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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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und deren Auslegung oder vielmehr Anwendung, wie dieselbe durch die
landesherrlichen Verkündigungen vom 7. und 11. März dieses Jahres festgestellt
ist. "Solche sollen sich nun wohl nicht in Hessen finden, welche
wieder ""rückwärts"" wollten; denn das wäre geradezu der Ge¬
setzlosigkeit in die Hände gearbeitet." Wir enthalten uns aller Be¬
trachtungen, zu denen diese Stelle auffordert, und bemerken nnr noch, daß
selbst im Jahr 1849 die im "Volksfreund" erschallende Aufforderung zur Stif¬
tung eines kurhessischeu Treubuudes erfolglos blieb, und erst am Schlüsse des
folgenden Jahres unter den bereits angedeuteten Verhältnissen zur Verwirklichung
gelaugte. Wahrhaft lächerlich ist es daher, wenn unsere "Getreuen," sich den
Anschein und die Miene des Martyriums und der heldenmütigsten Resignation
geben. Deun sich an den Siegeswagen der rothen Reaction hängen, heißt doch
wahrlich nicht "gegen deu Strom schwimmen!"

So stellt sich denn unser Treubund, obwohl dem Namen nach nur dem Kur¬
fürsten huldigend, recht eigentlich als eine Stütze und Krücke des Ministeriums
Hassenpflug dar. Wie der Chor der alten Tragödie das ideale Publieum, so
will der Treubund das hessische "Volk" repräsentiren, da man nun einmal in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anständiger Weise nicht ohne "Volks¬
repräsentation" regieren kann. In der That enthält schon der Volksfreund vom
28. Nov. 1851 die "demüthige," aber auch alberne Erklärung eines Treubüud-
lers: "Nur die können wir allein noch als zu unserm Volke gehörig
ansehen, welche in ihrem innersten Herzen mit uns eine Gesinnung, eine An¬
schauung, einen Willen hegen. -- Das alte Volk der Hessen hat aufgehört zu
sein, seitdem das Gericht Gottes über dasselbe hingegangen ist." Der Kurfürst
selbst aber ist vom Minister alsbald veranlaßt worden, durch eine sehr huldvolle
Zuschrift dem Treubund die "eigentliche Weihe" zu ertheilen. Zunächst bildet
der Treubund ein Heer von Freiwilligen, welches erklärtermaßen die Ausfüh¬
rung der von allen höhern Gerichten des Landes für verfassungswidrig erklärten
Ausnahmsgesetze sichern will.

Während aber an dem preußischen Treubund Adel und Officierstaud am
eifrigsten sich betheiligt haben, zählt der hessische Treubund nnr sehr wenige
Adelige und keinen einzigen Officier zu seinen Mitgliedern. Auch die Betheili-
gung der Verwaltungsbeamten und des höhern und niedern Nichterpersonals hat
nur sehr sporadisch stattgefunden; doch muß selbst diese geringe Betheiligung der
Richter insofern Befremden erregen, als einerseits ihre amtliche Stellung gerade
deu Ausnahmsgesetzen gegenüber die höchste Unbefangenheit erheischt, andrerseits
ihr Beitritt, und zwar ohne alle Verwahrung und erläuternde Erklärung, gerade
zu einer Zeit erfolgte, wo viele ihrer ehrenwerthesten Kollegen durch Gewalt, die
sich an die Stelle des Rechts setzte, ans den Aemtern vertrieben wurden. Den
Kern unseres Treubundheeres bildet eine Schaar orthodoxer Geistlichen, welche


und deren Auslegung oder vielmehr Anwendung, wie dieselbe durch die
landesherrlichen Verkündigungen vom 7. und 11. März dieses Jahres festgestellt
ist. „Solche sollen sich nun wohl nicht in Hessen finden, welche
wieder „„rückwärts"" wollten; denn das wäre geradezu der Ge¬
setzlosigkeit in die Hände gearbeitet." Wir enthalten uns aller Be¬
trachtungen, zu denen diese Stelle auffordert, und bemerken nnr noch, daß
selbst im Jahr 1849 die im „Volksfreund" erschallende Aufforderung zur Stif¬
tung eines kurhessischeu Treubuudes erfolglos blieb, und erst am Schlüsse des
folgenden Jahres unter den bereits angedeuteten Verhältnissen zur Verwirklichung
gelaugte. Wahrhaft lächerlich ist es daher, wenn unsere „Getreuen," sich den
Anschein und die Miene des Martyriums und der heldenmütigsten Resignation
geben. Deun sich an den Siegeswagen der rothen Reaction hängen, heißt doch
wahrlich nicht „gegen deu Strom schwimmen!"

