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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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gewisse Wildheit des fahlblonden Bartkranzes um das rundliche Antlitz, dessen
unruhige Züge in Spiralbewegungen zwischen unbefangener Heiterkeit und wür¬
digem Wichtigkeitsernst umherirre" nach dem convenabelsten Ausdrucke, eine ab¬
sonderliche Beweglichkeit der etwas fchlänkrigen Glieder, ein entschlußreifes Auf¬
leuchten der wasserblauen Augen, dann wieder Blicke, welche in der Hvfloge nach
erwarteten Personen fragen, deren Erscheinen für die Reporters stets ein sicheres
Sturmzeichen ist -- Alles, Alles droht mit sehr langen, tiefgelehrten und äußerst
gesinnungstüchtigen Reden, welche, eiligst- aus dem Stenographisches ins
Deutsche bearbeitet, noch mit der Nachmittagspost nach Augsburg dampfen
sollen. Denn obgleich der Freiherr bekanntlich (im Februar 1830 bei Gelegen¬
heit der Debatte über das Preßstrafgcsetz) die Behauptung aufstellte, daß die
bayerische Presse sich in den Händen von Buben befinde, so hat er doch als Ab¬
geordneter derselben Presse die Zusendung seiner Reden und eigenhändig geschrie¬
bener Artikel niemals entzogen, und während seiner Ä73tägigen Amtsführung als
Minister 1848, laut Eingeständniß vom November 1851, sogar bedeutende Sum¬
men auf sie gewendet. Bekanntlich weiß nnn Deutschland aus der Allgemeinen
Zeitung, daß Freiherr v. Lerchenfeld par pi-Leni-meo ,,der liebenswürdige Staats¬
mann" ist. Aber Deutschland wird dies schmeichelhafte Lob der Dame von Augs-
burg schwerlich verstehen, wenn es ihn niemals vor und während einer wichtigen
Kammersitzung beobachtet. ' Weil die Sitzung wichtig wird, so umstehen vor ihrem
Beginne seine Anhänger in hellen Haufen das wohlgezählt versammelte Ministe¬
rium; weil die Sitzung wichtig wird, habe" sie ihre Parole Abends zuvor im
MuseuM empfangen, wenn auch die Allgemeine Zeitung verschiedene Male versi¬
chern mußte, daß der Museumselub kein Parteiclub sei; weil die Sitzung wichtig
wird, erfreuen sich die Mitglieder dieser NichtPartei ganz besonders freundlicher
Anrede von den Excellenzen. Freiherr von Lerchenfeld braucht also seine Anhän¬
ger nicht erst zu stählen, und nicht durch Zuspruch zu stärken; er ist ihrer sicher.
Dafür gilt es, an anderen Orten den Sieg zu sichern. So sehen wir ihn denn
von Platz zu Platz bei den halben Freunden, selbst möglichen Gegnern, beschäftigt,
bald für einen traulichen Augenblick zu Jenen gesetzt, bald Diesen mit einer bie¬
dern Bemerkung beglückend, bald den Andern mit vollem Sonnenschein des Ant¬
litzes an einen angenehmen Augenblick erinnernd, u. s. w. Vom eigentlich bevor¬
stehenden Geschäft spricht er allerdings nicht; aber er hat ein gewandtes Gedächt¬
niß für die kleinen Interessen eines Jeden, und sucht in Allen ein verbindliches
Gefühl anzuregen. Erreicht er auch nicht mehr, so doch höchst wahrscheinlich,
daß mau seineu Reden nicht mit bitterer Entschiedenheit gegenübertritt. Und das
ist die Hauptsache. Sie stehen dann als ungetrübte, endlose Glanzbreiten in den
Kammerreferaten der Allgemeinen Zeitung, während andere Bemerkungen kaum
angedeutet werden; besonders die der linken Seite des Hauses. An die Männer
der eigentlichen Opposition wendet sich Herr v. Lerchenfeld freilich niemals, darin


