Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herzhafter Mann. Der Zufall wollte, daß ein ungeschickter Matrose noch auf
hoher See vom Bord in die See siel, gerade als das Schiff in sehr schneller
Fahrt war; da er nicht schwimmen konnte, sank er wie ein Bleigewicht. Ohne
sich einen Augenblick zu bedenken, sprang der Steuermann, nachdem er seinen
Rock abgeworfen hatte, dem Sinkenden nach, und wußte diesen mit augenscheinlicher
Lebensgefahr und ungeheurer Kraftanstrengung so lange über dem Wasser zu er¬
halten, bis das niedergelassene Rettungsboot Beide ausnahm. Hätte übrigens
der junge Engländer nicht sehr thätigen Beistand beim'Niederlassen des Rettungs¬
bootes und Umwenden unsres Schiffes geleistet, so wäre Alles zu langsam ge¬
schehen, um eine Rettung möglich zu machen. Der Matrose war bereits leblos,
als wir ihn an Bord brachten, und auch der Steuermann so erschöpft, daß er,
nach seiner eigenen Versicherung, es nur noch wenige Augenblicke ausgehalten
hätte, sich und deu Andern, der ihn fast krampfhaft umschlungen, oben zu erhalten.
Lächerlich war bei dieser ernsten Gelegenheit, mit welchen Fußtritten und
kräftigen Faustschlägen der englische Officier die Juden und Malteser aus einander
trieb, die schreiend, gaffend, und ohne dabei im Mindesten die Hand anzulegen,
bei dem Herumwenden des Schiffs und dem Niederlassen des Rettungsbootes
hindernd in dem Wege standen. Ich bin überzeugt, ein Mann hätte ganz allein
zwei Dutzend dieser Wichte zusammengeprügelt, ohne daß dieselben es nur gewagt,
offenen Widerstand zu leisten. Die Verachtung, mit welcher der Brite auf alle
diese Kerle herabsah, war unbeschreiblich komisch; eben so die kriechende Freund¬
lichkeit, welche sie dafür wieder gegen ihn überall zu zeigen sich bemühte".

Mich brachte übrigens dieser Unglücksfall zuerst in Berührung mit meinem
Reisegefährten, denn bis dahin waren wir fast einen ganzen Tag an einander vor¬
übergegangen, ohne außer einem Gruß nur ein Wort mit einander zu wechseln.

Tiefe Nacht dunkelte nach der kurzen Dämmerung dieser südlichen Gegend,
als unser Schiff endlich in der Bucht von Gibraltar den Dampf aus dem Schlot
ließ, und den Anker rasselnd in die Tiefe senkte. Gern hätten wir sogleich das
enge unbequeme Fahrzeug verlassen, um die Nacht in einem Hotel Gibraltars
zuzubringen, doch die Strenge der englischen Quarantainegesetze erlaubte dies
nicht, bevor der Gesundheitszustand dieses Schiffes untersucht war. In die
schmuzige verpestete Cajüte hätte mich nur die äußerste Nothwendigkeit gebracht,
und da diese nicht vorhanden war, so beschloß ich mit meinem Gefährten, auch
diese Nacht auf dem Verdecke zuzubringen. Der Waterproostrock des Engländers
und mein alter weiter Reitermantel gewährten hinreichenden Schutz gegen den
kühlen Wind, der sich am Morgen, kurz vor dem Aufgang der Sonne, aus der
See zu erheben pflegt.

