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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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er einerseits die> Absorption aller productiven Kräfte durch das politische Leben
und das damit verbundene Zurückbleiben Frankreichs in den eigentlich productiven
Leistungen, andererseits die vollständige Unmündigkeit der einzelnen politischen
Kreise und ihre Unfähigkeit, sich in kritischen Augenblicken selbst zu helfen,
bezeichnet.

In dem neuen Werk versucht er nun die Mittel anzugeben, diesem immer¬
fortschreitenden Verfall der Productivität und der sittlichen Freiheit abzuhelfen.
Obgleich ert eigentlich Royalist ist und für das alte Frankreich vor der Revo¬
lution eine jedenfalls zu weit getriebene Vorliebe zeigt, hält er doch keineswegs
die Rückkehr zur Monarchie für einen Fortschritt zum Bessern; er findet im Ge¬
gentheil, daß die republikanische Form unter den gegenwärtigen Umständen am
meisten geeignet sein dürfte, das französische Volk zur Selbsthilfe anzuregen, und
wenn er auch im Hintergrunde die Möglichkeit einer auf der Basis der neugewon¬
nenen freien Verfassung aufzurichtenden Monarchie sieht, so ist ihm dieser Gesichts¬
punkt doch minder wesentlich, als das, was unmittelbar Noth thut: die Aufhebung
der Centralisation im innern Staatsleben.

Es ist in Frankreich so weit gekommen, daß der Staat nicht blos die Auf¬
sicht über Administration, Industrie, Erziehungswesen und dergleichen führt, son¬
dern sich als einzigen Verwalter betrachtet. Es kann in den Departements keine
nützliche Einrichtung durchgeführt werden, die nicht in Paris in Beziehung auf
ihr Verhältniß zu dem allgemeinen französischen Interesse in Erwägung gezogen,
und in ihrer weitern Richtung bestimmt wäre. Die Verwaltung der Departements
ist in den Händen der von Paris abgeschickten Präfecten, die kein lebendiges
Interesse für die Angelegenheiten der ihnen anvertrauten Bezirke, ja nicht einmal
eine Einsicht in die Bedürfnisse derselben haben, die ihre Stellen lediglich als
eine Vorstufe zur weirern bureaukratischen Carriere betrachten, und ihr Verhalten
ausschließlich darnach einrichten, dem augenblicklichen Machthaber in Paris ge¬
fällig zu sein.

Randot verlangt nun, daß der Staat dieses unrichtige Verhältniß vollstän--
dig aufgebe, daß er seine Thätigkeit auf die allgemeine Politik und auf die
Oberaufsicht beschränke, daß er die Verwaltung der Departements den Departe¬
ments selbst, und die öffentlichen Unternehmungen, Eisenbahnen u. s. w. der
Privatindustrie frei organisirter Gesellschaften überlasse. Er verlangt, daß die
Gemeinderäthe, deren Zusammentritt ohne weitere Einschränkung von Seiten des
Staats frei und öffentlich geschehen soll, die Maires ernennen und gemeinschaftlich
mit den Maires alle Gemeindebeamten, selbst die Lehrer und Professoren, frei
erwählen, und daß dasselbe Verhältniß in den Departements mit den General¬
räthen stattfinden soll. Er will, uuter Vorbehalt seltener Fälle, wo das allge¬
meine Interesse betheiligt ist, die Nothwendigkeit der vorherigen Ermächtigung
zur Ausführung der Beschlüsse der Gemeinde- und Generalräthe gänzlich


er einerseits die> Absorption aller productiven Kräfte durch das politische Leben
und das damit verbundene Zurückbleiben Frankreichs in den eigentlich productiven
Leistungen, andererseits die vollständige Unmündigkeit der einzelnen politischen
Kreise und ihre Unfähigkeit, sich in kritischen Augenblicken selbst zu helfen,
bezeichnet.

In dem neuen Werk versucht er nun die Mittel anzugeben, diesem immer¬
fortschreitenden Verfall der Productivität und der sittlichen Freiheit abzuhelfen.
Obgleich ert eigentlich Royalist ist und für das alte Frankreich vor der Revo¬
lution eine jedenfalls zu weit getriebene Vorliebe zeigt, hält er doch keineswegs
die Rückkehr zur Monarchie für einen Fortschritt zum Bessern; er findet im Ge¬
gentheil, daß die republikanische Form unter den gegenwärtigen Umständen am
meisten geeignet sein dürfte, das französische Volk zur Selbsthilfe anzuregen, und
wenn er auch im Hintergrunde die Möglichkeit einer auf der Basis der neugewon¬
nenen freien Verfassung aufzurichtenden Monarchie sieht, so ist ihm dieser Gesichts¬
punkt doch minder wesentlich, als das, was unmittelbar Noth thut: die Aufhebung
der Centralisation im innern Staatsleben.

