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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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nur er und einige seiner Freunde, die Domherren, verstehen konnten. Die Geist¬
lichen, welche zugleich seine vornehmsten Abnehmer waren, besuchten ihn häufig,
und unterhielten sich gern mit ihm. In seiner Jugend war er weit gereist, und
hatte in Spanien die verschiedenen Provinzen und die merkwürdigsten Städte
besucht. Auch in Italien und der Berberei sollte er gewesen sein. Er war
jedoch stets sehr schweigsam über seine Reisen, ,und wenn Jemand davon anfing,
wurde sein Gesicht uur noch trüber und finsterer, als gewöhnlich. Eines Tages,
zu Anfang des Herbstes, besuchte ihn ein Geistlicher, mit dem er seit Langem
befreundet war, und für den er immer eine größere Achtung und Zuneigung ge¬
zeigt hatte, als für jeden andern Bekannten. Der Priester fand ihn noch trau¬
riger gestimmt, als gewöhnlich, und sein Gesicht sah auffallend blaß und ange¬
griffen aus. Lange sprach ihm der Geistliche theilnehmend zu, und drang in ihn,
ihm den Kummer, der ihn bedrücke, mitzutheilen; da brach endlich der Buchhändler
sein Schweigen mit folgenden Worten: "Freilich besitze ich ein Geheimniß, das
mir schwer ans dem Herzen liegt, und das ich dennoch ungern enthülle; aber ich
habe eine Ahnung, daß mein Ende nahe ist, und daß ein schweres Unglück diese
Stadt befallen wird; ich will daher mein Herz ausschütten, denn es wäre Sünde,
zu schweigen. Wie Ihr wißt, bin ich in dieser Stadt geboren, und ich verließ
sie, um in Salamanca zu studiren; dort blieb ich, bis ich Licentiat wurde, worauf
ich die Universität verließ und durch Spanien wanderte, nach der Sitte armer
Studenten mir mit der Guitarre meinen Lebensunterhalt erwerbend; ich hatte
zahlreiche Abenteuer und litt oft große Armuth. Auf einer Reise von Toledo
nach Andalusien durch das unwirthliche Gebirge fiel ich einer Bande Gitanos in
die Hände, welche für gewöhnlich sich in diesen Einöden herumtrieben, und die
Reisenden ausplünderten oder ermordeten. Mir war wol anch der Tod bestimmt,
und nur vielleicht meine Kunstfertigkeit auf der Guitarre rettete mir das Leben.
Ich blieb ziemlich lange bei ihnen, bis sie Mich überredeten, Einer von ihnen zu
werdeu, worauf ich mit vielen seltsamen und schrecklichen Ceremonien unter ihre
Gesellschaft aufgenommen wurde. Ich war nun Gitano und plünderte und er¬
schlug mit ihnen die Reisenden auf der Landstraße. Der Hauptmann der Gitanos
hatte eine einzige Tochter, ziemlich von meinem Alter; sie war sehr schön, aber
zugleich sehr stark gebaut; diese Gitana erhielt ich zum Weibe, und ich lebte mit
ihr mehrere Jahre und zeugte mit ihr Kinder. Meine Frau war eine echte Gi¬
tana, und alle bösen Eigenschaften ihres Stammes schienen in ihr vereinigt zu
sein. Endlich kam ihr Vater in einem Scharmützel mit den Leuten der Her-
mandad um's Leben, und die Hauptmannschast ging nnn durch meine Frau auf
mich über. Wir hatten uns Anfangs lieb gehabt, aber zuletzt wurde nur das
Gitanoleben mit seinen Schlechtigkeiten zuwider, und da dies meine Frau bald
bemerkte, faßte sie einen tödtlichen Haß gegen mich. In der Besorgniß, daß ich
beabsichtige, mich von der Bande zu entfernen, und vielleicht die Geheimnisse der-


