Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man ferner einen Franzosen Deutsch radebrechen läßt, so muß auch dieses Rade¬
brechen einem sprachlichen Gesetz folgen. Wenn wir auch zugeben wollten, daß
ein französischer Officier, der nicht im Stande ist, drei Worte zusammenhängend
deutsch zu sprechen, durch den bloßen Wohllaut eines Goethescher Gedichts so
hingerissen wird, daß er darüber vollständig seine militärische Strenge vergißt
und einen Rebellen pardonnirr, so können wir doch nicht zugeben, daß er in Folge
dessen dem jungen Dichter zuruft: ,A nion coeur, Herme um ! (An mein Herz,
junger Freund!) Dieser Verse haben gegossen Wohllaut tief in meiner Seele,
die ist sehr malacle."

Richard Wagner nennt den Effect eine Wirkung ohne Ursache. Eigentlich
müßte man sagen, eine Wirkung, die aus einer unangemessenen, zufälligen Ur¬
sache hergeleitet wird. Ein solcher Effect ist es, wenn uns zuerst der Maler.
Seekatz lächerlich gemacht wird, weil seine Frau ihn zwingt, auf jedem seiner
Bilder ihr Bild anzubringen, und wenn auf den Grund, den er angiebt: "Der
Friede des Hauses ist'die Muse des deutschen Künstlers," der französische. Offi¬
cier gerührt erwidert: "Meine gute Maun, diese brave Antwort macken schön
alle Bilders von Ihre Frau." So fühlt der Deutsche, aber nicht der Franzose,
am wenigsten der Officier. Abgesehen davon, ist es dramatisch unrichtig, wenn
man pathetische Ausdrücke, die ganz ernst gemeint sind, in einer scurrilen Form
vorträgt. Der Einwand, daß dergleichen im wirklichen Leben vorkommt,
gilt Nichts für die Poesie. Der Königslieutenant wird alle Augenblicke in
Parenthese als seelenvoll, gerührt und begeistert bezeichnet, und was er sagt,
ist sehr weise und verständig. Aber er sagt es in einer Sprache, über die man
lachen muß. Dadurch wird jenes gemischte Gefühl hervorgebracht, auf welches
die deutschen Dichter mit großer Vorliebe ausgehen, das aber dem Begriff der
Kunst widerspricht, weil es nicht rein und ideal ist. Es ist erlaubt, auch das
Pathetische zu komischen Zwecken zu verwenden, aber dann muß man nicht
zugleich uns begeistern wollen; es ist ferner erlaubt, das Entsetzen und Grauen
durch scurrile Züge zu scharfe", wie Shakspeare zuweilen, aber^immer sehr
vorsichtig, thut, aber dann muß man uns dnrch dieses Entsetzen nicht in eine
heitere Stimmung versetzen wollen. Es geht sonst jener gemüthliche Rührnngs-
brei daraus hervor, in dem alles wahre, ästhetische und sittliche Gefühl verschüttet
wird. Sehr charakteristisch ist in dieser Beziehung ein Zug. Der Königslieute-
nant, eben jener Mann, der durch die Untreue seiner Geliebten unglücklich ge¬
worden ist, hat sie in Frankfurt unter einer herumziehenden Schauspielertruppe
wiedergefunden, ist darüber in der höchsten Aufregung, und sagt nun zum jungen
Goethe: "Setzen Sie sich, mein Freund! Ick Ihnen will geben auch Unterricht
in der Korse, zu macken Schauspiele! .... Ick Ihnen will geben die Stoff zu
einem kleinen Dramolet (?), welches Sie können nennen die Geschwister! Und ick
Ihnen will geben, die Stoff zu einer traALÄie, welche Sie können nenne'MlM


4

man ferner einen Franzosen Deutsch radebrechen läßt, so muß auch dieses Rade¬
brechen einem sprachlichen Gesetz folgen. Wenn wir auch zugeben wollten, daß
ein französischer Officier, der nicht im Stande ist, drei Worte zusammenhängend
deutsch zu sprechen, durch den bloßen Wohllaut eines Goethescher Gedichts so
hingerissen wird, daß er darüber vollständig seine militärische Strenge vergißt
und einen Rebellen pardonnirr, so können wir doch nicht zugeben, daß er in Folge
dessen dem jungen Dichter zuruft: ,A nion coeur, Herme um ! (An mein Herz,
junger Freund!) Dieser Verse haben gegossen Wohllaut tief in meiner Seele,
die ist sehr malacle."

