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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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in seinen natürlichen Verhältnissen zur Darstellung bringt. Was darüber hinaus¬
geht, Handlungen, die ihre eigentliche Bedeutung durch ein von Außen hinzu¬
tretendes Moment erhalten, sind nicht die Aufgaben, welche er sich wählt, und
mit Recht. Daher finden wir keine eigentlich historischen Darstellungen, und
selbst das historische und locale Costum ist aus ein geringes Maß zurück geführt
und die eigentliche Wirkung nie darauf gegründet. Eben so ist nicht nur
Allegorie, die keiner künstlerischen Natur zusagen kann, sondern auch Symbolik
nicht Richter's Sache; was nicht in der Situation selbst sich klar und
deutlich aussprechen läßt, ist sür seine Darstellung nicht der natürliche Vorwurf.
Daher gelingen ihm schon meistens die Engel nicht; was des Menschen Herz
bewegt, das versteht er so meisterlich durch die menschliche Gestalt auszudrücken,
daß die Engel überflüssig sind und nur aus conventionellen Rücksichten dabei er¬
scheinen. Auch bewahrt Richter seine echt künstlerische Natur vor dem Gebrechen
der geistreichen Künstler , die das Beste, was sie meinen und wollen, nicht in
der eigentlichen Idee ihres Kunstwerks ausgehen lassen, sondern nebenher durch
allerlei Mittel andeuten wollen, und die natürlichen Schranken ihrer Kunst nach
allen Seiten durchbrechen möchten, nicht aus Ueberfülle der Kraft, sondern aus
Armuth oder Mißverständnis Dieses eigentlich dilettantische Treiben ist
einer sein empfindenden und sest ausgebildeten künstlerischen Natur zuwider,
und Richter pflegt wol, wenn ihm dergleichen begegnet, den Wunsch zu
äußern, daß doch solche Leute die Feder zur Hand nehmen und alle ihre scho¬
nen Gedanken aufschreiben möchten, wo man sie ja ohne Beschwerde lesen
könnte, dann aber auch ein schönes Kunstwerk, das in sich vollendet sei, schaffen.
Nirgends liegt die Verführung zu solchen geistreichen Extravaganzen näher,
nirgends ist sie auch eher zu entschuldigen als bei Illustrationen, welche aller¬
dings zum geschriebenen Wort eine nähere Beziehung haben und eine arabesken¬
artige Behandlung dem Sinn wie der Form nach gestatten. Es ist daher
gewiß ein sprechender Beweis sür die echt künstlerische Productivität Richter's,
daß er nie sich durch eine poetische Schönheit verleiten läßt, sie ohne Weiteres
auf das Gebiet der Malerei zu übertragen, sondern mit unbstechlichem
Blick nur eigentlich malerische Motive aus der Darstellung des Schriftstellers
herauszieht, in deren Durchbildung er dann selbstständig über seinen Text
hinausgeht. Und darin bewährt sich der wahrhaft geistreiche Künstler, daß das
andeutende Wort ihm genügt, um eigenthümliche schöne Motive hervorzurufen,
und aus dem Keim, den der Dichter in dasselbe gelegt, eine Fülle von neuen
Blüthen erwachsen zu lassen, wie das Wort im Musiker die Melodie erweckt,
welche von demselben unzertrennlich und doch selbstständig ist.

Innerhalb der bezeichneten Sphäre ist Richter in der Darstellung des
menschlichen Lebens von einer unerschöpflichen Fülle. Keine Saite des Ge¬
müthes, die er nicht erklingen ließe, kein Verhältniß, das sittliche Veden-


in seinen natürlichen Verhältnissen zur Darstellung bringt. Was darüber hinaus¬
geht, Handlungen, die ihre eigentliche Bedeutung durch ein von Außen hinzu¬
tretendes Moment erhalten, sind nicht die Aufgaben, welche er sich wählt, und
mit Recht. Daher finden wir keine eigentlich historischen Darstellungen, und
selbst das historische und locale Costum ist aus ein geringes Maß zurück geführt
und die eigentliche Wirkung nie darauf gegründet. Eben so ist nicht nur
Allegorie, die keiner künstlerischen Natur zusagen kann, sondern auch Symbolik
nicht Richter's Sache; was nicht in der Situation selbst sich klar und
deutlich aussprechen läßt, ist sür seine Darstellung nicht der natürliche Vorwurf.
Daher gelingen ihm schon meistens die Engel nicht; was des Menschen Herz
bewegt, das versteht er so meisterlich durch die menschliche Gestalt auszudrücken,
daß die Engel überflüssig sind und nur aus conventionellen Rücksichten dabei er¬
scheinen. Auch bewahrt Richter seine echt künstlerische Natur vor dem Gebrechen
der geistreichen Künstler , die das Beste, was sie meinen und wollen, nicht in
der eigentlichen Idee ihres Kunstwerks ausgehen lassen, sondern nebenher durch
allerlei Mittel andeuten wollen, und die natürlichen Schranken ihrer Kunst nach
allen Seiten durchbrechen möchten, nicht aus Ueberfülle der Kraft, sondern aus
Armuth oder Mißverständnis Dieses eigentlich dilettantische Treiben ist
einer sein empfindenden und sest ausgebildeten künstlerischen Natur zuwider,
und Richter pflegt wol, wenn ihm dergleichen begegnet, den Wunsch zu
äußern, daß doch solche Leute die Feder zur Hand nehmen und alle ihre scho¬
nen Gedanken aufschreiben möchten, wo man sie ja ohne Beschwerde lesen
könnte, dann aber auch ein schönes Kunstwerk, das in sich vollendet sei, schaffen.
Nirgends liegt die Verführung zu solchen geistreichen Extravaganzen näher,
nirgends ist sie auch eher zu entschuldigen als bei Illustrationen, welche aller¬
dings zum geschriebenen Wort eine nähere Beziehung haben und eine arabesken¬
artige Behandlung dem Sinn wie der Form nach gestatten. Es ist daher
gewiß ein sprechender Beweis sür die echt künstlerische Productivität Richter's,
daß er nie sich durch eine poetische Schönheit verleiten läßt, sie ohne Weiteres
auf das Gebiet der Malerei zu übertragen, sondern mit unbstechlichem
Blick nur eigentlich malerische Motive aus der Darstellung des Schriftstellers
herauszieht, in deren Durchbildung er dann selbstständig über seinen Text
hinausgeht. Und darin bewährt sich der wahrhaft geistreiche Künstler, daß das
andeutende Wort ihm genügt, um eigenthümliche schöne Motive hervorzurufen,
und aus dem Keim, den der Dichter in dasselbe gelegt, eine Fülle von neuen
Blüthen erwachsen zu lassen, wie das Wort im Musiker die Melodie erweckt,
welche von demselben unzertrennlich und doch selbstständig ist.

