Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einzige Grund des Mißfallens gegen seine Söhne ist der, daß er ihnen ein Jahr¬
gehalt hat aussetzen müssen. Einen andern Sohn bestiehlt er um sein Gut.
Nebenbei erfahren wir, daß er seine Frau und Tochter von Zeit zu Zeit in einen
unterirdischen feuchte" Kerker wirft, wo Schlangen und Ratten Hausen, und sie
zwingt, schmuziges Wasser zu trinken und faules Fleisch zu essen, auch ohne einen
andern Grund, als daß es ihm Vergnügen macht. Die Phantasie stumpft ab
über allen diesen Greuelthaten, die er wirklich ausgeführt hat, aber sie sind noch
nichts gegen das Raffinement seines Witzes in der Erfindung von Flüchen. Diese
sind so entsetzlich, daß sie unmittelbar ans Lächerliche streifen, und dabei hat er
die Ueberzeugung, daß sie alle in Erfüllung gehen werden, daß Gott gewisser¬
maßen die Verpflichtung habe, ihm in seinen Verwünschungen beizustehen, obgleich
er auch zuweilen gegen Gott blasphemirt und sich an den Teufel wendet. Von
einem Gewissen ist bei ihm keine Spur; es giebt ihm im Gegentheil viel Be¬
ruhigung, sobald er eine neue Unthat ausgeübt hat. Nur vor einem Verbrechen
hat er eine gewisse Scheu, obgleich er es mit großer Hartnäckigkeit ausführt:
das ist die Gewaltthat an seiner Tochter. Auch dazu bestimmt ihn nicht blos
die sinnliche Lust, sondern eine gewisse Bosheit. Er will sie vor den Augen der
Menschen entehren und sie der öffentlichen Schande preisgeben, und zugleich
ihre Seele verderben, damit sie in die Hölle kommt.

Neben diese interessante Persönlichkeit tritt eine zweite, ein Geistlicher, der
mir Beatricen in einem Liebesverhältniß steht, aber im Grunde eben so schänd¬
lich an ihr handelt, als ihr Vater. Um sich der Güter des alten Cenci zu be¬
mächtigen, reizt er dessen Kinder durch eine sehr raffinirte Verführung ^) zum Morde.
Wozu dieser Charakter eigentlich da ist, ist nicht recht zu ersehen.

Die meisten Intentionen hat der Dichter in den Charakter der Beatrice ge¬
legt. Ihre schwächlichen Brüder und ihre schwächliche Stiefmutter sind blos zur
Folie da. Aber dieser Charakter wird uns eigentlich am allerwenigsten klar.
Das Entsetzen vor der Absicht ihres Vaters ist sehr poetisch ausgemalt, und daß
in einer entschlossenen und leidenschaftlichen Natur der Gedanke der Rache auf¬
keimen und alle sittlichen Bedenken zurückdrängen muß, wird uns auch vollkom-
men verständlich gemacht. Aber hier schon ist ein Moment, das uns ver¬
wirrt. Beatrice will zuerst, um den Angriffen ihres Vaters zu entgehen, nachher,
weil sie entehrt ist, sich den Tod geben; sie unterläßt den Selbstmord ans reli¬
giöse" Gewisseusscrupelu. Wie man sich aus allen diesen Vorstellungen das Bild



>>> kort-nnatol^ servos vloso clesiKn"
llial, 'l,is a I-viole c>l' Uns fünf tamilz'
',>'" analvse Uioir own an6, ol-Kor unreif.
Lnoli so!t' -- amal.omx snail toao!" l.Ko vviU
OanAorous svvre^s: lor U kompt" our no.ovvi",
XnowinK vvnat must de tUougn^ "nöt max Kv ctvnv,
Ittlo Anz ÜLpUi ok ÄarKvsl. uurz"o"of.
")

