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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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In der Residenz, in Madrid, wie überhaupt in Castilien, befinden sich nur
äußerst wenig Zigeuner, höchstens fünfzig. Sie wohnen in zwei engen und
schmuzigen Gäßchen, in der Calle de la Comadre und der Calleja de Lavapies,
in der Nähe des Mercado, wo sie ihre Geschäfte betreiben. Dort sieht man die
Männer jeden Markttag mit einer Schindmähre, einem steifen Maulthiere oder
einem wundgedrückten Esel an der Hand, mit welchem sie trotzdem ihre Paar
Piaster zu verdienen wissen. Besitzen sie einmal ein werthvolles Thier, so lassen
sie es nicht aus dem Stalle und zeigen es dort den Kauflustigen -- aus triftigen
Grunde, denn sie haben es selten auf ehrlichem Wege erlangt. Andalusien ist
der Hauptsitz der Zigeuner. Viele wohnen in Höhlen in den höher gelegenen
Schluchten der Alpnjarras, an deren Fuße Grenada liegt. Die meisten Gitanos
von Grenada arbeiten in Eisen, und nicht selten findet man jene Höhlen von
Zigeunerschmieden und ihren Familien bevölkert, welche unter der Erde Hammer
und Zange führen. Eine solche Schmiede ist ein pittoreskes Bild, zumal bei
Nacht. Die braunen, halbnackten Gestalten, von grellrothen Scheine beleuchtet,
bewegen sich um die lodernde Flamme wie Dämonen, während die Höhle mit
ihren rauhen, schwarzen Felswänden, und die Decke, an welcher der Q-natu in
schweren Wolken hängt, kein unebenes Bild vom Fegfeuer giebt. Aeltere Ge¬
setze verbieten den Zigeunern, Hufschmiede zu sein, wahrscheinlich weil das'Gewerbe
in zu enger Verbindung mit dem Pferdehandel steht; doch sind beide Erwerbs¬
zweige heute noch Hauptbeschäftigungen der Gitanos. Die. seßhaften haben sich
nirgends in größerer Anzahl, als in Sevilla, und vornämlich in der berüchtigten
Vorstadt Triana niedergelassen. Dort Hansen sie in gräßlichen Spelunken, zwi¬
schen verfallenen Mauern und verlassenen Klöstern. Hier sieht man sie den
Hammer schwingen, oder mit geschickter Hand als Esquiladoren die Scheere führen.
Die Frauen streichen, ein oder ein Paar gelbe Kinder auf dem Rücken oder ans
dem Arme, in der Stadt herum, verkaufen Liebestränke und sagen wahr in vor¬
nehmen und niedrigen Häusern, oder hocken neben Kohlenpfannen am Ufer des
Guadalquivir und rösten Kastanien, welche sie an die leckeren Sevillaner verkaufen;
Andere, mit Contrebandisten im Bunde, tragen von Gibraltar herübergeschmuggelte
Waaren Hausirer. Manchmal des Abends sehen die Gitanerias oder Zigeuner¬
quartiere noch ganz andere Gäste, als ihre gewöhnlichen Bewohner, nämlich junge
vornehme Wüstlinge, vor welchen die Frauen und Mädchen ihre üppigen Tänze
aufführen. Der Töchter Ostindiens Augen voll Glut entzünden oft eine unbe¬
zähmbare Leidenschaft in den Herzen ihrer Gäste, die jedoch selten Befriedigung
findet. Denn so ausschweifend auch die Gitaua in Wort und Geberde ist, so
verabscheut sie doch den Europäer, den Buhuo, als ein unreines Wesen viel zu
sehr, um ihm Vertraulichkeiten zu erlauben, und körperliche Keuschheit ist vielleicht
die einzige Tugend, welche die Zigeunerinnen besitzen; sie wird aber auch um so


In der Residenz, in Madrid, wie überhaupt in Castilien, befinden sich nur
äußerst wenig Zigeuner, höchstens fünfzig. Sie wohnen in zwei engen und
schmuzigen Gäßchen, in der Calle de la Comadre und der Calleja de Lavapies,
in der Nähe des Mercado, wo sie ihre Geschäfte betreiben. Dort sieht man die
Männer jeden Markttag mit einer Schindmähre, einem steifen Maulthiere oder
einem wundgedrückten Esel an der Hand, mit welchem sie trotzdem ihre Paar
Piaster zu verdienen wissen. Besitzen sie einmal ein werthvolles Thier, so lassen
sie es nicht aus dem Stalle und zeigen es dort den Kauflustigen — aus triftigen
Grunde, denn sie haben es selten auf ehrlichem Wege erlangt. Andalusien ist
der Hauptsitz der Zigeuner. Viele wohnen in Höhlen in den höher gelegenen
Schluchten der Alpnjarras, an deren Fuße Grenada liegt. Die meisten Gitanos
von Grenada arbeiten in Eisen, und nicht selten findet man jene Höhlen von
Zigeunerschmieden und ihren Familien bevölkert, welche unter der Erde Hammer
und Zange führen. Eine solche Schmiede ist ein pittoreskes Bild, zumal bei
Nacht. Die braunen, halbnackten Gestalten, von grellrothen Scheine beleuchtet,
bewegen sich um die lodernde Flamme wie Dämonen, während die Höhle mit
ihren rauhen, schwarzen Felswänden, und die Decke, an welcher der Q-natu in
schweren Wolken hängt, kein unebenes Bild vom Fegfeuer giebt. Aeltere Ge¬
setze verbieten den Zigeunern, Hufschmiede zu sein, wahrscheinlich weil das'Gewerbe
in zu enger Verbindung mit dem Pferdehandel steht; doch sind beide Erwerbs¬
zweige heute noch Hauptbeschäftigungen der Gitanos. Die. seßhaften haben sich
nirgends in größerer Anzahl, als in Sevilla, und vornämlich in der berüchtigten
Vorstadt Triana niedergelassen. Dort Hansen sie in gräßlichen Spelunken, zwi¬
schen verfallenen Mauern und verlassenen Klöstern. Hier sieht man sie den
Hammer schwingen, oder mit geschickter Hand als Esquiladoren die Scheere führen.
