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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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geschah dies'aus nackter, schamloser Selbstsucht, es war ein leidenschaftlicher irre¬
geleiteter Idealismus bei beiden Parteien, es war dieselbe Träumerei, welche in
ruhigere" Zeiten den Deutschen zu einem sinnigen, gemüthlichen, herzlichen Cum-
pan macht, welche in Zeiten der Noth und Entbehrung ihm die Fähigkeit giebt,
auch das Lästige mit Geduld, ja mit Laune zu ertragen. Es waren Verirrungen
einer im Ganzen höchst wohlwollenden pflichtvollen Seele, welche das Bedürfniß
hat, ihre Ideale in der Wirklichkeit wiederzufinden, und deshalb in die Gefahr
kam, der Wirklichkeit phantastische Farben, Formen und Neigungen anzudichten.
Das ist, im Ganzen betrachtet, der Fehler unsrer Völker und Fürsten, immerhin
ein großer Fehler, aber der Fehler eiuer gemüthlichen, begabten Natur, welche
leicht deu Frieden und die Harmonie mit der Welt wiederfindet, weil sie einen
großen Reichthum an innerem Leben besitzt.

Bei uns in Deutschland ist unmöglich, daß ein Einzelner absolute Macht
erhält, eine Prätorianergewalt über Leben und Gilt von z. B. 32 Millionen,
anßer etwa im Fall eines sehr unglücklichen, völkermordenden Krieges. Was
uns verhindert hat, ein einiger freier Staat zu werden, unsre etwas phantastische
Gemüthlichkeit und unser zähes Hängen an dem Bestehenden und unsre Scheu
vor einer unbekannten Situation, die ärger sein könnte, als die gegenwärtige,
das Alles hat uns auch davor bewahrt, die Beute eiues Haufens von Aben¬
teurern zu werden. Wir sind nicht einig gewesen, als es galt, ein freies Staats¬
leben zu gründen, wir sind auch nicht als Sclaven mit einer Kette zusammeuzu-
fesseln, und jetzt, wo es galt, die uoch vorhandenen Freiheiten durch gemeinsame
Maßregeln zu beseitigen, hat sogar der Bundestag bewiesen, daß auch er ein
deutsches Institut ist, und daß man selbst ihn gewissermaßen als Bowle gebrauchen
kamt, um "deutscheu Trost" aus ihm zu schöpfen.

So sehr hängen wir in der Situation, an welche wir seit lange gewöhnt
sind, daß selbst die ersehnte und wünschenswert)e Veränderung uns säumig und
unentschlossen findet, und vielleicht nicht durchgesetzt wird, weil unser Gemüth
durch die Unruhe und den Kampf zwischen Altem und Neuem zu heftig verstimmt
und verdüstert wird. Was bei uns aber eine neue Herrschaft erobert, sich auf
unsren höchsten Thron setzt, unsre Heere und die Schnüre unsrer Geldbeutel
regieren will, das muß uns sehr vertraut, lange in Herz und Kops durchgefühlt
und zurecht gelegt sein; es muß uns sehr viel geworden sein, und unsre Seele
muß mit Verehrung und poetischer Wärme daran hängen können. Wir sind
von einem Einzelnen nicht zu brutalifiren und durch rohe Gewalt zu gewinnen,
sobald ihn das sittliche G efühl im Volke verurtheilt, einem offenbaren
Gauner gehorchen die Deutschen nicht. Das ist jetzt das, was unsre Nachbarn
"deutschen Trost" nennen.




geschah dies'aus nackter, schamloser Selbstsucht, es war ein leidenschaftlicher irre¬
geleiteter Idealismus bei beiden Parteien, es war dieselbe Träumerei, welche in
ruhigere» Zeiten den Deutschen zu einem sinnigen, gemüthlichen, herzlichen Cum-
pan macht, welche in Zeiten der Noth und Entbehrung ihm die Fähigkeit giebt,
auch das Lästige mit Geduld, ja mit Laune zu ertragen. Es waren Verirrungen
einer im Ganzen höchst wohlwollenden pflichtvollen Seele, welche das Bedürfniß
hat, ihre Ideale in der Wirklichkeit wiederzufinden, und deshalb in die Gefahr
kam, der Wirklichkeit phantastische Farben, Formen und Neigungen anzudichten.
Das ist, im Ganzen betrachtet, der Fehler unsrer Völker und Fürsten, immerhin
ein großer Fehler, aber der Fehler eiuer gemüthlichen, begabten Natur, welche
leicht deu Frieden und die Harmonie mit der Welt wiederfindet, weil sie einen
großen Reichthum an innerem Leben besitzt.

Bei uns in Deutschland ist unmöglich, daß ein Einzelner absolute Macht
erhält, eine Prätorianergewalt über Leben und Gilt von z. B. 32 Millionen,
anßer etwa im Fall eines sehr unglücklichen, völkermordenden Krieges. Was
uns verhindert hat, ein einiger freier Staat zu werden, unsre etwas phantastische
Gemüthlichkeit und unser zähes Hängen an dem Bestehenden und unsre Scheu
vor einer unbekannten Situation, die ärger sein könnte, als die gegenwärtige,
das Alles hat uns auch davor bewahrt, die Beute eiues Haufens von Aben¬
teurern zu werden. Wir sind nicht einig gewesen, als es galt, ein freies Staats¬
leben zu gründen, wir sind auch nicht als Sclaven mit einer Kette zusammeuzu-
fesseln, und jetzt, wo es galt, die uoch vorhandenen Freiheiten durch gemeinsame
Maßregeln zu beseitigen, hat sogar der Bundestag bewiesen, daß auch er ein
deutsches Institut ist, und daß man selbst ihn gewissermaßen als Bowle gebrauchen
kamt, um „deutscheu Trost" aus ihm zu schöpfen.

So sehr hängen wir in der Situation, an welche wir seit lange gewöhnt
sind, daß selbst die ersehnte und wünschenswert)e Veränderung uns säumig und
unentschlossen findet, und vielleicht nicht durchgesetzt wird, weil unser Gemüth
durch die Unruhe und den Kampf zwischen Altem und Neuem zu heftig verstimmt
und verdüstert wird. Was bei uns aber eine neue Herrschaft erobert, sich auf
unsren höchsten Thron setzt, unsre Heere und die Schnüre unsrer Geldbeutel
regieren will, das muß uns sehr vertraut, lange in Herz und Kops durchgefühlt
und zurecht gelegt sein; es muß uns sehr viel geworden sein, und unsre Seele
muß mit Verehrung und poetischer Wärme daran hängen können. Wir sind
von einem Einzelnen nicht zu brutalifiren und durch rohe Gewalt zu gewinnen,
sobald ihn das sittliche G efühl im Volke verurtheilt, einem offenbaren
Gauner gehorchen die Deutschen nicht. Das ist jetzt das, was unsre Nachbarn
„deutschen Trost" nennen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/279>, abgerufen am 22.07.2024.