einzige Grund des Mißfallens gegen seine Söhne ist der, daß er ihnen ein Jahr¬
gehalt hat aussetzen müssen. Einen andern Sohn bestiehlt er um sein Gut.
Nebenbei erfahren wir, daß er seine Frau und Tochter von Zeit zu Zeit in einen
unterirdischen feuchte» Kerker wirft, wo Schlangen und Ratten Hausen, und sie
zwingt, schmuziges Wasser zu trinken und faules Fleisch zu essen, auch ohne einen
andern Grund, als daß es ihm Vergnügen macht. Die Phantasie stumpft ab
über allen diesen Greuelthaten, die er wirklich ausgeführt hat, aber sie sind noch
nichts gegen das Raffinement seines Witzes in der Erfindung von Flüchen. Diese
sind so entsetzlich, daß sie unmittelbar ans Lächerliche streifen, und dabei hat er
die Ueberzeugung, daß sie alle in Erfüllung gehen werden, daß Gott gewisser¬
maßen die Verpflichtung habe, ihm in seinen Verwünschungen beizustehen, obgleich
er auch zuweilen gegen Gott blasphemirt und sich an den Teufel wendet. Von
einem Gewissen ist bei ihm keine Spur; es giebt ihm im Gegentheil viel Be¬
ruhigung, sobald er eine neue Unthat ausgeübt hat. Nur vor einem Verbrechen
hat er eine gewisse Scheu, obgleich er es mit großer Hartnäckigkeit ausführt:
das ist die Gewaltthat an seiner Tochter. Auch dazu bestimmt ihn nicht blos
die sinnliche Lust, sondern eine gewisse Bosheit. Er will sie vor den Augen der
Menschen entehren und sie der öffentlichen Schande preisgeben, und zugleich
ihre Seele verderben, damit sie in die Hölle kommt.

Neben diese interessante Persönlichkeit tritt eine zweite, ein Geistlicher, der
mir Beatricen in einem Liebesverhältniß steht, aber im Grunde eben so schänd¬
lich an ihr handelt, als ihr Vater. Um sich der Güter des alten Cenci zu be¬
mächtigen, reizt er dessen Kinder durch eine sehr raffinirte Verführung ^) zum Morde.
Wozu dieser Charakter eigentlich da ist, ist nicht recht zu ersehen.

Die meisten Intentionen hat der Dichter in den Charakter der Beatrice ge¬
legt. Ihre schwächlichen Brüder und ihre schwächliche Stiefmutter sind blos zur
Folie da. Aber dieser Charakter wird uns eigentlich am allerwenigsten klar.
Das Entsetzen vor der Absicht ihres Vaters ist sehr poetisch ausgemalt, und daß
in einer entschlossenen und leidenschaftlichen Natur der Gedanke der Rache auf¬
keimen und alle sittlichen Bedenken zurückdrängen muß, wird uns auch vollkom-
men verständlich gemacht. Aber hier schon ist ein Moment, das uns ver¬
wirrt. Beatrice will zuerst, um den Angriffen ihres Vaters zu entgehen, nachher,
weil sie entehrt ist, sich den Tod geben; sie unterläßt den Selbstmord ans reli¬
giöse« Gewisseusscrupelu. Wie man sich aus allen diesen Vorstellungen das Bild



