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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Schritt geschehen, den Sinn für Recht und Gesetz im Volke selbst lebendig zu erhal¬
ten und ihm Zutrauu und Anhänglichkeit an seine rechtlichen Institutionen zu geben.
Daß die Politik des Ministeriums in anderer Beziehung nachtheilig auf das Rechts-
gefühl der Staatsbürger einwirkte, beschränkte leider die segensreichen Wirkungen
dieses Theils der neuen Gesetzgebung, und deshalb ist der Eindruck, welchen das preu-
ßische Staatsleben gegenwärtig macht, noch weit entfernt befriedigend zu sein. Aber
in anderen großen Staaten, welche die Revolutionen durchmachten, sind noch
größere Uebelstände in weit höherem Grade, die guten Reformen aber, welche
dieselben wenigstens zum Theil aufheben, sehr spärlich oder gar nicht vorhanden.
Wenn es erlaubt ist, die Persönlichkeit eines Staates mit der eines einzelnen
Menschen zu vergleichen, so hat Preußen sich in deu letzten Jahren dargestellt
als eine junge, sehr sanguinische Persönlichkeit von Intelligenz und einem tüch¬
tigen Fond, aber unerfahren im selbstständigen Handeln, eigenwillig, unartig,
durch viele Lecture und uugewählteö Aufnehmen massenhafter Eindrücke blasirt.
Es machte große Ansprüche und ließ sich, wo es Widerstand fand, zurückweisen.
Es entwarf schnell Pläne und verlor Lust und Kraft, sie auszuführen. Es ver¬
focht hitzig sein Recht in Kleinigkeiten und g-ab wie eine Kleinigkeit auf, was sein
bestes Recht war, es ergriff mit Verstand und verarbeitete mit Leichtigkeit und
fand für jede Ansicht die besten Gründe, die scharfsinnigsten Sophismen, aber es
hatte nicht die Energie, einfach und bestimmt Etwas zu wollen. Es hatte das
ungemüthlichste Aussehen von der Welt und geberdete sich höchst absprechend, alt¬
klug und renommistisch und erwies im Grunde seines Herzens große Sentimen¬
talität und eine merkwürdige Masse von einfachen, hausbackenen Gefühlen, von
Pietät, ja auch von Spießbürgerlichkeit. Es war keine liebenswürdige Persön¬
lichkeit, und wer mit ihr zu thun hatte, fand le.icht Gelegenheit, sich über sie
zu ärgern, ja wohl auch über sie zu lachen. Wer sie adeo genan kennt, der
weiß auch, daß hinter allem Unangenehmen der Erscheinung eine behende, ge¬
scheute und gewissenhafte Seele sitzt, welche rastlos bemüht ist, an sich selbst zu
arbeiten und welche mit klugen Augen die Welt beurtheilt, die zu gewinnen grade
ihr so schwer wird. Es ist ein geistvolles und in seinem Grunde gutes Wesen,
und seine Stellung in der Welt ist von der Art, daß es sich zu der allertüchtig-
sten männlichsten Kraft durcharbeiten muß, wenn es nicht untergehen will. Die¬
ses sicherlich nicht geschmeichelte Portrait, welches in der Empfindung der übrigen
Deutschen allmälig so geworden ist, hat seine Züge zum Theil von der Negie¬
rung, zum Theil durch das Volk erhalte", daß beide dazu beitragen, ein Bild
zu geben, und zwar ein sehr markirtes, ist selbst ein Vorzug, welchen Preußen
z. B. vor Oestreich voraus hat. Dort ist die Regierung alles, sie schafft, er¬
hält, sie ist der Staat. In Preußen wäre schon gegenwärtig eine Negierung
unmöglich, welche uicht durch die Sympathieen einer großen politischen Partei
mit bestimmten gemüthlichen und praktischen Interessen getragen würde.


Schritt geschehen, den Sinn für Recht und Gesetz im Volke selbst lebendig zu erhal¬
ten und ihm Zutrauu und Anhänglichkeit an seine rechtlichen Institutionen zu geben.
Daß die Politik des Ministeriums in anderer Beziehung nachtheilig auf das Rechts-
gefühl der Staatsbürger einwirkte, beschränkte leider die segensreichen Wirkungen
dieses Theils der neuen Gesetzgebung, und deshalb ist der Eindruck, welchen das preu-
ßische Staatsleben gegenwärtig macht, noch weit entfernt befriedigend zu sein. Aber
in anderen großen Staaten, welche die Revolutionen durchmachten, sind noch
größere Uebelstände in weit höherem Grade, die guten Reformen aber, welche
dieselben wenigstens zum Theil aufheben, sehr spärlich oder gar nicht vorhanden.
Wenn es erlaubt ist, die Persönlichkeit eines Staates mit der eines einzelnen
Menschen zu vergleichen, so hat Preußen sich in deu letzten Jahren dargestellt
als eine junge, sehr sanguinische Persönlichkeit von Intelligenz und einem tüch¬
tigen Fond, aber unerfahren im selbstständigen Handeln, eigenwillig, unartig,
durch viele Lecture und uugewählteö Aufnehmen massenhafter Eindrücke blasirt.
Es machte große Ansprüche und ließ sich, wo es Widerstand fand, zurückweisen.
Es entwarf schnell Pläne und verlor Lust und Kraft, sie auszuführen. Es ver¬
focht hitzig sein Recht in Kleinigkeiten und g-ab wie eine Kleinigkeit auf, was sein
bestes Recht war, es ergriff mit Verstand und verarbeitete mit Leichtigkeit und
fand für jede Ansicht die besten Gründe, die scharfsinnigsten Sophismen, aber es
hatte nicht die Energie, einfach und bestimmt Etwas zu wollen. Es hatte das
ungemüthlichste Aussehen von der Welt und geberdete sich höchst absprechend, alt¬
klug und renommistisch und erwies im Grunde seines Herzens große Sentimen¬
talität und eine merkwürdige Masse von einfachen, hausbackenen Gefühlen, von
Pietät, ja auch von Spießbürgerlichkeit. Es war keine liebenswürdige Persön¬
lichkeit, und wer mit ihr zu thun hatte, fand le.icht Gelegenheit, sich über sie
zu ärgern, ja wohl auch über sie zu lachen. Wer sie adeo genan kennt, der
weiß auch, daß hinter allem Unangenehmen der Erscheinung eine behende, ge¬
scheute und gewissenhafte Seele sitzt, welche rastlos bemüht ist, an sich selbst zu
arbeiten und welche mit klugen Augen die Welt beurtheilt, die zu gewinnen grade
ihr so schwer wird. Es ist ein geistvolles und in seinem Grunde gutes Wesen,
und seine Stellung in der Welt ist von der Art, daß es sich zu der allertüchtig-
sten männlichsten Kraft durcharbeiten muß, wenn es nicht untergehen will. Die¬
ses sicherlich nicht geschmeichelte Portrait, welches in der Empfindung der übrigen
Deutschen allmälig so geworden ist, hat seine Züge zum Theil von der Negie¬
rung, zum Theil durch das Volk erhalte», daß beide dazu beitragen, ein Bild
zu geben, und zwar ein sehr markirtes, ist selbst ein Vorzug, welchen Preußen
z. B. vor Oestreich voraus hat. Dort ist die Regierung alles, sie schafft, er¬
hält, sie ist der Staat. In Preußen wäre schon gegenwärtig eine Negierung
unmöglich, welche uicht durch die Sympathieen einer großen politischen Partei
mit bestimmten gemüthlichen und praktischen Interessen getragen würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/132>, abgerufen am 22.07.2024.