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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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so daß sich der Besucher in ein Zauberland versetzt glaubte, wenn man aus den
kalten beschneiten Straßen von Se. Petersburg in diese warmen Räume trat.
Für die Pflanzen war der Raum nicht zweckmäßig eingerichtet, weil damals die
Gewächshäuser überhaupt noch sehr mangelhaft waren; aber eine daneben liegende
Gärtnerei sorgte stets sür neue Gewächse und Blumen. -- Dieser Wintergarten
ging mit Potemkin unter, wurde aber neuerdings wieder prachtvoll und zweckmäßiger
als kaiserlicher Wintergarten eingerichtet.

Potemkin's Beispiel fand bald Nachahmung. Fast um dieselbe Zeit ließ der
prachtliebende Herzog Carl Eugen von Württemberg den ersten Wintergarten in
Deutschland anlegen, indem er die Orangerie zu Ludwigsburg mit einem Glas¬
dach überbauen ließ, so daß' ein Wintergarten von 1000 (?) Fuß Länge und
100 Fuß Breite entstand. Justinus Kerner beschreibt ihn in seinen "Erinnerun¬
gen aus der Knabenzeit" folgendermaßen: "Das ganze Gewölbe des großen
Gebäudes enthielt das schönste Grün, und ,es hing so in der Luft, daß man
keinen einzigen Pfosten bemerkte. Da bogen sich Orangenbäume unter dem Ge¬
wicht ihrer Früchte. Da ging man durch Weingärten voll Trauben.wie im Herbst,
und Obstbäume boten ihre reichen Früchte dar. Andere Orangenbäume wölbten
sich zu Lauben. Der ganze Garten bildete ein frisches Blätterwerk. Mehr als
30 Bassins spritzten ihre kühlen Wasser, und hunderttausend (?) Glaslampen, die
nach oben einen prachtvollen Sternenhimmel bildeten, beleuchteten nach unten die
schönsten Blumenbeete. In diesen Zaubergärten wurden die großartigsten Spiele,
dramatische Vorstellungen, Ballete und Tonstücke von den größten Meistern da¬
maliger Zeit ausgeführt u. s. w."

Die Sache wurde in Deutschland und England Mode. Freilich kamen dabei
auch wunderliche Dinge zum Vorschein, indem man das Jmponirende mit den
Haaren herbeizog, und dieselben Fehler beging, wie in den sogenannten englischen
Gärten der damaligen Zeit. So sollte z. B. mancher Wintergarten ein Stück
Urwald vorstellen, und man sah darin ausgestopfte Löwen, Panther, Geier und
andere wilde Thiere, welche den Besucher aufzufressen drohten. Einer der merk¬
würdigsten und wunderlichsten dieser Art war der noch jetzt bestehende, freilich
nicht mehr gut unterhaltene Wintergarten im Villagarten des Fürsten Liechtenstein
in Wien. Dieser befindet sich im Innern eines künstlichen Hügels, und stellt
eine ziemlich gut nachgeahmte Höhle vor, mit vielen Gängen und Felsensälen,
die im Winter mit grünen Tannen belebt werden. Nur die vordersten, dem
Lichte nahen Theile sind wie ein Gewächshaus eingerichtet, und enthalten einige
kümmerlich vegetirende Pflanzen. Die Höhle ist zum Theil von einem unterirdi¬
schen stehenden Wasser eingenommen, und auf den vorspringenden Felsen stehen
ausgestopfte Bären, Wölfe, Füchse, Adler und andere Raubthiere bereit, auf
den Vorübergehenden sich zu stürzen.

In Deutschland entstanden in neuerer Zeit an vielen Höfen und bei wohl-


Grenzboten. I. 1862. 48

so daß sich der Besucher in ein Zauberland versetzt glaubte, wenn man aus den
kalten beschneiten Straßen von Se. Petersburg in diese warmen Räume trat.
Für die Pflanzen war der Raum nicht zweckmäßig eingerichtet, weil damals die
Gewächshäuser überhaupt noch sehr mangelhaft waren; aber eine daneben liegende
Gärtnerei sorgte stets sür neue Gewächse und Blumen. — Dieser Wintergarten
ging mit Potemkin unter, wurde aber neuerdings wieder prachtvoll und zweckmäßiger
als kaiserlicher Wintergarten eingerichtet.

Potemkin's Beispiel fand bald Nachahmung. Fast um dieselbe Zeit ließ der
prachtliebende Herzog Carl Eugen von Württemberg den ersten Wintergarten in
Deutschland anlegen, indem er die Orangerie zu Ludwigsburg mit einem Glas¬
dach überbauen ließ, so daß' ein Wintergarten von 1000 (?) Fuß Länge und
100 Fuß Breite entstand. Justinus Kerner beschreibt ihn in seinen „Erinnerun¬
gen aus der Knabenzeit" folgendermaßen: „Das ganze Gewölbe des großen
Gebäudes enthielt das schönste Grün, und ,es hing so in der Luft, daß man
keinen einzigen Pfosten bemerkte. Da bogen sich Orangenbäume unter dem Ge¬
wicht ihrer Früchte. Da ging man durch Weingärten voll Trauben.wie im Herbst,
und Obstbäume boten ihre reichen Früchte dar. Andere Orangenbäume wölbten
sich zu Lauben. Der ganze Garten bildete ein frisches Blätterwerk. Mehr als
30 Bassins spritzten ihre kühlen Wasser, und hunderttausend (?) Glaslampen, die
nach oben einen prachtvollen Sternenhimmel bildeten, beleuchteten nach unten die
schönsten Blumenbeete. In diesen Zaubergärten wurden die großartigsten Spiele,
dramatische Vorstellungen, Ballete und Tonstücke von den größten Meistern da¬
maliger Zeit ausgeführt u. s. w."

Die Sache wurde in Deutschland und England Mode. Freilich kamen dabei
auch wunderliche Dinge zum Vorschein, indem man das Jmponirende mit den
Haaren herbeizog, und dieselben Fehler beging, wie in den sogenannten englischen
Gärten der damaligen Zeit. So sollte z. B. mancher Wintergarten ein Stück
Urwald vorstellen, und man sah darin ausgestopfte Löwen, Panther, Geier und
andere wilde Thiere, welche den Besucher aufzufressen drohten. Einer der merk¬
würdigsten und wunderlichsten dieser Art war der noch jetzt bestehende, freilich
nicht mehr gut unterhaltene Wintergarten im Villagarten des Fürsten Liechtenstein
in Wien. Dieser befindet sich im Innern eines künstlichen Hügels, und stellt
eine ziemlich gut nachgeahmte Höhle vor, mit vielen Gängen und Felsensälen,
die im Winter mit grünen Tannen belebt werden. Nur die vordersten, dem
Lichte nahen Theile sind wie ein Gewächshaus eingerichtet, und enthalten einige
kümmerlich vegetirende Pflanzen. Die Höhle ist zum Theil von einem unterirdi¬
schen stehenden Wasser eingenommen, und auf den vorspringenden Felsen stehen
ausgestopfte Bären, Wölfe, Füchse, Adler und andere Raubthiere bereit, auf
den Vorübergehenden sich zu stürzen.

In Deutschland entstanden in neuerer Zeit an vielen Höfen und bei wohl-


Grenzboten. I. 1862. 48
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/387>, abgerufen am 22.07.2024.