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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Streiches. Wie tief gesunken ist aber in der That nicht ein Volk, dessen Be¬
zwinger ein Louis Napoleon sein darf!

Der Moniteur und die Theater haben sich diese Woche ziemlich nüchtern
benommen. >-- Diese haben eine Bearbeitung eines Romans von Alexander Du¬
mas Sohn gebracht, und jener das neue Wahlgesetz. Ueber Beide ließe sich
Vieles sagen, und wir werden vielleicht auch noch darauf zurückkommen.
clame aux eamMg,3 von Dumas hat, wie es scheint, ziemlichen Erfolg gehabt,
denn die hiesigen Journale sprechen von einem wahren Triumphe, und da läßt
sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß es nicht durchgefallen sei. Ich
selbst hatte vorgezogen, am Tage der ersten Vorstellung, das heißt am Montage,
das erste Concert der deutschen Mustkerin Wilhelmine Clauß zu besuchen. Der
entschiedene Erfolg, den ihr erstes Auftreten hatte, bestätigt mein über sie ge¬
fälltes Urtheil vollkommen. Sie hat die blasirte Hautevolee so sehr zu begeistern
verstanden, daß diese eine Fuge von Bach wiederholen ließ. Ein französischer
Musiker, der neben mir saß -- und ich muß bemerken, daß es ein ziemlich be¬
kannter ist -- sagte ganz naiv zu mir: "(Vest courant, eoinmo wateg 1<z"
musiquLs sont Zolles, si viles soM bien MivL8." Hier ist man gewöhnt, auch
Chopin nur von dessen Schülern zu hören, die dem Meister das Räuspern ab¬
geguckt; und die Ueberraschung war um so größer, eine so mächtige Wirkung
durch eine ganz eigenthümliche Auffassung erzielt zu sehen.

Ihr zweites Concert ist bereits angekündigt, und die Theilnahme des Publicums
äußert sich schon, noch ehe die Kritik ihr aufmunterndes Wort sprechen konnte, da
die musikalischen Berichte hier erst am Dienstage zu erscheinen pflegen. Ernst
hat diese Woche sein Abschiedsconcert gegeben, und wie sich das bei einem Künstler
wie Heinrich Ernst von selbst versteht, war der Erfolg ein außerordentlicher. Er
verstand seiue Zuhörer förmlich zu magnetisiren, und der Zauber hörte erst mit
dem letzten Geigenstriche auf. Ernst begiebt sich mit seinem Freunde Hector
Berlioz nach Weimar, um der Ausführung von dessen Benvenuto Cellini beizu¬
wohnen. Und nun zum Fidelio.

Der deutschen Musik hat Hiller doch den besten Triumph bereitet. Paris hat
sich herabgelassen, on M-anÄe wilotte bei der ersten Vorstellung des "Fidelio"
in der italienischen Oper zu erscheinen. Der Präsident der Republik, der Prinz
u. s. w. war in höchsteigener Person gekommen, um mit höchsten und zukünftig
allerhöchsten Händen Beifall zu klatschen. Er war bis zum Ende geblieben und
horte zwei Ouverturen, welche Hiller durch sein Orchester aufführen ließ, und
es mochten ihm wol sonderbare Gedanken durch den Kopf gegangen sein, als das
Chor der Gefangenen sein Ohr berührte. Die geheime Polizei, welche an den
Abenden, wo der Präsident das Theater besucht, gewöhnlich sehr gut vertreten
ist, nahm auch Aergerniß an dieser unpassenden Erinnerung, und während sonst
fast bei jeder Scene applaudirt wurde, wurde uach dem Schlüsse des ersten Actes


Grenzboten. I. ->8L2. 39

Streiches. Wie tief gesunken ist aber in der That nicht ein Volk, dessen Be¬
zwinger ein Louis Napoleon sein darf!

Der Moniteur und die Theater haben sich diese Woche ziemlich nüchtern
benommen. >— Diese haben eine Bearbeitung eines Romans von Alexander Du¬
mas Sohn gebracht, und jener das neue Wahlgesetz. Ueber Beide ließe sich
Vieles sagen, und wir werden vielleicht auch noch darauf zurückkommen.
clame aux eamMg,3 von Dumas hat, wie es scheint, ziemlichen Erfolg gehabt,
denn die hiesigen Journale sprechen von einem wahren Triumphe, und da läßt
sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß es nicht durchgefallen sei. Ich
selbst hatte vorgezogen, am Tage der ersten Vorstellung, das heißt am Montage,
das erste Concert der deutschen Mustkerin Wilhelmine Clauß zu besuchen. Der
entschiedene Erfolg, den ihr erstes Auftreten hatte, bestätigt mein über sie ge¬
fälltes Urtheil vollkommen. Sie hat die blasirte Hautevolee so sehr zu begeistern
verstanden, daß diese eine Fuge von Bach wiederholen ließ. Ein französischer
Musiker, der neben mir saß — und ich muß bemerken, daß es ein ziemlich be¬
kannter ist — sagte ganz naiv zu mir: „(Vest courant, eoinmo wateg 1<z»
musiquLs sont Zolles, si viles soM bien MivL8." Hier ist man gewöhnt, auch
Chopin nur von dessen Schülern zu hören, die dem Meister das Räuspern ab¬
geguckt; und die Ueberraschung war um so größer, eine so mächtige Wirkung
durch eine ganz eigenthümliche Auffassung erzielt zu sehen.