Grenzboten. I. 4 832. 32

nur er und einige seiner Freunde, die Domherren, verstehen konnten. Die Geist¬
lichen, welche zugleich seine vornehmsten Abnehmer waren, besuchten ihn häufig,
und unterhielten sich gern mit ihm. In seiner Jugend war er weit gereist, und
hatte in Spanien die verschiedenen Provinzen und die merkwürdigsten Städte
besucht. Auch in Italien und der Berberei sollte er gewesen sein. Er war
jedoch stets sehr schweigsam über seine Reisen, ,und wenn Jemand davon anfing,
wurde sein Gesicht uur noch trüber und finsterer, als gewöhnlich. Eines Tages,
zu Anfang des Herbstes, besuchte ihn ein Geistlicher, mit dem er seit Langem
befreundet war, und für den er immer eine größere Achtung und Zuneigung ge¬
zeigt hatte, als für jeden andern Bekannten. Der Priester fand ihn noch trau¬
riger gestimmt, als gewöhnlich, und sein Gesicht sah auffallend blaß und ange¬
griffen aus. Lange sprach ihm der Geistliche theilnehmend zu, und drang in ihn,
ihm den Kummer, der ihn bedrücke, mitzutheilen; da brach endlich der Buchhändler
sein Schweigen mit folgenden Worten: „Freilich besitze ich ein Geheimniß, das
mir schwer ans dem Herzen liegt, und das ich dennoch ungern enthülle; aber ich
habe eine Ahnung, daß mein Ende nahe ist, und daß ein schweres Unglück diese
Stadt befallen wird; ich will daher mein Herz ausschütten, denn es wäre Sünde,
zu schweigen. Wie Ihr wißt, bin ich in dieser Stadt geboren, und ich verließ
sie, um in Salamanca zu studiren; dort blieb ich, bis ich Licentiat wurde, worauf
ich die Universität verließ und durch Spanien wanderte, nach der Sitte armer
Studenten mir mit der Guitarre meinen Lebensunterhalt erwerbend; ich hatte
zahlreiche Abenteuer und litt oft große Armuth. Auf einer Reise von Toledo
nach Andalusien durch das unwirthliche Gebirge fiel ich einer Bande Gitanos in
die Hände, welche für gewöhnlich sich in diesen Einöden herumtrieben, und die
Reisenden ausplünderten oder ermordeten. Mir war wol anch der Tod bestimmt,
und nur vielleicht meine Kunstfertigkeit auf der Guitarre rettete mir das Leben.
Ich blieb ziemlich lange bei ihnen, bis sie Mich überredeten, Einer von ihnen zu
werdeu, worauf ich mit vielen seltsamen und schrecklichen Ceremonien unter ihre
Gesellschaft aufgenommen wurde. Ich war nun Gitano und plünderte und er¬
schlug mit ihnen die Reisenden auf der Landstraße. Der Hauptmann der Gitanos
hatte eine einzige Tochter, ziemlich von meinem Alter; sie war sehr schön, aber
zugleich sehr stark gebaut; diese Gitana erhielt ich zum Weibe, und ich lebte mit
ihr mehrere Jahre und zeugte mit ihr Kinder. Meine Frau war eine echte Gi¬
tana, und alle bösen Eigenschaften ihres Stammes schienen in ihr vereinigt zu
sein. Endlich kam ihr Vater in einem Scharmützel mit den Leuten der Her-
mandad um's Leben, und die Hauptmannschast ging nnn durch meine Frau auf
mich über. Wir hatten uns Anfangs lieb gehabt, aber zuletzt wurde nur das
Gitanoleben mit seinen Schlechtigkeiten zuwider, und da dies meine Frau bald
bemerkte, faßte sie einen tödtlichen Haß gegen mich. In der Besorgniß, daß ich
beabsichtige, mich von der Bande zu entfernen, und vielleicht die Geheimnisse der-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/259>, abgerufen am 22.07.2024.