>>> kort-nnatol^ servos vloso clesiKn»
llial, 'l,is a I-viole c>l' Uns fünf tamilz'
',>'» analvse Uioir own an6, ol-Kor unreif.
Lnoli so!t' — amal.omx snail toao!» l.Ko vviU
OanAorous svvre^s: lor U kompt» our no.ovvi«,
XnowinK vvnat must de tUougn^ »nöt max Kv ctvnv,
Ittlo Anz ÜLpUi ok ÄarKvsl. uurz»o«of.
»)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93539"/>
          <p xml:id="ID_489" prev="#ID_488"> einzige Grund des Mißfallens gegen seine Söhne ist der, daß er ihnen ein Jahr¬<lb/>
gehalt hat aussetzen müssen. Einen andern Sohn bestiehlt er um sein Gut.<lb/>
Nebenbei erfahren wir, daß er seine Frau und Tochter von Zeit zu Zeit in einen<lb/>
unterirdischen feuchte» Kerker wirft, wo Schlangen und Ratten Hausen, und sie<lb/>
zwingt, schmuziges Wasser zu trinken und faules Fleisch zu essen, auch ohne einen<lb/>
andern Grund, als daß es ihm Vergnügen macht. Die Phantasie stumpft ab<lb/>
über allen diesen Greuelthaten, die er wirklich ausgeführt hat, aber sie sind noch<lb/>
nichts gegen das Raffinement seines Witzes in der Erfindung von Flüchen. Diese<lb/>
sind so entsetzlich, daß sie unmittelbar ans Lächerliche streifen, und dabei hat er<lb/>
die Ueberzeugung, daß sie alle in Erfüllung gehen werden, daß Gott gewisser¬<lb/>
maßen die Verpflichtung habe, ihm in seinen Verwünschungen beizustehen, obgleich<lb/>
er auch zuweilen gegen Gott blasphemirt und sich an den Teufel wendet. Von<lb/>
einem Gewissen ist bei ihm keine Spur; es giebt ihm im Gegentheil viel Be¬<lb/>
ruhigung, sobald er eine neue Unthat ausgeübt hat. Nur vor einem Verbrechen<lb/>
hat er eine gewisse Scheu, obgleich er es mit großer Hartnäckigkeit ausführt:<lb/>
das ist die Gewaltthat an seiner Tochter. Auch dazu bestimmt ihn nicht blos<lb/>
die sinnliche Lust, sondern eine gewisse Bosheit. Er will sie vor den Augen der<lb/>
Menschen entehren und sie der öffentlichen Schande preisgeben, und zugleich<lb/>
ihre Seele verderben, damit sie in die Hölle kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_490"> Neben diese interessante Persönlichkeit tritt eine zweite, ein Geistlicher, der<lb/>
mir Beatricen in einem Liebesverhältniß steht, aber im Grunde eben so schänd¬<lb/>
lich an ihr handelt, als ihr Vater. Um sich der Güter des alten Cenci zu be¬<lb/>
mächtigen, reizt er dessen Kinder durch eine sehr raffinirte Verführung ^) zum Morde.<lb/>
Wozu dieser Charakter eigentlich da ist, ist nicht recht zu ersehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_491" next="#ID_492"> Die meisten Intentionen hat der Dichter in den Charakter der Beatrice ge¬<lb/>
legt. Ihre schwächlichen Brüder und ihre schwächliche Stiefmutter sind blos zur<lb/>
Folie da. Aber dieser Charakter wird uns eigentlich am allerwenigsten klar.<lb/>
Das Entsetzen vor der Absicht ihres Vaters ist sehr poetisch ausgemalt, und daß<lb/>
in einer entschlossenen und leidenschaftlichen Natur der Gedanke der Rache auf¬<lb/>
keimen und alle sittlichen Bedenken zurückdrängen muß, wird uns auch vollkom-<lb/>
men verständlich gemacht. Aber hier schon ist ein Moment, das uns ver¬<lb/>
wirrt. Beatrice will zuerst, um den Angriffen ihres Vaters zu entgehen, nachher,<lb/>
weil sie entehrt ist, sich den Tod geben; sie unterläßt den Selbstmord ans reli¬<lb/>
giöse« Gewisseusscrupelu.  Wie man sich aus allen diesen Vorstellungen das Bild</p><lb/>
          <note xml:id="FID_13" place="foot"><quote><lg xml:id="POEMID_1" type="poem"><l> &gt;&gt;&gt; kort-nnatol^ servos    vloso clesiKn»<lb/>
