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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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so sehr unter dem Einflüsse Oestreichs, daß ihre Betheiligung, wenn sie überhaupt
erfolgt, wahrscheinlich eine widerwillige und langsame sein wird. Aber wohl ge¬
merkt, es sind die Sympathien der Regierungen, und nicht die Interessen der
Volker, welche nach Oestreich ziehen; denn die Ablösung vom Zollverein um deu
Anschluß an Oestreich wäre ein so großes Verkennen der staatlichen Interessen für
die deutschen Regierungen, daß selbst jetzt bei der großen innern Freiheit, mit
welcher die Staatsregierungen auf die Interessen ihrer Bürger herabzuschauen pfle¬
gen, die Trennung eine sehr bedenkliche wäre. Für Sachsen käme sie einem
Selbstmorde gleich. Denn kein Staat verdankt dem Zollverein so viel, als die
industriöse und intelligente Bevölkerung der sächsischen Handels- und Fabrikstädte.
Der Transitverkehr der großen Eisen- und Wasserstraße des Zollvereins durch¬
zieht fast die ganze Länge des kleinen Staates; Leipzig ist der Hanptbiunemnarkt
der Zollvereinsstaaten; die sächsischen Fabrikstädte verdanken dem Zollverein den
bewunderungswürdigen Ausschwung zahlreicher Geschäfte, und haben in ihrer
Nähe auf der andern Seite des GrenzgebirgcS in den böhmischen Fabrikstädten
für viele Thätigkeiten so gefährliche Rivalen, daß die Zollschranke gerade an
dieser Grenze eine Bedingung für ihr Gedeihen geworden ist. Ein Anschluß an
Oestreich würde Sachsen um mehrere Jahrzehende in seiner industriellen Entwicke¬
lung zurückwerfen, und den Wohlstand des Landes in sehr gefährlicher Weise ruini-
ren. Diese Ueberzeugung ist im Lande so allgemein, daß zu hoffen steht, auch die
Regierung werde in der entscheidenden Stunde dieselbe theilen. -- In Bayern
sind die Verhältnisse ähnlich. Das ganze fränkische und schwäbische Gebiet ist
fest an den Zollverein gebunden, und die bayerische Regierung ist außerdem in
der Lage, daß sie ihr Bestreben, sich als ansehnlicher Staat zu zeigen, mit häu¬
figen finanziellen Verlegenheiten büßen muß; gerade sie ist am wenigsten im Stande,
die sichern Revenuen, welche sie ans der Zollvereinskasse bezieht, gegen die pre-
cairen Ergebnisse einer Verbindung mit dem finanziell bedrängten Oestreich zu
opfern. Von allen Zollvereinsstaaten ist Württemberg der, wo der materielle
Segen des Vereines in den kleineren Kreisen des Volkslebens am wenigsten em¬
pfunden worden ist. Keine der großen Völterstraßen führt dnrch sein Gebiet,
das Netz von Höhenzügen und Thälern, welche die reizende Landschaft formen,
bedingt eine überwiegende Entwickelung der kleinen Industrie und des Localhan-
dels. Außerdem sind in den regierenden Kreisen dort- die Antipathien gegen die
preußische Regierung vielleicht am stärksten; es steht demnach zu erwarten, daß
Württemberg am meisten geneigt sein wird, sich auszuschließen. Es versteht sich,
daß dies unmöglich, falls Bayern beim Verein bleibt; im entgegengesetzten Fall
wäre der Verlust Württembergs für die Zolleinigung zwar zu beklagen, aber kein
Verlust, der in materieller Beziehung von größter Wichtigkeit wäre. Baden für
sich zu gewinnen, erscheint der östreichischen Regierung von höchster Bedeutung,
nicht deshalb, weil das Gebiet des Staates der östreichischen Industrie einen


so sehr unter dem Einflüsse Oestreichs, daß ihre Betheiligung, wenn sie überhaupt
erfolgt, wahrscheinlich eine widerwillige und langsame sein wird. Aber wohl ge¬
merkt, es sind die Sympathien der Regierungen, und nicht die Interessen der
Volker, welche nach Oestreich ziehen; denn die Ablösung vom Zollverein um deu
Anschluß an Oestreich wäre ein so großes Verkennen der staatlichen Interessen für
die deutschen Regierungen, daß selbst jetzt bei der großen innern Freiheit, mit
welcher die Staatsregierungen auf die Interessen ihrer Bürger herabzuschauen pfle¬
gen, die Trennung eine sehr bedenkliche wäre. Für Sachsen käme sie einem
Selbstmorde gleich. Denn kein Staat verdankt dem Zollverein so viel, als die
industriöse und intelligente Bevölkerung der sächsischen Handels- und Fabrikstädte.
Der Transitverkehr der großen Eisen- und Wasserstraße des Zollvereins durch¬
zieht fast die ganze Länge des kleinen Staates; Leipzig ist der Hanptbiunemnarkt
der Zollvereinsstaaten; die sächsischen Fabrikstädte verdanken dem Zollverein den
bewunderungswürdigen Ausschwung zahlreicher Geschäfte, und haben in ihrer
Nähe auf der andern Seite des GrenzgebirgcS in den böhmischen Fabrikstädten
für viele Thätigkeiten so gefährliche Rivalen, daß die Zollschranke gerade an
dieser Grenze eine Bedingung für ihr Gedeihen geworden ist. Ein Anschluß an
Oestreich würde Sachsen um mehrere Jahrzehende in seiner industriellen Entwicke¬
lung zurückwerfen, und den Wohlstand des Landes in sehr gefährlicher Weise ruini-
ren. Diese Ueberzeugung ist im Lande so allgemein, daß zu hoffen steht, auch die
Regierung werde in der entscheidenden Stunde dieselbe theilen. — In Bayern
sind die Verhältnisse ähnlich. Das ganze fränkische und schwäbische Gebiet ist
fest an den Zollverein gebunden, und die bayerische Regierung ist außerdem in
der Lage, daß sie ihr Bestreben, sich als ansehnlicher Staat zu zeigen, mit häu¬
figen finanziellen Verlegenheiten büßen muß; gerade sie ist am wenigsten im Stande,
die sichern Revenuen, welche sie ans der Zollvereinskasse bezieht, gegen die pre-
cairen Ergebnisse einer Verbindung mit dem finanziell bedrängten Oestreich zu
opfern. Von allen Zollvereinsstaaten ist Württemberg der, wo der materielle
Segen des Vereines in den kleineren Kreisen des Volkslebens am wenigsten em¬
pfunden worden ist. Keine der großen Völterstraßen führt dnrch sein Gebiet,
das Netz von Höhenzügen und Thälern, welche die reizende Landschaft formen,
bedingt eine überwiegende Entwickelung der kleinen Industrie und des Localhan-
dels. Außerdem sind in den regierenden Kreisen dort- die Antipathien gegen die
preußische Regierung vielleicht am stärksten; es steht demnach zu erwarten, daß
Württemberg am meisten geneigt sein wird, sich auszuschließen. Es versteht sich,
daß dies unmöglich, falls Bayern beim Verein bleibt; im entgegengesetzten Fall
wäre der Verlust Württembergs für die Zolleinigung zwar zu beklagen, aber kein
Verlust, der in materieller Beziehung von größter Wichtigkeit wäre. Baden für
sich zu gewinnen, erscheint der östreichischen Regierung von höchster Bedeutung,
nicht deshalb, weil das Gebiet des Staates der östreichischen Industrie einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/234>, abgerufen am 22.07.2024.