMm ich gab, äavtmäo gegeben. Gerade beim Zeitwort ist es sehr schwer, ein richtiges Bild seiner Bildungen aus deu einzelnen wilden Individuen herauszufragen, welche unsren Gelehrten zufällig in den Weg gekommen sind. Doch kann man wol schon jetzt aus deu oft von einander abweichenden Auffassungen der Sammler erkennen, daß die Bildun¬ gen des Zeitworts vollständiger und origineller erhalten sind, als man glauben sollte. Grenzboten, l. 1862. S3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/427>, abgerufen am 22.07.2024.