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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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die Wirkung haben, daß wir die Verwaltnngsreform nur langsam, Stück für
Stück erhalten, die zuletzt freilich auch das Ganze unsrer Forderungen herbei¬
bringen. Indessen find die Verhandlungen über die Organisationen für den
Augenblick überhaupt in den Hintergrund gedrängt worden, seitdem der Septem¬
bervertrag vor die letzten Instanzen der Entscheidung, vor die allgemeine Dis-
cussion und die Abstimmung in den Kammern gebracht ist.

Ueber die Entstehung des Septembervertrags ist in der Neuen Bremer
Zeitung kürzlich ein seltsames Gerücht aufgetaucht, wonach man sie nicht einer
streng sachlichen Erwägung des vorigen Ministeriums, sondern dem persönlichen
Groll seines Präsidenten gegen den Fürsten Schwarzenberg zu verdanken habe.
Dieser sei in Folge eines geheimen Wirth von Hannover gegen Herrn v. Münch-
hausen in Dresden schroffer aufgetreten, als Diesem erträglich gewesen; und so
hätten die preußischen Lockungen uur allzu geneigtes Ohr bei ihm gefunden. In¬
dessen wird zu dieser Enthüllung wol nicht blos aus zarter Rücksicht ein Zeit¬
punkt gewählt sein, in dem sich die angegriffene Person außer Landes, ja jen¬
seits der Alpen befindet; ein Zeitpunkt ferner, wo es den Gegnern des Vertrags
darauf ankommen mußte, alle ihre Mittel in Bewegung zu setzen, weil die end¬
giltige Entscheidung bevorstand. Die zähen Sympathien unsrer Aristokratie für
Oestreich sind bekannt: wie sie die Blüthe ihrer Jugend alljährlich zu den Fahnen
des Hauses Habsburg senden, so mochten sie anch den leeren Kassen des Kaiser¬
staats mit den Ueberschüssen unsres blühenden Landes ein Geschenk machen.
Als nun eines ihrer Häupter, der Justizrath von der Decken ans Stade, zum
Finanzminister berufen ward, wozu ihn seine Fachbildung kaum befähigte, da
glaubte man überall, daß diese Ernennung zunächst nichts Anderes, als die Be¬
seitigung des Septembervertrags bedeute. Auch hierin jedoch erwies sich das
Ministerium besser als sein Ruf, freier von junkerlichen Vorurtheilen und reiner
von Gesinnung, als selbst Wohlwollende ihm Anfangs zutrauten. Den Kammern
gegenüber hat es deu Vertrag mit Entschiedenheit aufrecht erhalten, und durch
seine Beauftragte" siegreich vertheidige" lassen; bei der Abstimmung haben ihm
die Stimmen der Minister nicht gefehlt. Jener Korrespondent der Neuen
Bremer Zeitung warf es Herrn v. Sehele mürrisch vor, warum er einem so ent¬
standene" Machwerk der subjectivsten Politik das Wort rede; daraus darf man
schließen, daß Hos und Adel in dieser Sache keineswegs mit ihrem Führer zu¬
sammengehen. Aber die Andeutung der Redaction des genannten Blattes, daß
die beste Erklärung;für Sehele'ö Benehmen in der Rede des Fürsten Schwarzen¬
berg bei Eröffnung des Wiener Zollcongresses liege, die den Septembervertrag zu
billigen scheint, diese Andeutung mochte ich durch die ehrenvollere ersetzen, daß
Herr v. Sehele hier nicht zum ersten Mal eine persönliche Liebhaberei dem er¬
kannten Besten seines Landes nachsetzt.

Im Lande rief der Septembervertrag eben so viel rührigen Widerstand, als


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die Wirkung haben, daß wir die Verwaltnngsreform nur langsam, Stück für
Stück erhalten, die zuletzt freilich auch das Ganze unsrer Forderungen herbei¬
bringen. Indessen find die Verhandlungen über die Organisationen für den
Augenblick überhaupt in den Hintergrund gedrängt worden, seitdem der Septem¬
bervertrag vor die letzten Instanzen der Entscheidung, vor die allgemeine Dis-
cussion und die Abstimmung in den Kammern gebracht ist.