Ein stattlicher Mastenwald ragte in der Bucht von Gibraltar empor; so
weit es die Dunkelheit erkennen ließ, waren Fahrzeuge von allen Größen darunter.
Die Mehrzahl der Schiffe, welche die Meerenge passiren will, legt ans der hiesigen


Grenzboten. I. isüZ. 23

herzhafter Mann. Der Zufall wollte, daß ein ungeschickter Matrose noch auf
hoher See vom Bord in die See siel, gerade als das Schiff in sehr schneller
Fahrt war; da er nicht schwimmen konnte, sank er wie ein Bleigewicht. Ohne
sich einen Augenblick zu bedenken, sprang der Steuermann, nachdem er seinen
Rock abgeworfen hatte, dem Sinkenden nach, und wußte diesen mit augenscheinlicher
Lebensgefahr und ungeheurer Kraftanstrengung so lange über dem Wasser zu er¬
halten, bis das niedergelassene Rettungsboot Beide ausnahm. Hätte übrigens
der junge Engländer nicht sehr thätigen Beistand beim'Niederlassen des Rettungs¬
bootes und Umwenden unsres Schiffes geleistet, so wäre Alles zu langsam ge¬
schehen, um eine Rettung möglich zu machen. Der Matrose war bereits leblos,
als wir ihn an Bord brachten, und auch der Steuermann so erschöpft, daß er,
nach seiner eigenen Versicherung, es nur noch wenige Augenblicke ausgehalten
hätte, sich und deu Andern, der ihn fast krampfhaft umschlungen, oben zu erhalten.
Lächerlich war bei dieser ernsten Gelegenheit, mit welchen Fußtritten und
kräftigen Faustschlägen der englische Officier die Juden und Malteser aus einander
trieb, die schreiend, gaffend, und ohne dabei im Mindesten die Hand anzulegen,
bei dem Herumwenden des Schiffs und dem Niederlassen des Rettungsbootes
hindernd in dem Wege standen. Ich bin überzeugt, ein Mann hätte ganz allein
zwei Dutzend dieser Wichte zusammengeprügelt, ohne daß dieselben es nur gewagt,
offenen Widerstand zu leisten. Die Verachtung, mit welcher der Brite auf alle
diese Kerle herabsah, war unbeschreiblich komisch; eben so die kriechende Freund¬
lichkeit, welche sie dafür wieder gegen ihn überall zu zeigen sich bemühte».

Mich brachte übrigens dieser Unglücksfall zuerst in Berührung mit meinem
Reisegefährten, denn bis dahin waren wir fast einen ganzen Tag an einander vor¬
übergegangen, ohne außer einem Gruß nur ein Wort mit einander zu wechseln.

Tiefe Nacht dunkelte nach der kurzen Dämmerung dieser südlichen Gegend,
als unser Schiff endlich in der Bucht von Gibraltar den Dampf aus dem Schlot
ließ, und den Anker rasselnd in die Tiefe senkte. Gern hätten wir sogleich das
enge unbequeme Fahrzeug verlassen, um die Nacht in einem Hotel Gibraltars
zuzubringen, doch die Strenge der englischen Quarantainegesetze erlaubte dies
nicht, bevor der Gesundheitszustand dieses Schiffes untersucht war. In die
schmuzige verpestete Cajüte hätte mich nur die äußerste Nothwendigkeit gebracht,
und da diese nicht vorhanden war, so beschloß ich mit meinem Gefährten, auch
diese Nacht auf dem Verdecke zuzubringen. Der Waterproostrock des Engländers
und mein alter weiter Reitermantel gewährten hinreichenden Schutz gegen den
kühlen Wind, der sich am Morgen, kurz vor dem Aufgang der Sonne, aus der
See zu erheben pflegt.

Ein stattlicher Mastenwald ragte in der Bucht von Gibraltar empor; so
weit es die Dunkelheit erkennen ließ, waren Fahrzeuge von allen Größen darunter.
Die Mehrzahl der Schiffe, welche die Meerenge passiren will, legt ans der hiesigen