Die Frauen streichen, ein oder ein Paar gelbe Kinder auf dem Rücken oder ans
dem Arme, in der Stadt herum, verkaufen Liebestränke und sagen wahr in vor¬
nehmen und niedrigen Häusern, oder hocken neben Kohlenpfannen am Ufer des
Guadalquivir und rösten Kastanien, welche sie an die leckeren Sevillaner verkaufen;
Andere, mit Contrebandisten im Bunde, tragen von Gibraltar herübergeschmuggelte
Waaren Hausirer. Manchmal des Abends sehen die Gitanerias oder Zigeuner¬
quartiere noch ganz andere Gäste, als ihre gewöhnlichen Bewohner, nämlich junge
vornehme Wüstlinge, vor welchen die Frauen und Mädchen ihre üppigen Tänze
aufführen. Der Töchter Ostindiens Augen voll Glut entzünden oft eine unbe¬
zähmbare Leidenschaft in den Herzen ihrer Gäste, die jedoch selten Befriedigung
findet. Denn so ausschweifend auch die Gitaua in Wort und Geberde ist, so
verabscheut sie doch den Europäer, den Buhuo, als ein unreines Wesen viel zu
sehr, um ihm Vertraulichkeiten zu erlauben, und körperliche Keuschheit ist vielleicht
die einzige Tugend, welche die Zigeunerinnen besitzen; sie wird aber auch um so


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[0264] In der Residenz, in Madrid, wie überhaupt in Castilien, befinden sich nur äußerst wenig Zigeuner, höchstens fünfzig. Sie wohnen in zwei engen und schmuzigen Gäßchen, in der Calle de la Comadre und der Calleja de Lavapies, in der Nähe des Mercado, wo sie ihre Geschäfte betreiben. Dort sieht man die Männer jeden Markttag mit einer Schindmähre, einem steifen Maulthiere oder einem wundgedrückten Esel an der Hand, mit welchem sie trotzdem ihre Paar Piaster zu verdienen wissen. Besitzen sie einmal ein werthvolles Thier, so lassen sie es nicht aus dem Stalle und zeigen es dort den Kauflustigen — aus triftigen Grunde, denn sie haben es selten auf ehrlichem Wege erlangt. Andalusien ist der Hauptsitz der Zigeuner. Viele wohnen in Höhlen in den höher gelegenen Schluchten der Alpnjarras, an deren Fuße Grenada liegt. Die meisten Gitanos von Grenada arbeiten in Eisen, und nicht selten findet man jene Höhlen von Zigeunerschmieden und ihren Familien bevölkert, welche unter der Erde Hammer und Zange führen. Eine solche Schmiede ist ein pittoreskes Bild, zumal bei Nacht. Die braunen, halbnackten Gestalten, von grellrothen Scheine beleuchtet, bewegen sich um die lodernde Flamme wie Dämonen, während die Höhle mit ihren rauhen, schwarzen Felswänden, und die Decke, an welcher der Q-natu in schweren Wolken hängt, kein unebenes Bild vom Fegfeuer giebt. Aeltere Ge¬ setze verbieten den Zigeunern, Hufschmiede zu sein, wahrscheinlich weil das'Gewerbe in zu enger Verbindung mit dem Pferdehandel steht; doch sind beide Erwerbs¬ zweige heute noch Hauptbeschäftigungen der Gitanos. Die. seßhaften haben sich nirgends in größerer Anzahl, als in Sevilla, und vornämlich in der berüchtigten Vorstadt Triana niedergelassen. Dort Hansen sie in gräßlichen Spelunken, zwi¬ schen verfallenen Mauern und verlassenen Klöstern. Hier sieht man sie den Hammer schwingen, oder mit geschickter Hand als Esquiladoren die Scheere führen. Die Frauen streichen, ein oder ein Paar gelbe Kinder auf dem Rücken oder ans dem Arme, in der Stadt herum, verkaufen Liebestränke und sagen wahr in vor¬ nehmen und niedrigen Häusern, oder hocken neben Kohlenpfannen am Ufer des Guadalquivir und rösten Kastanien, welche sie an die leckeren Sevillaner verkaufen; Andere, mit Contrebandisten im Bunde, tragen von Gibraltar herübergeschmuggelte Waaren Hausirer. Manchmal des Abends sehen die Gitanerias oder Zigeuner¬ quartiere noch ganz andere Gäste, als ihre gewöhnlichen Bewohner, nämlich junge vornehme Wüstlinge, vor welchen die Frauen und Mädchen ihre üppigen Tänze aufführen. Der Töchter Ostindiens Augen voll Glut entzünden oft eine unbe¬ zähmbare Leidenschaft in den Herzen ihrer Gäste, die jedoch selten Befriedigung findet. Denn so ausschweifend auch die Gitaua in Wort und Geberde ist, so verabscheut sie doch den Europäer, den Buhuo, als ein unreines Wesen viel zu sehr, um ihm Vertraulichkeiten zu erlauben, und körperliche Keuschheit ist vielleicht die einzige Tugend, welche die Zigeunerinnen besitzen; sie wird aber auch um so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/264>, abgerufen am 22.07.2024.