Richard Wagner nennt den Effect eine Wirkung ohne Ursache. Eigentlich
müßte man sagen, eine Wirkung, die aus einer unangemessenen, zufälligen Ur¬
sache hergeleitet wird. Ein solcher Effect ist es, wenn uns zuerst der Maler.
Seekatz lächerlich gemacht wird, weil seine Frau ihn zwingt, auf jedem seiner
Bilder ihr Bild anzubringen, und wenn auf den Grund, den er angiebt: „Der
Friede des Hauses ist'die Muse des deutschen Künstlers," der französische. Offi¬
cier gerührt erwidert: „Meine gute Maun, diese brave Antwort macken schön
alle Bilders von Ihre Frau." So fühlt der Deutsche, aber nicht der Franzose,
am wenigsten der Officier. Abgesehen davon, ist es dramatisch unrichtig, wenn
man pathetische Ausdrücke, die ganz ernst gemeint sind, in einer scurrilen Form
vorträgt. Der Einwand, daß dergleichen im wirklichen Leben vorkommt,
gilt Nichts für die Poesie. Der Königslieutenant wird alle Augenblicke in
Parenthese als seelenvoll, gerührt und begeistert bezeichnet, und was er sagt,
ist sehr weise und verständig. Aber er sagt es in einer Sprache, über die man
lachen muß. Dadurch wird jenes gemischte Gefühl hervorgebracht, auf welches
die deutschen Dichter mit großer Vorliebe ausgehen, das aber dem Begriff der
Kunst widerspricht, weil es nicht rein und ideal ist. Es ist erlaubt, auch das
Pathetische zu komischen Zwecken zu verwenden, aber dann muß man nicht
zugleich uns begeistern wollen; es ist ferner erlaubt, das Entsetzen und Grauen
durch scurrile Züge zu scharfe«, wie Shakspeare zuweilen, aber^immer sehr
vorsichtig, thut, aber dann muß man uns dnrch dieses Entsetzen nicht in eine
heitere Stimmung versetzen wollen. Es geht sonst jener gemüthliche Rührnngs-
brei daraus hervor, in dem alles wahre, ästhetische und sittliche Gefühl verschüttet
wird. Sehr charakteristisch ist in dieser Beziehung ein Zug. Der Königslieute-
nant, eben jener Mann, der durch die Untreue seiner Geliebten unglücklich ge¬
worden ist, hat sie in Frankfurt unter einer herumziehenden Schauspielertruppe
wiedergefunden, ist darüber in der höchsten Aufregung, und sagt nun zum jungen
Goethe: „Setzen Sie sich, mein Freund! Ick Ihnen will geben auch Unterricht
in der Korse, zu macken Schauspiele! .... Ick Ihnen will geben die Stoff zu
einem kleinen Dramolet (?), welches Sie können nennen die Geschwister! Und ick
Ihnen will geben, die Stoff zu einer traALÄie, welche Sie können nenne'MlM