Innerhalb der bezeichneten Sphäre ist Richter in der Darstellung des
menschlichen Lebens von einer unerschöpflichen Fülle. Keine Saite des Ge¬
müthes, die er nicht erklingen ließe, kein Verhältniß, das sittliche Veden-


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[0223] in seinen natürlichen Verhältnissen zur Darstellung bringt. Was darüber hinaus¬ geht, Handlungen, die ihre eigentliche Bedeutung durch ein von Außen hinzu¬ tretendes Moment erhalten, sind nicht die Aufgaben, welche er sich wählt, und mit Recht. Daher finden wir keine eigentlich historischen Darstellungen, und selbst das historische und locale Costum ist aus ein geringes Maß zurück geführt und die eigentliche Wirkung nie darauf gegründet. Eben so ist nicht nur Allegorie, die keiner künstlerischen Natur zusagen kann, sondern auch Symbolik nicht Richter's Sache; was nicht in der Situation selbst sich klar und deutlich aussprechen läßt, ist sür seine Darstellung nicht der natürliche Vorwurf. Daher gelingen ihm schon meistens die Engel nicht; was des Menschen Herz bewegt, das versteht er so meisterlich durch die menschliche Gestalt auszudrücken, daß die Engel überflüssig sind und nur aus conventionellen Rücksichten dabei er¬ scheinen. Auch bewahrt Richter seine echt künstlerische Natur vor dem Gebrechen der geistreichen Künstler , die das Beste, was sie meinen und wollen, nicht in der eigentlichen Idee ihres Kunstwerks ausgehen lassen, sondern nebenher durch allerlei Mittel andeuten wollen, und die natürlichen Schranken ihrer Kunst nach allen Seiten durchbrechen möchten, nicht aus Ueberfülle der Kraft, sondern aus Armuth oder Mißverständnis Dieses eigentlich dilettantische Treiben ist einer sein empfindenden und sest ausgebildeten künstlerischen Natur zuwider, und Richter pflegt wol, wenn ihm dergleichen begegnet, den Wunsch zu äußern, daß doch solche Leute die Feder zur Hand nehmen und alle ihre scho¬ nen Gedanken aufschreiben möchten, wo man sie ja ohne Beschwerde lesen könnte, dann aber auch ein schönes Kunstwerk, das in sich vollendet sei, schaffen. Nirgends liegt die Verführung zu solchen geistreichen Extravaganzen näher, nirgends ist sie auch eher zu entschuldigen als bei Illustrationen, welche aller¬ dings zum geschriebenen Wort eine nähere Beziehung haben und eine arabesken¬ artige Behandlung dem Sinn wie der Form nach gestatten. Es ist daher gewiß ein sprechender Beweis sür die echt künstlerische Productivität Richter's, daß er nie sich durch eine poetische Schönheit verleiten läßt, sie ohne Weiteres auf das Gebiet der Malerei zu übertragen, sondern mit unbstechlichem Blick nur eigentlich malerische Motive aus der Darstellung des Schriftstellers herauszieht, in deren Durchbildung er dann selbstständig über seinen Text hinausgeht. Und darin bewährt sich der wahrhaft geistreiche Künstler, daß das andeutende Wort ihm genügt, um eigenthümliche schöne Motive hervorzurufen, und aus dem Keim, den der Dichter in dasselbe gelegt, eine Fülle von neuen Blüthen erwachsen zu lassen, wie das Wort im Musiker die Melodie erweckt, welche von demselben unzertrennlich und doch selbstständig ist. Innerhalb der bezeichneten Sphäre ist Richter in der Darstellung des menschlichen Lebens von einer unerschöpflichen Fülle. Keine Saite des Ge¬ müthes, die er nicht erklingen ließe, kein Verhältniß, das sittliche Veden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/223>, abgerufen am 22.07.2024.