So stellt sich denn unser Treubund, obwohl dem Namen nach nur dem Kur¬
fürsten huldigend, recht eigentlich als eine Stütze und Krücke des Ministeriums
Hassenpflug dar. Wie der Chor der alten Tragödie das ideale Publieum, so
will der Treubund das hessische „Volk" repräsentiren, da man nun einmal in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anständiger Weise nicht ohne „Volks¬
repräsentation" regieren kann. In der That enthält schon der Volksfreund vom
28. Nov. 1851 die „demüthige," aber auch alberne Erklärung eines Treubüud-
lers: „Nur die können wir allein noch als zu unserm Volke gehörig
ansehen, welche in ihrem innersten Herzen mit uns eine Gesinnung, eine An¬
schauung, einen Willen hegen. — Das alte Volk der Hessen hat aufgehört zu
sein, seitdem das Gericht Gottes über dasselbe hingegangen ist." Der Kurfürst
selbst aber ist vom Minister alsbald veranlaßt worden, durch eine sehr huldvolle
Zuschrift dem Treubund die „eigentliche Weihe" zu ertheilen. Zunächst bildet
der Treubund ein Heer von Freiwilligen, welches erklärtermaßen die Ausfüh¬
rung der von allen höhern Gerichten des Landes für verfassungswidrig erklärten
Ausnahmsgesetze sichern will.

Während aber an dem preußischen Treubund Adel und Officierstaud am
eifrigsten sich betheiligt haben, zählt der hessische Treubund nnr sehr wenige
Adelige und keinen einzigen Officier zu seinen Mitgliedern. Auch die Betheili-
gung der Verwaltungsbeamten und des höhern und niedern Nichterpersonals hat
nur sehr sporadisch stattgefunden; doch muß selbst diese geringe Betheiligung der
Richter insofern Befremden erregen, als einerseits ihre amtliche Stellung gerade
deu Ausnahmsgesetzen gegenüber die höchste Unbefangenheit erheischt, andrerseits
ihr Beitritt, und zwar ohne alle Verwahrung und erläuternde Erklärung, gerade
zu einer Zeit erfolgte, wo viele ihrer ehrenwerthesten Kollegen durch Gewalt, die
sich an die Stelle des Rechts setzte, ans den Aemtern vertrieben wurden. Den
Kern unseres Treubundheeres bildet eine Schaar orthodoxer Geistlichen, welche


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[0356] und deren Auslegung oder vielmehr Anwendung, wie dieselbe durch die landesherrlichen Verkündigungen vom 7. und 11. März dieses Jahres festgestellt ist. „Solche sollen sich nun wohl nicht in Hessen finden, welche wieder „„rückwärts"" wollten; denn das wäre geradezu der Ge¬ setzlosigkeit in die Hände gearbeitet." Wir enthalten uns aller Be¬ trachtungen, zu denen diese Stelle auffordert, und bemerken nnr noch, daß selbst im Jahr 1849 die im „Volksfreund" erschallende Aufforderung zur Stif¬ tung eines kurhessischeu Treubuudes erfolglos blieb, und erst am Schlüsse des folgenden Jahres unter den bereits angedeuteten Verhältnissen zur Verwirklichung gelaugte. Wahrhaft lächerlich ist es daher, wenn unsere „Getreuen," sich den Anschein und die Miene des Martyriums und der heldenmütigsten Resignation geben. Deun sich an den Siegeswagen der rothen Reaction hängen, heißt doch wahrlich nicht „gegen deu Strom schwimmen!" So stellt sich denn unser Treubund, obwohl dem Namen nach nur dem Kur¬ fürsten huldigend, recht eigentlich als eine Stütze und Krücke des Ministeriums Hassenpflug dar. Wie der Chor der alten Tragödie das ideale Publieum, so will der Treubund das hessische „Volk" repräsentiren, da man nun einmal in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anständiger Weise nicht ohne „Volks¬ repräsentation" regieren kann. In der That enthält schon der Volksfreund vom 28. Nov. 1851 die „demüthige," aber auch alberne Erklärung eines Treubüud- lers: „Nur die können wir allein noch als zu unserm Volke gehörig ansehen, welche in ihrem innersten Herzen mit uns eine Gesinnung, eine An¬ schauung, einen Willen hegen. — Das alte Volk der Hessen hat aufgehört zu sein, seitdem das Gericht Gottes über dasselbe hingegangen ist." Der Kurfürst selbst aber ist vom Minister alsbald veranlaßt worden, durch eine sehr huldvolle Zuschrift dem Treubund die „eigentliche Weihe" zu ertheilen. Zunächst bildet der Treubund ein Heer von Freiwilligen, welches erklärtermaßen die Ausfüh¬ rung der von allen höhern Gerichten des Landes für verfassungswidrig erklärten Ausnahmsgesetze sichern will. Während aber an dem preußischen Treubund Adel und Officierstaud am eifrigsten sich betheiligt haben, zählt der hessische Treubund nnr sehr wenige Adelige und keinen einzigen Officier zu seinen Mitgliedern. Auch die Betheili- gung der Verwaltungsbeamten und des höhern und niedern Nichterpersonals hat nur sehr sporadisch stattgefunden; doch muß selbst diese geringe Betheiligung der Richter insofern Befremden erregen, als einerseits ihre amtliche Stellung gerade deu Ausnahmsgesetzen gegenüber die höchste Unbefangenheit erheischt, andrerseits ihr Beitritt, und zwar ohne alle Verwahrung und erläuternde Erklärung, gerade zu einer Zeit erfolgte, wo viele ihrer ehrenwerthesten Kollegen durch Gewalt, die sich an die Stelle des Rechts setzte, ans den Aemtern vertrieben wurden. Den Kern unseres Treubundheeres bildet eine Schaar orthodoxer Geistlichen, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/356>, abgerufen am 28.06.2024.