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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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flüchtete ich in ein Hotel, und bestellte ein Cabriolet ans den andern Tag zur
Fahrt nach Vaucluse, worauf ich wieder an die Rhone zurück wollte. Aber in
diesen schmalen, krummen und winkeligen Gassen hatte ich den Weg bald verloren.
Ein gefälliger Bewohner von Avignon, der mich zurechtwies, entschuldigte diese
Bauart seiner Vaterstadt mit der Nothwendigkeit, die heftigen Winde abzufangen,
die die Schattenseitewes hiesigen Klima's bilden, ohne die aber das Land ungesund
sein würde, weil sie die Feuchtigkeit des Bodens austrocknen.*)

Hart über dem Flußufer erhebt sich ein Kalkfelsen von ungeheurer Ausdeh-
nung; auf ihm ist die Kathedrale, ein Theil der Stadt und der Palast gebaut,
wo 1309 bis 1378 die Päpste und dann ihre Vicelegaten residirten. Das weit¬
läufige, durch seine Masse imponirende Gebände schließen Maltern ein, die mit
Zinnen gekrönt und mit Thürmen besetzt sind, und so gleicht es eher einer Festung
aus der Zeit der mittelalterlichen Feudalkriege, als der Residenz der Stellvertreter
Gottes auf Erden. Der Anblick des Innern ist kein anziehender: die ungeheu¬
ren gothisch gewölbten Zimmer mit hohen Bogenfenstern sind in der Revolution jedes
bildlichen Schmuckes beraubt worden, bis auf einige Neste vou Fresken, die Giotto
zugeschrieben werden; man hat sie einfach geweißt, und jetzt dienen sie der Garnison
von Avignon zum Aufenthalt. Das lärmende Getreibe von 1600 Soldaten machte
ein längeres Verweilen nicht angenehm, anch hoffte ich vergebens ans das Er¬
scheinen des gespenstischen alten Weibes, das Boz bei seinem Besuche von Avig¬
non hier umherführte; ich erklärte bald, genng gesehen zu haben, und stieg auf
die Plateforme an der Kathedrale, von wo man eine weite herrliche Aussicht über
die Stadt, den Fluß und das Nhvnethal, im Osten bis an die Alpen, im Westen
bis an die Cevennen hat. So kalt in Lyon der Morgen gewesen war, so warm
war hier der Abend, noch als die Sonne längst hinter den gegenüberliegenden
Bergen versunken war. Die fast vollkommene Scheibe des Mondes stieg röthlichgelb
am Westhimmel herauf, und die Gegend lag in seinem kalten, silbernen Licht, über
das Hügel und Gebäude ihre scharfe" schwarzen Schatten warfen; die Fenster
des Palastes flimmerten in seinen Strahlen. Alles war still bis ans das schrille
Gepiep der Grillen in den Rüschen umher und das leise Rauschen des Stroms,
das aus der Tiefe herausdrang. In dieser feierlichen Stille stiegen mir Erin¬
nerungen an die Vergangenheit auf, die im Palast die wüste Casernenwirthschaft>
zurückgedrängt hatte. Was haben diese Mauern alles gesehen! Welche Leiden¬
schaften haben hier gewüthet, welche Verbreche" sind hier verübt worden! Den
Unthaten des sittenlosen päpstlichen Hofes, den Greueln der Inquisition, der
Mordnacht vom 16. October 1791 hat diese Stelle als Schauplatz gedient, über
die nun eine so feierliche Ruhe gebreitet war. --



Man hat auf diese klimatische Eigenthümlichkeit Avignons ein altes Sprichwort:
^oculo vsnwsa, sine vonto VLnenosk, oum polli-o lasUcliosa.

flüchtete ich in ein Hotel, und bestellte ein Cabriolet ans den andern Tag zur
Fahrt nach Vaucluse, worauf ich wieder an die Rhone zurück wollte. Aber in
diesen schmalen, krummen und winkeligen Gassen hatte ich den Weg bald verloren.
Ein gefälliger Bewohner von Avignon, der mich zurechtwies, entschuldigte diese
Bauart seiner Vaterstadt mit der Nothwendigkeit, die heftigen Winde abzufangen,
die die Schattenseitewes hiesigen Klima's bilden, ohne die aber das Land ungesund
sein würde, weil sie die Feuchtigkeit des Bodens austrocknen.*)

Hart über dem Flußufer erhebt sich ein Kalkfelsen von ungeheurer Ausdeh-
nung; auf ihm ist die Kathedrale, ein Theil der Stadt und der Palast gebaut,
wo 1309 bis 1378 die Päpste und dann ihre Vicelegaten residirten. Das weit¬
läufige, durch seine Masse imponirende Gebände schließen Maltern ein, die mit
Zinnen gekrönt und mit Thürmen besetzt sind, und so gleicht es eher einer Festung
aus der Zeit der mittelalterlichen Feudalkriege, als der Residenz der Stellvertreter
Gottes auf Erden. Der Anblick des Innern ist kein anziehender: die ungeheu¬
ren gothisch gewölbten Zimmer mit hohen Bogenfenstern sind in der Revolution jedes
bildlichen Schmuckes beraubt worden, bis auf einige Neste vou Fresken, die Giotto
zugeschrieben werden; man hat sie einfach geweißt, und jetzt dienen sie der Garnison
von Avignon zum Aufenthalt. Das lärmende Getreibe von 1600 Soldaten machte
ein längeres Verweilen nicht angenehm, anch hoffte ich vergebens ans das Er¬
scheinen des gespenstischen alten Weibes, das Boz bei seinem Besuche von Avig¬
non hier umherführte; ich erklärte bald, genng gesehen zu haben, und stieg auf
die Plateforme an der Kathedrale, von wo man eine weite herrliche Aussicht über
die Stadt, den Fluß und das Nhvnethal, im Osten bis an die Alpen, im Westen
bis an die Cevennen hat. So kalt in Lyon der Morgen gewesen war, so warm
war hier der Abend, noch als die Sonne längst hinter den gegenüberliegenden
Bergen versunken war. Die fast vollkommene Scheibe des Mondes stieg röthlichgelb
am Westhimmel herauf, und die Gegend lag in seinem kalten, silbernen Licht, über
das Hügel und Gebäude ihre scharfe» schwarzen Schatten warfen; die Fenster
des Palastes flimmerten in seinen Strahlen. Alles war still bis ans das schrille
Gepiep der Grillen in den Rüschen umher und das leise Rauschen des Stroms,
das aus der Tiefe herausdrang. In dieser feierlichen Stille stiegen mir Erin¬
nerungen an die Vergangenheit auf, die im Palast die wüste Casernenwirthschaft>
zurückgedrängt hatte. Was haben diese Mauern alles gesehen! Welche Leiden¬
schaften haben hier gewüthet, welche Verbreche« sind hier verübt worden! Den
Unthaten des sittenlosen päpstlichen Hofes, den Greueln der Inquisition, der
Mordnacht vom 16. October 1791 hat diese Stelle als Schauplatz gedient, über
die nun eine so feierliche Ruhe gebreitet war. —



Man hat auf diese klimatische Eigenthümlichkeit Avignons ein altes Sprichwort:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/120>, abgerufen am 22.07.2024.