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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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dem Style der Tageslectnre erduldet hatten; da lagen die Folgen schlechter Bil¬
dung, des flüchtigen, zerfahrenen, blasirten Geistes, der in unserem Leben geherrscht
hatte, auf einmal recht traurig zu Tage. Dem Jahr 48 ist der alte Bundestag,
die alte Herrschaft der Exclusiven erfolgt, das deutsche Leben schleicht wieder ein¬
förmig in den alten Gleisen dahin, und wieder taucht von allen Seiten im Ro¬
man und Feuilletonartikel, in jeder Art von Unterhaltungslecture, der alte, schlechte,
depravirende Styl auf.

Wir find gegenwärtig sehr reich an Manieren des, Styls. Da ist der
diplomatische Styl der Wilhelmstraße von Berlin (Usedom, Nadowitz) der glän¬
zende historische Spi (Ranke), der historische Lapidarstyl (Dahlmann, I. Grimm),
der philosophische Styl, der weibliche Nomaustyl, (insofern'der harmloseste, als
er kaum noch Styl genannt werden kann); der blühende Styl u. s. in. Keiner ist
so sehr ein Symptom der schleichenden Krankheit, welche an der ehrlichen und
gesunden Seele des Deutschen zehrt, als der geistreiche. -- Dies Blatt hat in
den letzten Jahren häufig die Aufgabe gehabt, Krankheitsfälle des Völkergeistes
pathologisch zu behandeln. Die Politik der deutscheu Kabinette zu besprechen, wie
sie es verdient, ist jetzt unmöglich. Dafür wird es Raum geben, die Auswüchse
und Fehler unsrer Bildung in ihren neuesten Lebensäußerungen dnrch die Sprache
anzugreifen.

Die Zeit ist sehr ernst geworden, unsere Anforderungen an den sittlichen In¬
halt der Menschen und den ethischen Gehalt der Staatsregierungen sind ge¬
stiegen, gerade weil die Gegenwart gezeigt hat, wie wenig männliche Würde und
Sittlichkeit in Wirklichkeit lebt. Wir haben keine Zeit mehr für Taschenspielereicn,
für die Affectation der Unwissenheit, das ironische Lachen der Armseligen ohne
Liebe und ohne Haß. Wir sind genöthigt stark zu hassen, wir wollen auch mit
ganzer Seele lieben können, was uns von unserer Nationalität geblieben ist,
und wer uus den Schatz, der uns noch blieb , gefährdet, der verdient bis zur
Vernichtung gehaßt zu werden. -- Hier aber schließen wir eine Reihe kurzer Be¬
merkungen mit dem guten Wunsche, daß die deutsche Sprache in dem neuen
Jahre von ihren schlechten Seyler befreit zu den Anfängen eines neuen Volks--
thitmlichen gelangen möge. In diesem WunscheM Alles enthalten, was wir beim
Beginn des neuen Jahres von den hohen Gewalten, die der Staubgeborenen
Leben regieren, sür unser Volk zu erflehen haben.




dem Style der Tageslectnre erduldet hatten; da lagen die Folgen schlechter Bil¬
dung, des flüchtigen, zerfahrenen, blasirten Geistes, der in unserem Leben geherrscht
hatte, auf einmal recht traurig zu Tage. Dem Jahr 48 ist der alte Bundestag,
die alte Herrschaft der Exclusiven erfolgt, das deutsche Leben schleicht wieder ein¬
förmig in den alten Gleisen dahin, und wieder taucht von allen Seiten im Ro¬
man und Feuilletonartikel, in jeder Art von Unterhaltungslecture, der alte, schlechte,
depravirende Styl auf.

Wir find gegenwärtig sehr reich an Manieren des, Styls. Da ist der
diplomatische Styl der Wilhelmstraße von Berlin (Usedom, Nadowitz) der glän¬
zende historische Spi (Ranke), der historische Lapidarstyl (Dahlmann, I. Grimm),
der philosophische Styl, der weibliche Nomaustyl, (insofern'der harmloseste, als
er kaum noch Styl genannt werden kann); der blühende Styl u. s. in. Keiner ist
so sehr ein Symptom der schleichenden Krankheit, welche an der ehrlichen und
gesunden Seele des Deutschen zehrt, als der geistreiche. — Dies Blatt hat in
den letzten Jahren häufig die Aufgabe gehabt, Krankheitsfälle des Völkergeistes
pathologisch zu behandeln. Die Politik der deutscheu Kabinette zu besprechen, wie
sie es verdient, ist jetzt unmöglich. Dafür wird es Raum geben, die Auswüchse
und Fehler unsrer Bildung in ihren neuesten Lebensäußerungen dnrch die Sprache
anzugreifen.