gewisse Wildheit des fahlblonden Bartkranzes um das rundliche Antlitz, dessen
unruhige Züge in Spiralbewegungen zwischen unbefangener Heiterkeit und wür¬
digem Wichtigkeitsernst umherirre« nach dem convenabelsten Ausdrucke, eine ab¬
sonderliche Beweglichkeit der etwas fchlänkrigen Glieder, ein entschlußreifes Auf¬
leuchten der wasserblauen Augen, dann wieder Blicke, welche in der Hvfloge nach
erwarteten Personen fragen, deren Erscheinen für die Reporters stets ein sicheres
Sturmzeichen ist — Alles, Alles droht mit sehr langen, tiefgelehrten und äußerst
gesinnungstüchtigen Reden, welche, eiligst- aus dem Stenographisches ins
Deutsche bearbeitet, noch mit der Nachmittagspost nach Augsburg dampfen
sollen. Denn obgleich der Freiherr bekanntlich (im Februar 1830 bei Gelegen¬
heit der Debatte über das Preßstrafgcsetz) die Behauptung aufstellte, daß die
bayerische Presse sich in den Händen von Buben befinde, so hat er doch als Ab¬
geordneter derselben Presse die Zusendung seiner Reden und eigenhändig geschrie¬
bener Artikel niemals entzogen, und während seiner Ä73tägigen Amtsführung als
Minister 1848, laut Eingeständniß vom November 1851, sogar bedeutende Sum¬
men auf sie gewendet. Bekanntlich weiß nnn Deutschland aus der Allgemeinen
Zeitung, daß Freiherr v. Lerchenfeld par pi-Leni-meo ,,der liebenswürdige Staats¬
mann" ist. Aber Deutschland wird dies schmeichelhafte Lob der Dame von Augs-
burg schwerlich verstehen, wenn es ihn niemals vor und während einer wichtigen
Kammersitzung beobachtet. ' Weil die Sitzung wichtig wird, so umstehen vor ihrem
Beginne seine Anhänger in hellen Haufen das wohlgezählt versammelte Ministe¬
rium; weil die Sitzung wichtig wird, habe« sie ihre Parole Abends zuvor im
MuseuM empfangen, wenn auch die Allgemeine Zeitung verschiedene Male versi¬
chern mußte, daß der Museumselub kein Parteiclub sei; weil die Sitzung wichtig
wird, erfreuen sich die Mitglieder dieser NichtPartei ganz besonders freundlicher
Anrede von den Excellenzen. Freiherr von Lerchenfeld braucht also seine Anhän¬
ger nicht erst zu stählen, und nicht durch Zuspruch zu stärken; er ist ihrer sicher.
Dafür gilt es, an anderen Orten den Sieg zu sichern. So sehen wir ihn denn
von Platz zu Platz bei den halben Freunden, selbst möglichen Gegnern, beschäftigt,
bald für einen traulichen Augenblick zu Jenen gesetzt, bald Diesen mit einer bie¬
dern Bemerkung beglückend, bald den Andern mit vollem Sonnenschein des Ant¬
litzes an einen angenehmen Augenblick erinnernd, u. s. w. Vom eigentlich bevor¬
stehenden Geschäft spricht er allerdings nicht; aber er hat ein gewandtes Gedächt¬
niß für die kleinen Interessen eines Jeden, und sucht in Allen ein verbindliches
Gefühl anzuregen. Erreicht er auch nicht mehr, so doch höchst wahrscheinlich,
daß mau seineu Reden nicht mit bitterer Entschiedenheit gegenübertritt. Und das
ist die Hauptsache. Sie stehen dann als ungetrübte, endlose Glanzbreiten in den
Kammerreferaten der Allgemeinen Zeitung, während andere Bemerkungen kaum
angedeutet werden; besonders die der linken Seite des Hauses. An die Männer
der eigentlichen Opposition wendet sich Herr v. Lerchenfeld freilich niemals, darin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/20>, abgerufen am 22.07.2024.