Es ist in Frankreich so weit gekommen, daß der Staat nicht blos die Auf¬
sicht über Administration, Industrie, Erziehungswesen und dergleichen führt, son¬
dern sich als einzigen Verwalter betrachtet. Es kann in den Departements keine
nützliche Einrichtung durchgeführt werden, die nicht in Paris in Beziehung auf
ihr Verhältniß zu dem allgemeinen französischen Interesse in Erwägung gezogen,
und in ihrer weitern Richtung bestimmt wäre. Die Verwaltung der Departements
ist in den Händen der von Paris abgeschickten Präfecten, die kein lebendiges
Interesse für die Angelegenheiten der ihnen anvertrauten Bezirke, ja nicht einmal
eine Einsicht in die Bedürfnisse derselben haben, die ihre Stellen lediglich als
eine Vorstufe zur weirern bureaukratischen Carriere betrachten, und ihr Verhalten
ausschließlich darnach einrichten, dem augenblicklichen Machthaber in Paris ge¬
fällig zu sein.

Randot verlangt nun, daß der Staat dieses unrichtige Verhältniß vollstän--
dig aufgebe, daß er seine Thätigkeit auf die allgemeine Politik und auf die
Oberaufsicht beschränke, daß er die Verwaltung der Departements den Departe¬
ments selbst, und die öffentlichen Unternehmungen, Eisenbahnen u. s. w. der
Privatindustrie frei organisirter Gesellschaften überlasse. Er verlangt, daß die
Gemeinderäthe, deren Zusammentritt ohne weitere Einschränkung von Seiten des
Staats frei und öffentlich geschehen soll, die Maires ernennen und gemeinschaftlich
mit den Maires alle Gemeindebeamten, selbst die Lehrer und Professoren, frei
erwählen, und daß dasselbe Verhältniß in den Departements mit den General¬
räthen stattfinden soll. Er will, uuter Vorbehalt seltener Fälle, wo das allge¬
meine Interesse betheiligt ist, die Nothwendigkeit der vorherigen Ermächtigung
zur Ausführung der Beschlüsse der Gemeinde- und Generalräthe gänzlich


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[0382] er einerseits die> Absorption aller productiven Kräfte durch das politische Leben und das damit verbundene Zurückbleiben Frankreichs in den eigentlich productiven Leistungen, andererseits die vollständige Unmündigkeit der einzelnen politischen Kreise und ihre Unfähigkeit, sich in kritischen Augenblicken selbst zu helfen, bezeichnet. In dem neuen Werk versucht er nun die Mittel anzugeben, diesem immer¬ fortschreitenden Verfall der Productivität und der sittlichen Freiheit abzuhelfen. Obgleich ert eigentlich Royalist ist und für das alte Frankreich vor der Revo¬ lution eine jedenfalls zu weit getriebene Vorliebe zeigt, hält er doch keineswegs die Rückkehr zur Monarchie für einen Fortschritt zum Bessern; er findet im Ge¬ gentheil, daß die republikanische Form unter den gegenwärtigen Umständen am meisten geeignet sein dürfte, das französische Volk zur Selbsthilfe anzuregen, und wenn er auch im Hintergrunde die Möglichkeit einer auf der Basis der neugewon¬ nenen freien Verfassung aufzurichtenden Monarchie sieht, so ist ihm dieser Gesichts¬ punkt doch minder wesentlich, als das, was unmittelbar Noth thut: die Aufhebung der Centralisation im innern Staatsleben. Es ist in Frankreich so weit gekommen, daß der Staat nicht blos die Auf¬ sicht über Administration, Industrie, Erziehungswesen und dergleichen führt, son¬ dern sich als einzigen Verwalter betrachtet. Es kann in den Departements keine nützliche Einrichtung durchgeführt werden, die nicht in Paris in Beziehung auf ihr Verhältniß zu dem allgemeinen französischen Interesse in Erwägung gezogen, und in ihrer weitern Richtung bestimmt wäre. Die Verwaltung der Departements ist in den Händen der von Paris abgeschickten Präfecten, die kein lebendiges Interesse für die Angelegenheiten der ihnen anvertrauten Bezirke, ja nicht einmal eine Einsicht in die Bedürfnisse derselben haben, die ihre Stellen lediglich als eine Vorstufe zur weirern bureaukratischen Carriere betrachten, und ihr Verhalten ausschließlich darnach einrichten, dem augenblicklichen Machthaber in Paris ge¬ fällig zu sein. Randot verlangt nun, daß der Staat dieses unrichtige Verhältniß vollstän-- dig aufgebe, daß er seine Thätigkeit auf die allgemeine Politik und auf die Oberaufsicht beschränke, daß er die Verwaltung der Departements den Departe¬ ments selbst, und die öffentlichen Unternehmungen, Eisenbahnen u. s. w. der Privatindustrie frei organisirter Gesellschaften überlasse. Er verlangt, daß die Gemeinderäthe, deren Zusammentritt ohne weitere Einschränkung von Seiten des Staats frei und öffentlich geschehen soll, die Maires ernennen und gemeinschaftlich mit den Maires alle Gemeindebeamten, selbst die Lehrer und Professoren, frei erwählen, und daß dasselbe Verhältniß in den Departements mit den General¬ räthen stattfinden soll. Er will, uuter Vorbehalt seltener Fälle, wo das allge¬ meine Interesse betheiligt ist, die Nothwendigkeit der vorherigen Ermächtigung zur Ausführung der Beschlüsse der Gemeinde- und Generalräthe gänzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/382>, abgerufen am 22.07.2024.