Grenzboten. I. isüZ. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93552"/>
          <p xml:id="ID_522" prev="#ID_521"> herzhafter Mann. Der Zufall wollte, daß ein ungeschickter Matrose noch auf<lb/>
hoher See vom Bord in die See siel, gerade als das Schiff in sehr schneller<lb/>
Fahrt war; da er nicht schwimmen konnte, sank er wie ein Bleigewicht. Ohne<lb/>
sich einen Augenblick zu bedenken, sprang der Steuermann, nachdem er seinen<lb/>
Rock abgeworfen hatte, dem Sinkenden nach, und wußte diesen mit augenscheinlicher<lb/>
Lebensgefahr und ungeheurer Kraftanstrengung so lange über dem Wasser zu er¬<lb/>
halten, bis das niedergelassene Rettungsboot Beide ausnahm. Hätte übrigens<lb/>
der junge Engländer nicht sehr thätigen Beistand beim'Niederlassen des Rettungs¬<lb/>
bootes und Umwenden unsres Schiffes geleistet, so wäre Alles zu langsam ge¬<lb/>
schehen, um eine Rettung möglich zu machen. Der Matrose war bereits leblos,<lb/>
als wir ihn an Bord brachten, und auch der Steuermann so erschöpft, daß er,<lb/>
nach seiner eigenen Versicherung, es nur noch wenige Augenblicke ausgehalten<lb/>
hätte, sich und deu Andern, der ihn fast krampfhaft umschlungen, oben zu erhalten.<lb/>
Lächerlich war bei dieser ernsten Gelegenheit, mit welchen Fußtritten und<lb/>
kräftigen Faustschlägen der englische Officier die Juden und Malteser aus einander<lb/>
trieb, die schreiend, gaffend, und ohne dabei im Mindesten die Hand anzulegen,<lb/>
bei dem Herumwenden des Schiffs und dem Niederlassen des Rettungsbootes<lb/>
hindernd in dem Wege standen. Ich bin überzeugt, ein Mann hätte ganz allein<lb/>
zwei Dutzend dieser Wichte zusammengeprügelt, ohne daß dieselben es nur gewagt,<lb/>
offenen Widerstand zu leisten. Die Verachtung, mit welcher der Brite auf alle<lb/>
diese Kerle herabsah, war unbeschreiblich komisch; eben so die kriechende Freund¬<lb/>
lichkeit, welche sie dafür wieder gegen ihn überall zu zeigen sich bemühte».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_523"> Mich brachte übrigens dieser Unglücksfall zuerst in Berührung mit meinem<lb/>
Reisegefährten, denn bis dahin waren wir fast einen ganzen Tag an einander vor¬<lb/>
übergegangen, ohne außer einem Gruß nur ein Wort mit einander zu wechseln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_524"> Tiefe Nacht dunkelte nach der kurzen Dämmerung dieser südlichen Gegend,<lb/>
als unser Schiff endlich in der Bucht von Gibraltar den Dampf aus dem Schlot<lb/>
ließ, und den Anker rasselnd in die Tiefe senkte. Gern hätten wir sogleich das<lb/>
enge unbequeme Fahrzeug verlassen, um die Nacht in einem Hotel Gibraltars<lb/>
zuzubringen, doch die Strenge der englischen Quarantainegesetze erlaubte dies<lb/>
nicht, bevor der Gesundheitszustand dieses Schiffes untersucht war. In die<lb/>
schmuzige verpestete Cajüte hätte mich nur die äußerste Nothwendigkeit gebracht,<lb/>
und da diese nicht vorhanden war, so beschloß ich mit meinem Gefährten, auch<lb/>
diese Nacht auf dem Verdecke zuzubringen. Der Waterproostrock des Engländers<lb/>
und mein alter weiter Reitermantel gewährten hinreichenden Schutz gegen den<lb/>
kühlen Wind, der sich am Morgen, kurz vor dem Aufgang der Sonne, aus der<lb/>
See zu erheben pflegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_525" next="#ID_526"> Ein stattlicher Mastenwald ragte in der Bucht von Gibraltar empor; so<lb/>
weit es die Dunkelheit erkennen ließ, waren Fahrzeuge von allen Größen darunter.<lb/>