4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93738"/>
          <p xml:id="ID_997" prev="#ID_996"> man ferner einen Franzosen Deutsch radebrechen läßt, so muß auch dieses Rade¬<lb/>
brechen einem sprachlichen Gesetz folgen. Wenn wir auch zugeben wollten, daß<lb/>
ein französischer Officier, der nicht im Stande ist, drei Worte zusammenhängend<lb/>
deutsch zu sprechen, durch den bloßen Wohllaut eines Goethescher Gedichts so<lb/>
hingerissen wird, daß er darüber vollständig seine militärische Strenge vergißt<lb/>
und einen Rebellen pardonnirr, so können wir doch nicht zugeben, daß er in Folge<lb/>
dessen dem jungen Dichter zuruft: ,A nion coeur, Herme um ! (An mein Herz,<lb/>
junger Freund!) Dieser Verse haben gegossen Wohllaut tief in meiner Seele,<lb/>
die ist sehr malacle."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_998" next="#ID_999"> Richard Wagner nennt den Effect eine Wirkung ohne Ursache. Eigentlich<lb/>
müßte man sagen, eine Wirkung, die aus einer unangemessenen, zufälligen Ur¬<lb/>
sache hergeleitet wird. Ein solcher Effect ist es, wenn uns zuerst der Maler.<lb/>
Seekatz lächerlich gemacht wird, weil seine Frau ihn zwingt, auf jedem seiner<lb/>
Bilder ihr Bild anzubringen, und wenn auf den Grund, den er angiebt: &#x201E;Der<lb/>
Friede des Hauses ist'die Muse des deutschen Künstlers," der französische. Offi¬<lb/>
cier gerührt erwidert: &#x201E;Meine gute Maun, diese brave Antwort macken schön<lb/>
alle Bilders von Ihre Frau." So fühlt der Deutsche, aber nicht der Franzose,<lb/>
am wenigsten der Officier. Abgesehen davon, ist es dramatisch unrichtig, wenn<lb/>
man pathetische Ausdrücke, die ganz ernst gemeint sind, in einer scurrilen Form<lb/>
vorträgt. Der Einwand, daß dergleichen im wirklichen Leben vorkommt,<lb/>
gilt Nichts für die Poesie. Der Königslieutenant wird alle Augenblicke in<lb/>
Parenthese als seelenvoll, gerührt und begeistert bezeichnet, und was er sagt,<lb/>
ist sehr weise und verständig. Aber er sagt es in einer Sprache, über die man<lb/>
lachen muß. Dadurch wird jenes gemischte Gefühl hervorgebracht, auf welches<lb/>
die deutschen Dichter mit großer Vorliebe ausgehen, das aber dem Begriff der<lb/>
Kunst widerspricht, weil es nicht rein und ideal ist. Es ist erlaubt, auch das<lb/>
Pathetische zu komischen Zwecken zu verwenden, aber dann muß man nicht<lb/>
zugleich uns begeistern wollen; es ist ferner erlaubt, das Entsetzen und Grauen<lb/>
durch scurrile Züge zu scharfe«, wie Shakspeare zuweilen, aber^immer sehr<lb/>
vorsichtig, thut, aber dann muß man uns dnrch dieses Entsetzen nicht in eine<lb/>
heitere Stimmung versetzen wollen. Es geht sonst jener gemüthliche Rührnngs-<lb/>
brei daraus hervor, in dem alles wahre, ästhetische und sittliche Gefühl verschüttet<lb/>
wird. Sehr charakteristisch ist in dieser Beziehung ein Zug. Der Königslieute-<lb/>
nant, eben jener Mann, der durch die Untreue seiner Geliebten unglücklich ge¬<lb/>
worden ist, hat sie in Frankfurt unter einer herumziehenden Schauspielertruppe<lb/>
wiedergefunden, ist darüber in der höchsten Aufregung, und sagt nun zum jungen<lb/>
Goethe: &#x201E;Setzen Sie sich, mein Freund! Ick Ihnen will geben auch Unterricht<lb/>
in der Korse, zu macken Schauspiele! .... Ick Ihnen will geben die Stoff zu<lb/>
einem kleinen Dramolet (?), welches Sie können nennen die Geschwister! Und ick<lb/>
Ihnen will geben, die Stoff zu einer traALÄie, welche Sie können nenne'MlM</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] man ferner einen Franzosen Deutsch radebrechen läßt, so muß auch dieses Rade¬ brechen einem sprachlichen Gesetz folgen. Wenn wir auch zugeben wollten, daß ein französischer Officier, der nicht im Stande ist, drei Worte zusammenhängend deutsch zu sprechen, durch den bloßen Wohllaut eines Goethescher Gedichts so hingerissen wird, daß er darüber vollständig seine militärische Strenge vergißt und einen Rebellen pardonnirr, so können wir doch nicht zugeben, daß er in Folge dessen dem jungen Dichter zuruft: ,A nion coeur, Herme um ! (An mein Herz, junger Freund!) Dieser Verse haben gegossen Wohllaut tief in meiner Seele, die ist sehr malacle." Richard Wagner nennt den Effect eine Wirkung ohne Ursache. Eigentlich müßte man sagen, eine Wirkung, die aus einer unangemessenen, zufälligen Ur¬ sache hergeleitet wird. Ein solcher Effect ist es, wenn uns zuerst der Maler. Seekatz lächerlich gemacht wird, weil seine Frau ihn zwingt, auf jedem seiner Bilder ihr Bild anzubringen, und wenn auf den Grund, den er angiebt: „Der Friede des Hauses ist'die Muse des deutschen Künstlers," der französische. Offi¬ cier gerührt erwidert: „Meine gute Maun, diese brave Antwort macken schön alle Bilders von Ihre Frau." So fühlt der Deutsche, aber nicht der Franzose, am wenigsten der Officier. Abgesehen davon, ist es dramatisch unrichtig, wenn man pathetische Ausdrücke, die ganz ernst gemeint sind, in einer scurrilen Form vorträgt. Der Einwand, daß dergleichen im wirklichen Leben vorkommt, gilt Nichts für die Poesie. Der Königslieutenant wird alle Augenblicke in Parenthese als seelenvoll, gerührt und begeistert bezeichnet, und was er sagt, ist sehr weise und verständig. Aber er sagt es in einer Sprache, über die man lachen muß. Dadurch wird jenes gemischte Gefühl hervorgebracht, auf welches die deutschen Dichter mit großer Vorliebe ausgehen, das aber dem Begriff der Kunst widerspricht, weil es nicht rein und ideal ist. Es ist erlaubt, auch das Pathetische zu komischen Zwecken zu verwenden, aber dann muß man nicht zugleich uns begeistern wollen; es ist ferner erlaubt, das Entsetzen und Grauen durch scurrile Züge zu scharfe«, wie Shakspeare zuweilen, aber^immer sehr vorsichtig, thut, aber dann muß man uns dnrch dieses Entsetzen nicht in eine heitere Stimmung versetzen wollen. Es geht sonst jener gemüthliche Rührnngs- brei daraus hervor, in dem alles wahre, ästhetische und sittliche Gefühl verschüttet wird. Sehr charakteristisch ist in dieser Beziehung ein Zug. Der Königslieute- nant, eben jener Mann, der durch die Untreue seiner Geliebten unglücklich ge¬ worden ist, hat sie in Frankfurt unter einer herumziehenden Schauspielertruppe wiedergefunden, ist darüber in der höchsten Aufregung, und sagt nun zum jungen Goethe: „Setzen Sie sich, mein Freund! Ick Ihnen will geben auch Unterricht in der Korse, zu macken Schauspiele! .... Ick Ihnen will geben die Stoff zu einem kleinen Dramolet (?), welches Sie können nennen die Geschwister! Und ick Ihnen will geben, die Stoff zu einer traALÄie, welche Sie können nenne'MlM 4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/373>, abgerufen am 22.07.2024.