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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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läugnet, er ist auch hier, den Kindern gegenüber, einfach und natürlich. Beson¬
ders gut versteht er das Kleinleben der Natur, die Unterhaltungen und Schick¬
sale der den Kindern interessanten Thiere zu charakterisiren, und wenn der Hund
der Sau Vorstellungen über ihre Unredlichkeit macht und die Befürchtung aus-
spricht, daß bei ihrem Wesen auch ihre Kinder zuletzt noch Schweine werden würden,
oder wenn gar die Wurst und die Maus als Freundinnen zusammen ihr Mittag¬
essen kochen, und die Wurst der Maus erzählt, daß sie den Kohl so kräftig mache,
weil sie selbst einigemal durchkrieche, und die dumme Maus mit dem entschieden¬
sten Unglück dasselbe versucht, so wirkt selbst bei diesem kindlichen Unsinn eine seine
Laune und treuherzige Schelmerei sehr erfreulich.

Außerdem hat Reinick im Jahre 18ö0 Hebel's Allemannische Gedichte
für eine prächtig ausgestattete und mit Illustrationen von Richter versehene Ausgabe
in die deutsche Schriftsprache übersetzt. Die Hexameter sind nur nicht gerathen,
aber Ton und Farbe des Ganzen hat er gut wiederzugeben gewußt. Auch die
Verse zum Nethel'schen Todtentanz sind von ihm, und es war ein guter
Wurf, den er mit ihnen machte. Eine große Menge von Gelegenheits¬
gedichten, mit denen er Künstlerfeste und das Leben seiner Freunde zu ver¬
zieren wußte, sind -ungedruckt geblieben. Gerade in ihnen offenbart sich viel von.
dem, was ihn als Künstler und Menschen Allen, die mit ihn in Verbindung
kamen, werth und vertraut machte, ein liebevolles und gutes Gemüth, welches in
der Freude Anderer den größten Genuß des eigenen Lebens fand.

Und deshalb begleitete den Sänger der Wanderlieder ans seinem letzten Wege
Alles, was in Dresden von Künstlern und Kunstgenossen weilt, und durch das
ganze Land klang es wie eine Trauerbotschaft, daß wieder ein echtes Dichterherz
aufgehört hatte zu schlagen. Man wird ihn nicht vergessen. Wo lustige Gesellen
zusammensitzen, der Wein im Glase glänzt und die Menschenangen einander freund¬
lich anlächelt, da wird mau seiner gedenken; wenn ein rüstiger Wanderbursch durch
das Dorf zieht und zwei hübsche Mädchenaugen aus einer geöffneten Hofthür
den Vorbeiziehenden ansehn, da wird man auch des Todten gedenken. Wenn der
Wald rauscht und die Vögel singen und der Sonnenschein den Menschen das
Herz erfreut, da werden sie seiner gedenken. Sie werden an ihn denken, wie man
an einen Sänger denken muß, sie werden seine Lieder singen, ohne zu fragen,
wer der war, der sie ihnen gemacht hat. -- Der Verstorbene war nicht, was die
Kritik ein großes Talent zu nennen pflegt, ^ aber er war ein guter Dichter, und wir
Alle haben Grund, seinen Tod als einen Verlust für die Kunst zu betrauern,
denn er ist wahr gewesen sein'ganzes Leben lang, wahr gegen sich selbst, gegen
seine Freunde und vor Allem wahr in seiner Kunst.




läugnet, er ist auch hier, den Kindern gegenüber, einfach und natürlich. Beson¬
ders gut versteht er das Kleinleben der Natur, die Unterhaltungen und Schick¬
sale der den Kindern interessanten Thiere zu charakterisiren, und wenn der Hund
der Sau Vorstellungen über ihre Unredlichkeit macht und die Befürchtung aus-
spricht, daß bei ihrem Wesen auch ihre Kinder zuletzt noch Schweine werden würden,
oder wenn gar die Wurst und die Maus als Freundinnen zusammen ihr Mittag¬
essen kochen, und die Wurst der Maus erzählt, daß sie den Kohl so kräftig mache,
weil sie selbst einigemal durchkrieche, und die dumme Maus mit dem entschieden¬
sten Unglück dasselbe versucht, so wirkt selbst bei diesem kindlichen Unsinn eine seine
Laune und treuherzige Schelmerei sehr erfreulich.

Außerdem hat Reinick im Jahre 18ö0 Hebel's Allemannische Gedichte
für eine prächtig ausgestattete und mit Illustrationen von Richter versehene Ausgabe
in die deutsche Schriftsprache übersetzt. Die Hexameter sind nur nicht gerathen,
aber Ton und Farbe des Ganzen hat er gut wiederzugeben gewußt. Auch die
Verse zum Nethel'schen Todtentanz sind von ihm, und es war ein guter
Wurf, den er mit ihnen machte. Eine große Menge von Gelegenheits¬
gedichten, mit denen er Künstlerfeste und das Leben seiner Freunde zu ver¬
zieren wußte, sind -ungedruckt geblieben. Gerade in ihnen offenbart sich viel von.
dem, was ihn als Künstler und Menschen Allen, die mit ihn in Verbindung
kamen, werth und vertraut machte, ein liebevolles und gutes Gemüth, welches in
der Freude Anderer den größten Genuß des eigenen Lebens fand.

Und deshalb begleitete den Sänger der Wanderlieder ans seinem letzten Wege
Alles, was in Dresden von Künstlern und Kunstgenossen weilt, und durch das
ganze Land klang es wie eine Trauerbotschaft, daß wieder ein echtes Dichterherz
aufgehört hatte zu schlagen. Man wird ihn nicht vergessen. Wo lustige Gesellen
zusammensitzen, der Wein im Glase glänzt und die Menschenangen einander freund¬
lich anlächelt, da wird mau seiner gedenken; wenn ein rüstiger Wanderbursch durch
das Dorf zieht und zwei hübsche Mädchenaugen aus einer geöffneten Hofthür
den Vorbeiziehenden ansehn, da wird man auch des Todten gedenken. Wenn der
Wald rauscht und die Vögel singen und der Sonnenschein den Menschen das
Herz erfreut, da werden sie seiner gedenken. Sie werden an ihn denken, wie man
an einen Sänger denken muß, sie werden seine Lieder singen, ohne zu fragen,
wer der war, der sie ihnen gemacht hat. — Der Verstorbene war nicht, was die
Kritik ein großes Talent zu nennen pflegt, ^ aber er war ein guter Dichter, und wir
Alle haben Grund, seinen Tod als einen Verlust für die Kunst zu betrauern,
denn er ist wahr gewesen sein'ganzes Leben lang, wahr gegen sich selbst, gegen
seine Freunde und vor Allem wahr in seiner Kunst.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/334>, abgerufen am 26.06.2024.