llial, 'l,is a I-viole c&gt;l' Uns fünf tamilz'<lb/>
',&gt;'» analvse Uioir own an6, ol-Kor unreif.<lb/>
Lnoli so!t' &#x2014; amal.omx snail toao!» l.Ko vviU<lb/>
OanAorous svvre^s: lor U kompt» our no.ovvi«,<lb/>
XnowinK vvnat must de tUougn^ »nöt max Kv ctvnv,<lb/>
Ittlo Anz ÜLpUi ok ÄarKvsl. uurz»o«of.</l></lg></quote> ») </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] einzige Grund des Mißfallens gegen seine Söhne ist der, daß er ihnen ein Jahr¬ gehalt hat aussetzen müssen. Einen andern Sohn bestiehlt er um sein Gut. Nebenbei erfahren wir, daß er seine Frau und Tochter von Zeit zu Zeit in einen unterirdischen feuchte» Kerker wirft, wo Schlangen und Ratten Hausen, und sie zwingt, schmuziges Wasser zu trinken und faules Fleisch zu essen, auch ohne einen andern Grund, als daß es ihm Vergnügen macht. Die Phantasie stumpft ab über allen diesen Greuelthaten, die er wirklich ausgeführt hat, aber sie sind noch nichts gegen das Raffinement seines Witzes in der Erfindung von Flüchen. Diese sind so entsetzlich, daß sie unmittelbar ans Lächerliche streifen, und dabei hat er die Ueberzeugung, daß sie alle in Erfüllung gehen werden, daß Gott gewisser¬ maßen die Verpflichtung habe, ihm in seinen Verwünschungen beizustehen, obgleich er auch zuweilen gegen Gott blasphemirt und sich an den Teufel wendet. Von einem Gewissen ist bei ihm keine Spur; es giebt ihm im Gegentheil viel Be¬ ruhigung, sobald er eine neue Unthat ausgeübt hat. Nur vor einem Verbrechen hat er eine gewisse Scheu, obgleich er es mit großer Hartnäckigkeit ausführt: das ist die Gewaltthat an seiner Tochter. Auch dazu bestimmt ihn nicht blos die sinnliche Lust, sondern eine gewisse Bosheit. Er will sie vor den Augen der Menschen entehren und sie der öffentlichen Schande preisgeben, und zugleich ihre Seele verderben, damit sie in die Hölle kommt. Neben diese interessante Persönlichkeit tritt eine zweite, ein Geistlicher, der mir Beatricen in einem Liebesverhältniß steht, aber im Grunde eben so schänd¬ lich an ihr handelt, als ihr Vater. Um sich der Güter des alten Cenci zu be¬ mächtigen, reizt er dessen Kinder durch eine sehr raffinirte Verführung ^) zum Morde. Wozu dieser Charakter eigentlich da ist, ist nicht recht zu ersehen. Die meisten Intentionen hat der Dichter in den Charakter der Beatrice ge¬ legt. Ihre schwächlichen Brüder und ihre schwächliche Stiefmutter sind blos zur Folie da. Aber dieser Charakter wird uns eigentlich am allerwenigsten klar. Das Entsetzen vor der Absicht ihres Vaters ist sehr poetisch ausgemalt, und daß in einer entschlossenen und leidenschaftlichen Natur der Gedanke der Rache auf¬ keimen und alle sittlichen Bedenken zurückdrängen muß, wird uns auch vollkom- men verständlich gemacht. Aber hier schon ist ein Moment, das uns ver¬ wirrt. Beatrice will zuerst, um den Angriffen ihres Vaters zu entgehen, nachher, weil sie entehrt ist, sich den Tod geben; sie unterläßt den Selbstmord ans reli¬ giöse« Gewisseusscrupelu. Wie man sich aus allen diesen Vorstellungen das Bild >>> kort-nnatol^ servos vloso clesiKn» llial, 'l,is a I-viole c>l' Uns fünf tamilz' ',>'» analvse Uioir own an6, ol-Kor unreif. Lnoli so!t' — amal.omx snail toao!» l.Ko vviU OanAorous svvre^s: lor U kompt» our no.ovvi«, XnowinK vvnat must de tUougn^ »nöt max Kv ctvnv, Ittlo Anz ÜLpUi ok ÄarKvsl. uurz»o«of. »)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/174>, abgerufen am 22.07.2024.