Die Mehrzahl der Schiffe, welche die Meerenge passiren will, legt ans der hiesigen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. isüZ. 23</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0187] herzhafter Mann. Der Zufall wollte, daß ein ungeschickter Matrose noch auf hoher See vom Bord in die See siel, gerade als das Schiff in sehr schneller Fahrt war; da er nicht schwimmen konnte, sank er wie ein Bleigewicht. Ohne sich einen Augenblick zu bedenken, sprang der Steuermann, nachdem er seinen Rock abgeworfen hatte, dem Sinkenden nach, und wußte diesen mit augenscheinlicher Lebensgefahr und ungeheurer Kraftanstrengung so lange über dem Wasser zu er¬ halten, bis das niedergelassene Rettungsboot Beide ausnahm. Hätte übrigens der junge Engländer nicht sehr thätigen Beistand beim'Niederlassen des Rettungs¬ bootes und Umwenden unsres Schiffes geleistet, so wäre Alles zu langsam ge¬ schehen, um eine Rettung möglich zu machen. Der Matrose war bereits leblos, als wir ihn an Bord brachten, und auch der Steuermann so erschöpft, daß er, nach seiner eigenen Versicherung, es nur noch wenige Augenblicke ausgehalten hätte, sich und deu Andern, der ihn fast krampfhaft umschlungen, oben zu erhalten. Lächerlich war bei dieser ernsten Gelegenheit, mit welchen Fußtritten und kräftigen Faustschlägen der englische Officier die Juden und Malteser aus einander trieb, die schreiend, gaffend, und ohne dabei im Mindesten die Hand anzulegen, bei dem Herumwenden des Schiffs und dem Niederlassen des Rettungsbootes hindernd in dem Wege standen. Ich bin überzeugt, ein Mann hätte ganz allein zwei Dutzend dieser Wichte zusammengeprügelt, ohne daß dieselben es nur gewagt, offenen Widerstand zu leisten. Die Verachtung, mit welcher der Brite auf alle diese Kerle herabsah, war unbeschreiblich komisch; eben so die kriechende Freund¬ lichkeit, welche sie dafür wieder gegen ihn überall zu zeigen sich bemühte». Mich brachte übrigens dieser Unglücksfall zuerst in Berührung mit meinem Reisegefährten, denn bis dahin waren wir fast einen ganzen Tag an einander vor¬ übergegangen, ohne außer einem Gruß nur ein Wort mit einander zu wechseln. Tiefe Nacht dunkelte nach der kurzen Dämmerung dieser südlichen Gegend, als unser Schiff endlich in der Bucht von Gibraltar den Dampf aus dem Schlot ließ, und den Anker rasselnd in die Tiefe senkte. Gern hätten wir sogleich das enge unbequeme Fahrzeug verlassen, um die Nacht in einem Hotel Gibraltars zuzubringen, doch die Strenge der englischen Quarantainegesetze erlaubte dies nicht, bevor der Gesundheitszustand dieses Schiffes untersucht war. In die schmuzige verpestete Cajüte hätte mich nur die äußerste Nothwendigkeit gebracht, und da diese nicht vorhanden war, so beschloß ich mit meinem Gefährten, auch diese Nacht auf dem Verdecke zuzubringen. Der Waterproostrock des Engländers und mein alter weiter Reitermantel gewährten hinreichenden Schutz gegen den kühlen Wind, der sich am Morgen, kurz vor dem Aufgang der Sonne, aus der See zu erheben pflegt. Ein stattlicher Mastenwald ragte in der Bucht von Gibraltar empor; so weit es die Dunkelheit erkennen ließ, waren Fahrzeuge von allen Größen darunter. Die Mehrzahl der Schiffe, welche die Meerenge passiren will, legt ans der hiesigen Grenzboten. I. isüZ. 23

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/187
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/187>, abgerufen am 22.07.2024.