Die Zeit ist sehr ernst geworden, unsere Anforderungen an den sittlichen In¬
halt der Menschen und den ethischen Gehalt der Staatsregierungen sind ge¬
stiegen, gerade weil die Gegenwart gezeigt hat, wie wenig männliche Würde und
Sittlichkeit in Wirklichkeit lebt. Wir haben keine Zeit mehr für Taschenspielereicn,
für die Affectation der Unwissenheit, das ironische Lachen der Armseligen ohne
Liebe und ohne Haß. Wir sind genöthigt stark zu hassen, wir wollen auch mit
ganzer Seele lieben können, was uns von unserer Nationalität geblieben ist,
und wer uus den Schatz, der uns noch blieb , gefährdet, der verdient bis zur
Vernichtung gehaßt zu werden. — Hier aber schließen wir eine Reihe kurzer Be¬
merkungen mit dem guten Wunsche, daß die deutsche Sprache in dem neuen
Jahre von ihren schlechten Seyler befreit zu den Anfängen eines neuen Volks--
thitmlichen gelangen möge. In diesem WunscheM Alles enthalten, was wir beim
Beginn des neuen Jahres von den hohen Gewalten, die der Staubgeborenen
Leben regieren, sür unser Volk zu erflehen haben.




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[0018] dem Style der Tageslectnre erduldet hatten; da lagen die Folgen schlechter Bil¬ dung, des flüchtigen, zerfahrenen, blasirten Geistes, der in unserem Leben geherrscht hatte, auf einmal recht traurig zu Tage. Dem Jahr 48 ist der alte Bundestag, die alte Herrschaft der Exclusiven erfolgt, das deutsche Leben schleicht wieder ein¬ förmig in den alten Gleisen dahin, und wieder taucht von allen Seiten im Ro¬ man und Feuilletonartikel, in jeder Art von Unterhaltungslecture, der alte, schlechte, depravirende Styl auf. Wir find gegenwärtig sehr reich an Manieren des, Styls. Da ist der diplomatische Styl der Wilhelmstraße von Berlin (Usedom, Nadowitz) der glän¬ zende historische Spi (Ranke), der historische Lapidarstyl (Dahlmann, I. Grimm), der philosophische Styl, der weibliche Nomaustyl, (insofern'der harmloseste, als er kaum noch Styl genannt werden kann); der blühende Styl u. s. in. Keiner ist so sehr ein Symptom der schleichenden Krankheit, welche an der ehrlichen und gesunden Seele des Deutschen zehrt, als der geistreiche. — Dies Blatt hat in den letzten Jahren häufig die Aufgabe gehabt, Krankheitsfälle des Völkergeistes pathologisch zu behandeln. Die Politik der deutscheu Kabinette zu besprechen, wie sie es verdient, ist jetzt unmöglich. Dafür wird es Raum geben, die Auswüchse und Fehler unsrer Bildung in ihren neuesten Lebensäußerungen dnrch die Sprache anzugreifen. Die Zeit ist sehr ernst geworden, unsere Anforderungen an den sittlichen In¬ halt der Menschen und den ethischen Gehalt der Staatsregierungen sind ge¬ stiegen, gerade weil die Gegenwart gezeigt hat, wie wenig männliche Würde und Sittlichkeit in Wirklichkeit lebt. Wir haben keine Zeit mehr für Taschenspielereicn, für die Affectation der Unwissenheit, das ironische Lachen der Armseligen ohne Liebe und ohne Haß. Wir sind genöthigt stark zu hassen, wir wollen auch mit ganzer Seele lieben können, was uns von unserer Nationalität geblieben ist, und wer uus den Schatz, der uns noch blieb , gefährdet, der verdient bis zur Vernichtung gehaßt zu werden. — Hier aber schließen wir eine Reihe kurzer Be¬ merkungen mit dem guten Wunsche, daß die deutsche Sprache in dem neuen Jahre von ihren schlechten Seyler befreit zu den Anfängen eines neuen Volks-- thitmlichen gelangen möge. In diesem WunscheM Alles enthalten, was wir beim Beginn des neuen Jahres von den hohen Gewalten, die der Staubgeborenen Leben regieren, sür unser Volk zu erflehen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/18>, abgerufen am 22.07.2024.