Ihr zweites Concert ist bereits angekündigt, und die Theilnahme des Publicums
äußert sich schon, noch ehe die Kritik ihr aufmunterndes Wort sprechen konnte, da
die musikalischen Berichte hier erst am Dienstage zu erscheinen pflegen. Ernst
hat diese Woche sein Abschiedsconcert gegeben, und wie sich das bei einem Künstler
wie Heinrich Ernst von selbst versteht, war der Erfolg ein außerordentlicher. Er
verstand seiue Zuhörer förmlich zu magnetisiren, und der Zauber hörte erst mit
dem letzten Geigenstriche auf. Ernst begiebt sich mit seinem Freunde Hector
Berlioz nach Weimar, um der Ausführung von dessen Benvenuto Cellini beizu¬
wohnen. Und nun zum Fidelio.

Der deutschen Musik hat Hiller doch den besten Triumph bereitet. Paris hat
sich herabgelassen, on M-anÄe wilotte bei der ersten Vorstellung des „Fidelio"
in der italienischen Oper zu erscheinen. Der Präsident der Republik, der Prinz
u. s. w. war in höchsteigener Person gekommen, um mit höchsten und zukünftig
allerhöchsten Händen Beifall zu klatschen. Er war bis zum Ende geblieben und
horte zwei Ouverturen, welche Hiller durch sein Orchester aufführen ließ, und
es mochten ihm wol sonderbare Gedanken durch den Kopf gegangen sein, als das
Chor der Gefangenen sein Ohr berührte. Die geheime Polizei, welche an den
Abenden, wo der Präsident das Theater besucht, gewöhnlich sehr gut vertreten
ist, nahm auch Aergerniß an dieser unpassenden Erinnerung, und während sonst
fast bei jeder Scene applaudirt wurde, wurde uach dem Schlüsse des ersten Actes


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[0315] Streiches. Wie tief gesunken ist aber in der That nicht ein Volk, dessen Be¬ zwinger ein Louis Napoleon sein darf! Der Moniteur und die Theater haben sich diese Woche ziemlich nüchtern benommen. >— Diese haben eine Bearbeitung eines Romans von Alexander Du¬ mas Sohn gebracht, und jener das neue Wahlgesetz. Ueber Beide ließe sich Vieles sagen, und wir werden vielleicht auch noch darauf zurückkommen. clame aux eamMg,3 von Dumas hat, wie es scheint, ziemlichen Erfolg gehabt, denn die hiesigen Journale sprechen von einem wahren Triumphe, und da läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, daß es nicht durchgefallen sei. Ich selbst hatte vorgezogen, am Tage der ersten Vorstellung, das heißt am Montage, das erste Concert der deutschen Mustkerin Wilhelmine Clauß zu besuchen. Der entschiedene Erfolg, den ihr erstes Auftreten hatte, bestätigt mein über sie ge¬ fälltes Urtheil vollkommen. Sie hat die blasirte Hautevolee so sehr zu begeistern verstanden, daß diese eine Fuge von Bach wiederholen ließ. Ein französischer Musiker, der neben mir saß — und ich muß bemerken, daß es ein ziemlich be¬ kannter ist — sagte ganz naiv zu mir: „(Vest courant, eoinmo wateg 1<z» musiquLs sont Zolles, si viles soM bien MivL8." Hier ist man gewöhnt, auch Chopin nur von dessen Schülern zu hören, die dem Meister das Räuspern ab¬ geguckt; und die Ueberraschung war um so größer, eine so mächtige Wirkung durch eine ganz eigenthümliche Auffassung erzielt zu sehen. Ihr zweites Concert ist bereits angekündigt, und die Theilnahme des Publicums äußert sich schon, noch ehe die Kritik ihr aufmunterndes Wort sprechen konnte, da die musikalischen Berichte hier erst am Dienstage zu erscheinen pflegen. Ernst hat diese Woche sein Abschiedsconcert gegeben, und wie sich das bei einem Künstler wie Heinrich Ernst von selbst versteht, war der Erfolg ein außerordentlicher. Er verstand seiue Zuhörer förmlich zu magnetisiren, und der Zauber hörte erst mit dem letzten Geigenstriche auf. Ernst begiebt sich mit seinem Freunde Hector Berlioz nach Weimar, um der Ausführung von dessen Benvenuto Cellini beizu¬ wohnen. Und nun zum Fidelio. Der deutschen Musik hat Hiller doch den besten Triumph bereitet. Paris hat sich herabgelassen, on M-anÄe wilotte bei der ersten Vorstellung des „Fidelio" in der italienischen Oper zu erscheinen. Der Präsident der Republik, der Prinz u. s. w. war in höchsteigener Person gekommen, um mit höchsten und zukünftig allerhöchsten Händen Beifall zu klatschen. Er war bis zum Ende geblieben und horte zwei Ouverturen, welche Hiller durch sein Orchester aufführen ließ, und es mochten ihm wol sonderbare Gedanken durch den Kopf gegangen sein, als das Chor der Gefangenen sein Ohr berührte. Die geheime Polizei, welche an den Abenden, wo der Präsident das Theater besucht, gewöhnlich sehr gut vertreten ist, nahm auch Aergerniß an dieser unpassenden Erinnerung, und während sonst fast bei jeder Scene applaudirt wurde, wurde uach dem Schlüsse des ersten Actes Grenzboten. I. ->8L2. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/315>, abgerufen am 22.07.2024.