Ueber die Entstehung des Septembervertrags ist in der Neuen Bremer
Zeitung kürzlich ein seltsames Gerücht aufgetaucht, wonach man sie nicht einer
streng sachlichen Erwägung des vorigen Ministeriums, sondern dem persönlichen
Groll seines Präsidenten gegen den Fürsten Schwarzenberg zu verdanken habe.
Dieser sei in Folge eines geheimen Wirth von Hannover gegen Herrn v. Münch-
hausen in Dresden schroffer aufgetreten, als Diesem erträglich gewesen; und so
hätten die preußischen Lockungen uur allzu geneigtes Ohr bei ihm gefunden. In¬
dessen wird zu dieser Enthüllung wol nicht blos aus zarter Rücksicht ein Zeit¬
punkt gewählt sein, in dem sich die angegriffene Person außer Landes, ja jen¬
seits der Alpen befindet; ein Zeitpunkt ferner, wo es den Gegnern des Vertrags
darauf ankommen mußte, alle ihre Mittel in Bewegung zu setzen, weil die end¬
giltige Entscheidung bevorstand. Die zähen Sympathien unsrer Aristokratie für
Oestreich sind bekannt: wie sie die Blüthe ihrer Jugend alljährlich zu den Fahnen
des Hauses Habsburg senden, so mochten sie anch den leeren Kassen des Kaiser¬
staats mit den Ueberschüssen unsres blühenden Landes ein Geschenk machen.
Als nun eines ihrer Häupter, der Justizrath von der Decken ans Stade, zum
Finanzminister berufen ward, wozu ihn seine Fachbildung kaum befähigte, da
glaubte man überall, daß diese Ernennung zunächst nichts Anderes, als die Be¬
seitigung des Septembervertrags bedeute. Auch hierin jedoch erwies sich das
Ministerium besser als sein Ruf, freier von junkerlichen Vorurtheilen und reiner
von Gesinnung, als selbst Wohlwollende ihm Anfangs zutrauten. Den Kammern
gegenüber hat es deu Vertrag mit Entschiedenheit aufrecht erhalten, und durch
seine Beauftragte» siegreich vertheidige» lassen; bei der Abstimmung haben ihm
die Stimmen der Minister nicht gefehlt. Jener Korrespondent der Neuen
Bremer Zeitung warf es Herrn v. Sehele mürrisch vor, warum er einem so ent¬
standene« Machwerk der subjectivsten Politik das Wort rede; daraus darf man
schließen, daß Hos und Adel in dieser Sache keineswegs mit ihrem Führer zu¬
sammengehen. Aber die Andeutung der Redaction des genannten Blattes, daß
die beste Erklärung;für Sehele'ö Benehmen in der Rede des Fürsten Schwarzen¬
berg bei Eröffnung des Wiener Zollcongresses liege, die den Septembervertrag zu
billigen scheint, diese Andeutung mochte ich durch die ehrenvollere ersetzen, daß
Herr v. Sehele hier nicht zum ersten Mal eine persönliche Liebhaberei dem er¬
kannten Besten seines Landes nachsetzt.

Im Lande rief der Septembervertrag eben so viel rührigen Widerstand, als


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[0283] die Wirkung haben, daß wir die Verwaltnngsreform nur langsam, Stück für Stück erhalten, die zuletzt freilich auch das Ganze unsrer Forderungen herbei¬ bringen. Indessen find die Verhandlungen über die Organisationen für den Augenblick überhaupt in den Hintergrund gedrängt worden, seitdem der Septem¬ bervertrag vor die letzten Instanzen der Entscheidung, vor die allgemeine Dis- cussion und die Abstimmung in den Kammern gebracht ist. Ueber die Entstehung des Septembervertrags ist in der Neuen Bremer Zeitung kürzlich ein seltsames Gerücht aufgetaucht, wonach man sie nicht einer streng sachlichen Erwägung des vorigen Ministeriums, sondern dem persönlichen Groll seines Präsidenten gegen den Fürsten Schwarzenberg zu verdanken habe. Dieser sei in Folge eines geheimen Wirth von Hannover gegen Herrn v. Münch- hausen in Dresden schroffer aufgetreten, als Diesem erträglich gewesen; und so hätten die preußischen Lockungen uur allzu geneigtes Ohr bei ihm gefunden. In¬ dessen wird zu dieser Enthüllung wol nicht blos aus zarter Rücksicht ein Zeit¬ punkt gewählt sein, in dem sich die angegriffene Person außer Landes, ja jen¬ seits der Alpen befindet; ein Zeitpunkt ferner, wo es den Gegnern des Vertrags darauf ankommen mußte, alle ihre Mittel in Bewegung zu setzen, weil die end¬ giltige Entscheidung bevorstand. Die zähen Sympathien unsrer Aristokratie für Oestreich sind bekannt: wie sie die Blüthe ihrer Jugend alljährlich zu den Fahnen des Hauses Habsburg senden, so mochten sie anch den leeren Kassen des Kaiser¬ staats mit den Ueberschüssen unsres blühenden Landes ein Geschenk machen. Als nun eines ihrer Häupter, der Justizrath von der Decken ans Stade, zum Finanzminister berufen ward, wozu ihn seine Fachbildung kaum befähigte, da glaubte man überall, daß diese Ernennung zunächst nichts Anderes, als die Be¬ seitigung des Septembervertrags bedeute. Auch hierin jedoch erwies sich das Ministerium besser als sein Ruf, freier von junkerlichen Vorurtheilen und reiner von Gesinnung, als selbst Wohlwollende ihm Anfangs zutrauten. Den Kammern gegenüber hat es deu Vertrag mit Entschiedenheit aufrecht erhalten, und durch seine Beauftragte» siegreich vertheidige» lassen; bei der Abstimmung haben ihm die Stimmen der Minister nicht gefehlt. Jener Korrespondent der Neuen Bremer Zeitung warf es Herrn v. Sehele mürrisch vor, warum er einem so ent¬ standene« Machwerk der subjectivsten Politik das Wort rede; daraus darf man schließen, daß Hos und Adel in dieser Sache keineswegs mit ihrem Führer zu¬ sammengehen. Aber die Andeutung der Redaction des genannten Blattes, daß die beste Erklärung;für Sehele'ö Benehmen in der Rede des Fürsten Schwarzen¬ berg bei Eröffnung des Wiener Zollcongresses liege, die den Septembervertrag zu billigen scheint, diese Andeutung mochte ich durch die ehrenvollere ersetzen, daß Herr v. Sehele hier nicht zum ersten Mal eine persönliche Liebhaberei dem er¬ kannten Besten seines Landes nachsetzt. Im Lande rief der Septembervertrag eben so viel rührigen Widerstand, als Grenzboten. I. -I8L2. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/283>, abgerufen am 22.07.2024.